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BaukulturLeverkusener beschweren sich immer wieder über zu große Häuser

Lesezeit 4 Minuten
Zu große Haüser werde in Leverkusener Siedlung gebaut, findet Sabine Neunzig, hier am Märchen.

Das Haus passt nicht in die Märchensiedlung, findet Sabine Neunzig.

Oft melden sich Leute verzweifelt in der Redaktion des „Leverkusener Anzeiger“, weil in der Nachbarschaft ein viel zu großes Haus entsteht.

Häuser und Automodelle haben eine Gemeinsamkeit: Neue sind meist etwas größer als die Modelle vorher. Über aufgepumpte Autodesigns regen sich viele auf, aber auch über Häuser. Etwa in der Märchensiedlung: Dort steht neuerdings ein kantiger Bau eines Bauinvestors mit einem Flachdach; Höhe und bebaute Grundfläche wurden maximal ausgereizt. Die Siedlung war ursprünglich anders konzipiert: kleine Häuser, große Gärten, viel Grün.

Zu große Haüser werde in Leverkusener Siedlung gebaut, findet Sabine Neunzig, hier am Märchen. Foto: Ralf Krieger

Der kritisierte Bau Am Märchen von der Straßenseite. Links die Straße herunter sieht man ein kleines blaues Siedlungshaus in Originalgröße.

Sabine Neunzig ist vollkommen klar, dass sie ein heikles Thema anspricht, wenn sie sagt: „Dieses Haus nebenan ist einfach unpassend für die Märchensiedlung.“ Ein Projekt zu kritisieren, bei dem Wohnungen entstehen, ist wegen der Wohnungsnot zu einem Tabu geworden. Frau Neunzig wagt sich dennoch hervor, denn sie hängt an der 90 Jahre alten Märchensiedlung, in der sie seit 33 Jahren lebt. Ihr Mann Harald Drinhausen wurde „am Märchen“ vor 65 Jahren geboren.

„Ich weiß selbst, dass man in den 90 Jahre alten Häusern der Siedlung kaum noch wohnen kann“, sagt Neunzig. Aber dass jetzt ein großer Klotz nebenan steht, störe sie. Im Haus nebenan starb eine alte Frau, die in einem der kleinen Siedlungshäuser lebte. Irgendwann machte sich Sabine Neunzig Sorgen, dass ein Käufer die schönen Bäume an der Grundstücksgrenze fällen könnte. Sabine Neunzig wollte einen schmalen Streifen des Landes vom Nachbargrundstück kaufen, um sie zu erhalten. Sie kam zu spät: Ein Schlebuscher Bauunternehmer hatte nach dem Tod der alten Dame zugeschlagen und die Immobilie gekauft.

Neukronenberger Straße: 2020 wurde hier gegen den erbitterten Widerstand von Nachbarn ein kleines Haus abgerissen zugunsten eines 14-Parteienhaus mit vielen Parkplätzen und ohne Garten.

Neukronenberger Straße: 2020 wurde hier gegen den erbitterten Widerstand von Nachbarn ein kleines Haus abgerissen zugunsten eines 15-Parteienhaus mit vielen Parkplätzen und ohne Garten.

Trotz intensiver Versuche sei es dem Paar nicht gelungen, den Plan des Neubaus zu begutachten, um sich eine Vorstellung zu machen. Ein Mitarbeiter vom Bauamt habe sie zwar mal draufgucken lassen, aber nur flüchtig. Wirklich erfasst hätten sie die Größe erst, als der Rohbau stand. Kein Denkmalschutz, keine Gestaltungssatzung schützte die Siedlung vor großen Häusern. Jetzt stehe da „ein Kasten mit sechs extrem teuren Wohnungen“, die ehemals 550 Quadratmeter groß Grünfläche sei wegen der Stellplatzpflicht praktisch komplett versiegelt. In den Gärten hätten früher nie Autos gestanden. Von Wohnraumschaffung für die „normale Bevölkerung“ könne mal wieder nicht die Rede sein, schreibt Frau Neunzig.

Das Paar aus der Märchensiedlung ist nicht allein. 2020 kämpften Nachbarn gegen die Baugenehmigung für ein maximal großes Haus mit 15 Eigentumswohnungen an der Neukronenberger Straße. Nach der Einschätzung von Anwälten verstößt der Bau konkret gegen einen gültigen Bebauungsplan.

Wuppertalstraße: Über diese Häuser gab es einen Briefwechsel mit der Bezirksregierung, im Vergleich links ein Fachwerk-Giebel.

„Dorfcharakter“ ist kein Kriterium, sagt die Stadtverwaltung. Auch nicht in Bergisch Neukirchen. Linker Bildrand: Ein Fachwerkhaus, rechts die neuen Häuser.

Ebenfalls in der ehemaligen Obstkammer Bergisch Neukirchen erreichten die Redaktion Klagen über große Häuser, die zwischen denkmalgeschützte Fachwerkhäuser gesetzt werden. Der Bergisch Neukirchener Roland Hölzer nennt Neubauten, die den Charakter der Siedlungen sprengen: ein nach seiner Einschätzung viel zu großes Haus an der Wuppertalstraße, das die kleinen denkmalgeschützten Häuser daneben fast zu erdrücken scheint. Hölzer: „Ich sage immer: Leverkusen mangelt es an Baukultur.“

Zu große Haüser: Linienstraße, sechs Parteien.

Linienstraße: ein Haus für sechs Parteien.

Die Waldsiedlung besitzt eine Gestaltungssatzung, in der allerdings nichts über Größe oder Höhe von Neubauten steht. Geregelt sind etwa Dachneigung und die Höhe der Zäune. Es gibt keinen Bebauungsplan. Als ein Investor in der Dillinger Straße ein Haus mit einer Anmutung eines originalen Waldsiedlungshauses auf Steroiden baute, meldeten sich genervte Nachbarn: Selbst 155 statt der 70 Quadratmeter Grundfläche der Originalhäuser sind erlaubt, das Haus wurde zugelassen und gebaut.

Leverkusener Bauamt: Beschwerde lief ins Leere

Horst Böttcher aus der Linienstraße hat ein ähnliches Problem. Auch er hatte sich gegen ein riesiges Haus in der Nachbarschaft gewehrt, aber er konnte es nicht stoppen. Erst habe man ihn im Bauamt mehrfach vertröstet: Es sei noch kein Antrag eingegangen. Ein halbes Jahr später sei der „Kasten“ plötzlich genehmigt gewesen, ein Einspruch war im Prinzip nicht mehr möglich. Einen gemeinsamen Ortstermin mit der Baudezernentin Andrea Deppe habe Böttcher angefragt, der den Bau für rechtlich nicht in Ordnung hält. Bekommen habe er „nicht mal eine Absage“.

Die Stadtverwaltung schreibt auf Anfrage: Pläne, in denen alle Baugesetze eingehalten würden, müsse man genehmigen. „Siedlungscharakter“ und „Dorfbild“ seien keine Kriterien. Hinzu komme, dass in der Vergangenheit größere Abstände einzuhalten gewesen seien als heute. Nachvollziehbar sei, dass heutige Bebauungen dichter seien, ebenso, dass die gestiegenen Grundstückskosten Investoren zwängen, die maximale Auslastung eines Grundstücks umzusetzen. Dabei spiele logischerweise Gewinn, auch -maximierung, eine Rolle. Die Rechtmäßigkeit sei davon aber nicht betroffen.