Giora Seeliger, Verdienstordenträger in Österreich, und sein Team begeisterten im Klinikum nicht nur die Kinder.
„So wird ein Kreis gebildet“Enkel von Leverkusener Holocaust-Opfern bringt Klinikum-Patienten zum Lachen

Giora Seeliger von den Roten Nasen arbeitet auch mit dem Klinikum Leverkusen zusammen.
Copyright: Mirjam Reither
Giora Seeliger blickt zurück auf die lange und bewegte Geschichte seiner Familie in Leverkusen. Vor rund 100 Jahren waren es seine Vorfahren mütterlicherseits, Familie Nathan, die damals für die Direktoren der IG Farben die Bewirtung übernahmen. Damals sei noch der Begriff „Kolonialwarenladen“, den die Familie auch betrieb, geläufig gewesen, heutzutage würde die Tätigkeit beim jetzigen Bayer-Betrieb wohl als „Catering“ bezeichnet werden, schmunzelt der 72-Jährige.
Im Herbst 2025, unmittelbar vor dem Holocaust-Gedenktag am 9. November, sitzt der in Israel geborene Seeliger in Wien – seit mittlerweile dreieinhalb Jahrzehnten seine Heimat. Doch die Verbundenheit zur Leverkusener Heimat seiner Mutter war in den vergangenen Monaten groß. Das steht allerdings in keinerlei Zusammenhang zu Bewirtung oder Bayer, sondern Seeligers großer Leidenschaft – er ist Künstler und sein Wirken als Clown führte ihn zuletzt immer wieder an den Rhein.
„Rote Nasen“ dank Seeligers familiärer Historie auch in Leverkusen
Denn Seeliger bekam einen Vorschlag von einer langjährigen Ansprechpartnerin, wie er im Gespräch mit dem „Leverkusener Anzeiger“ verrät. Seeligers Kontakt zur Stadt Leverkusen ist bereits seit mehreren Jahrzehnten intakt – unter anderem zu Ursula Siewert, die Seeliger als „rechte Hand“ des jüngst aus seinem Amt ausgeschiedenen Oberbürgermeisters Uwe Richrath bezeichnet.
Alles zum Thema Klinikum Leverkusen
- Oberarzt am Klinikum Leverkusener Urologe implantiert erste Penisprothese in Usbekistan
- 22-Jähriger von Auto erfasst Fußgänger stirbt nach Unfall vor Parkhaus des Klinikums Leverkusen
- Krankenhausreform Warum das Klinikum Leverkusen zwei Praxen übernimmt
- Reaktion auf Schließung in Langenfeld Klinikum Leverkusen schafft zusätzliche Behandlungsräume
- Klinikum Leverkusen Diskriminierung ist in der Pflege ein vielschichtiges Problem
- „wir helfen“-Bilanz Dass Kinder wieder mutig in die Zukunft blicken
- Unterstützung im Alter Familiale Pflege des Klinikums Leverkusen hilft Angehörigen
Einst wurde ein Zusammentreffen von ehemaligen jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger in Leverkusen in die Wege geleitet, über mehrere Tage hatten sie die Gelegenheit, Verwandte und ehemalige Bekannte zu treffen, und etwa die ehemalige Synagoge in Opladen zu besuchen. Seeliger und seine aus Leverkusen stammende Mutter reisten immer wieder zu entsprechenden Anlässen in die Stadt.
Der Kontakt zwischen Seeliger und Siewert sei nie abgerissen, eine „fantastische Frau“ schwärmt der in Haifa (Israel) geborene Künstler. Sie war es auch, die Seeliger vorschlug, mit den „Roten Nasen“ auch in Leverkusen aktiv zu werden. Bei den „Roten Nasen“ handelt es sich um einen gemeinnützigen Verein, den Seeliger 1994 gründete und der in elf Ländern durch seine Clown-Auftritte repräsentiert wird.
Seit einigen Monaten finden diese Auftritte auch im Klinikum Leverkusen statt. „Man könnte sagen, dass sich dadurch ein Kreis schließt“, sagt Seeliger in Bezug auf seine familiäre Verbindung nach Leverkusen. „Ich finde es aber schöner, zu sagen, dass so ein Kreis gebildet wird.“
Auch erwachsene Patienten wollten die Clown-Unterhaltung
Vor knapp einem Jahr war Seeliger zu ersten Gesprächen für das gemeinsame Projekt in Leverkusen. Sowohl das Klinikum als auch die Stadtpolitik um den damaligen Oberbürgermeister Richrath „waren sehr offen“, wenige Monate später kam es dann zu ersten Auftritten der Clowns. Erst übten sie ihre Kunst im Sozialpädiatrischen Zentrum (SPZ) des Klinikums aus, in dem Kinder behandelt werden. Allerdings blieb es dabei nicht lange: Auch die Erwachsenen-Onkologie sei auf die neue Art der Unterhaltung aufmerksam geworden – bald folgten auch da Auftritte.
Zuerst wurde eine mehrmonatige Probephase vereinbart, um zu sehen, ob „es für alle passt“, erklärt Seeliger – die Resonanz sei aber, nicht zuletzt in der Onkologie, ausgesprochen positiv gewesen. Daher geht es für Seeliger und sein Team in Leverkusen weiter.
Was das Arbeiten mit Kindern in Krankenhäusern besonders macht, fasst der 72-Jährige zusammen: „Es ist einfach schön, ein Programm zu finden, durch das Kindern ein Lächeln geschenkt wird.“ Es sei wichtig, den Patientinnen und Patienten Ablenkung zu geben. „Mut machen, durchzuhalten, und Zuversicht zu stiften“, das gehe auch mit dem Wirken der Clowns einher. Da spielt das Alter nur eine untergeordnete Rolle.
Allerdings lässt Seeliger keinen Zweifel daran, dass sich die Clowns ihrem Publikum anpassen. „Ein Kind fragt nicht, woher man kommt, die wollen gar nicht hinter die Maske schauen, die gehen einfach sofort mit“, betont der „Rote Nasen“-Begründer. Bei älteren Menschen sehe das anders aus, da gebe es viele Fragen zu den Hintergründen der Personen „hinter der Maske“ und dessen Wirken.
Zum Wirken der Clowns im Umgang mit älteren Menschen beschreibt Seeliger: „Ihnen geht es darum, sicherzugehen, dass sie nicht veräppelt werden. Wir wollen sie an eine Zeit erinnern, wo ihr Leben noch anders ausgesehen hat – etwa mit 20, als noch getanzt, geflirtet und gesungen wurde.“ Da werde auch bei der Auswahl der Lieder geachtet, dass sie aus dieser Zeit kommen – „dann erzählen sie oft aus dem Schatz ihrer Erinnerung“. Die Geriatrie sei „sehr oft die letzte Adresse“ im Leben der Menschen, da sei es wichtig, auch noch den „jungen Lebensstil“ zu erwecken – Seeliger bezeichnet das als „Rendezvous mit dem Leben“.
Sein bewegtes Leben führte Seeliger als vierjähriges Kind 1957 mit seinen Eltern und seiner Schwester nach Düsseldorf, zurück nach Deutschland, dem Land der Täter. Zahlreiche Familienmitglieder, darunter auch Seeligers Großeltern, wurden im Holocaust ermordet. Der heute 72-Jährige blickt zurück auf viele Momente in Elternhäusern von Schulfreunden in den 1960er-Jahren, in denen es nach seinem Namen gefragt wurde. Als er „Giora“ antwortete, war seine jüdische Herkunft im Grunde immer schon klar. „Innerhalb von zehn Sekunden gab es dann ein Schweigen“, erzählt der Wahl-Wiener. Er habe dann sehr viele Entschuldigungen erlebt. Knapp 20 Jahre lebte er in Düsseldorf, dann zog es ihn über Paris nach Wien.
Im vergangenen Jahr, zum 30-jährigen Bestehen der „Roten Nasen“, wurde Seeliger mit dem goldenen Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik Österreich, das Pendant zum Bundesverdienstkreuz, ausgezeichnet. „Ich sehe diesen Orden als Honorierung dafür, dass unsere Idee ankommt. Die Roten Nasen gehen dahin, wo es wehtut, wo aber auch gelacht werden muss“, erklärt er zu der Tätigkeit, die die Clowns nicht nur in Krankenhäusern, sondern auch in Geflüchtetenunterkünften und Katastrophengebieten auftreten lässt. „Das Lachen kann natürlich den Krebs nicht heilen, aber helfen, mit der Krebs-Bekämpfung umzugehen“, betont Seeliger.
Seine Tätigkeit, hier im Klinikum, führte ihn in der jüngeren Vergangenheit zu den Wurzeln seiner Großeltern nach Leverkusen. Seeliger ist dankbar für „sehr viel nette Unterstützung“ in dieser Zeit. Unter anderem seien ihm die Stolpersteine seiner Großeltern gezeigt worden, an Ort und Stelle entschied sich Seeliger zu einem Totengebet: „Das war sehr berührend, eine Sache, die mich mit den für mich unbekannten Großeltern verbindet.“ Sie waren vor mittlerweile mehr als 80 Jahren einige der Millionen Opfer des Holocausts. In Leverkusen schafft Seeliger die Verbindung zwischen seiner Kunst und seinen familiären Wurzeln. Dem will er nachkommen, denn Seeliger sieht es als „Aufgabe der folgenden Generationen, die Vergangenheit als Lernbeispiel zu sehen“.
Am Sonntag, 9. November, lädt die Stadtgeschichtliche Vereinigung Leverkusen zum Gedenken an das November-Pogrom ein. Um 18 Uhr beginnt am „Engel der Kulturen“ (Memelstraße, Eingang Friedenspark) die Feierstunde. In diesem Jahr trägt das Gedenken in Rheindorf den Titel „Nie wieder – wegsehen“.


