Thomas Helfrich verlässt Bayer Kultur nach zehn Jahren zum Jahresende.
Bayer-Kultur-Chef im Interview„Ich sehe das nicht, dass wir uns aus allem zurückziehen“

Thomas Helfrich, Leiter der Bayer-Kultur, verlässt Leverkusen und Bayer zum Jahresende. (Archivfoto)
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Zehn Jahre war Thomas Helfrich Leiter der Kulturabteilung von Bayer, zuvor hatte er die Bereiche „Social Media & Executive Support“ in der Unternehmenskommunikation des Konzerns geleitet. Im Interview spricht er über seine Anfänge, die Neuausrichtung seiner Abteilung und den Vorwurf, Bayer ziehe sich immer mehr aus der Stadt zurück.
Herr Helfrich, Sie sind vor zehn Jahren zu Bayer Kultur gekommen. In welcher Lage befand sich die Abteilung damals?
Es gab sehr tradierte Strukturen, man hatte zum Beispiel noch traditionelle Spielzeiten. Das Erholungshaus hieß Kulturhaus, das haben wir dann wieder zurückgedreht. Grundsätzlich war das hier ein ganz normaler Betrieb. Es war nur auffällig, dass die Zahl der Besucher zurückging. Das war nicht dramatisch, aber sukzessive.
Was waren erste Schritte?
Wir haben viel analysiert und uns überlegt, was passieren muss. Ich meine, wir hatten 2015. Eine Zeit, in der das Streaming viel stärker aufkam. Und generell haben sich Menschen eher zurückgezogen, viel mehr „Cherrypicking“ (Rosinenpicken, Anm. d. Red.) gemacht. Die Frage war, wo stehen wir im 21. Jahrhundert. Ich war dann viel in Essen oder Köln und hatte bei uns ein bisschen das Gefühl, dass viel verwaltet wird. Sehr gut verwaltet, aber es fehlten die Impulse.
Wie war damals der Bezug zur Stadt?

Thomas Helfrich, als er 2015 zu Bayer Kultur kam, im Erholungshaus.
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Ich erinnere mich noch gut daran, als ich meine ersten Gespräche mit der Stadt geführt habe. Da wurde sehr schnell klar: Wir arbeiten ziemlich parallel, eigentlich kannibalisieren wir uns. Das können wir so machen, aber das wird irgendwann nicht mehr funktionieren. Einer von beiden muss sich bewegen.
Und wer war das?
Wir, weil wir wesentlich flexibler sind. Wir haben uns im Team zusammengesetzt, intern Menschen befragt, das extern abgleichen lassen und uns sehr viel Zeit genommen, um uns zu positionieren.
Was heißt das? Gab es ein konkretes Ziel?
Das konkrete Ziel war, dass wir weg vom klassischen Kultur- und Veranstaltungsbetrieb wollten, hin zu einer unternehmerischen Kulturförderung. Weil sich unsere bisherige Förderung überlebt hatte.
Das müssen Sie erklären.
Als in den 60ern das Forum gebaut wurde, war das eine Supersache, aus dem richtigen Geist heraus. Nur haben wir bei Bayer unser Engagement diesbezüglich nicht hinterfragt. Denn bislang waren wir quasi eingesprungen als Ersatz für kommunale Leistungen. Und als Unternehmen hätte ich begleiten, fördern und schließlich so stärken können.
Wegen der möglichen Kannibalisierung?
Ich hatte das Gefühl, auch wenn ich mir unsere alten Programme anschaue, man wollte zeigen: Wir können das besser. Das war so ein Wettbewerb, der für die Vielfalt gut, aber auch irgendwann mal ruinös ist. Denn dann machen beide Seite unheimlich viel und das freut auch die Leute. Das hört aber irgendwann mal ganz schlagartig auf, weil immer mehr neue Dinge dazukommen, die wir uns nicht mehr leisten können oder wollen. Es gab tolle Programme, das war alles super. Ich glaube nur, wir waren nicht da, wo die Gesellschaft war.
Bayer Kultur, meinen Sie?
Ja, wir hier. Wir hatten immer noch ein sehr hohes Niveau und einen sehr hohen Anspruch. Aber die Frage ist doch: Funktioniert das heute noch?
Tut es das nicht?
Ein Beispiel unter meinem Vorgänger: Der hatte eine großartige Opernsängerin eingeladen, die hier für 30 Euro das Ticket vor einem halb gefüllten Saal sang. Drei Tage später sang die für 120 Euro in der Tonhalle in Düsseldorf – ausverkauft. Da müssen wir uns doch irgendwann mal die Frage stellen, was wir wollen und was unsere Aufgabe ist. Bei aller Folklore und bei allem, was früher besser gewesen sein soll.
Was wollen Sie denn?
Wir haben uns als Team überlegt, wie das, wo wir und das Publikum uns wohlfühlen, aussehen kann. Und so sind wir zum Start-Festival gekommen. Und zur Start-Academy. Ich glaube, das wird verstanden. Das merken wir daran, dass das Festival sehr erfolgreich ist. Die Auslastung ist gut, die Leute buchen schnell Karten. Wobei für uns nie der Mittelpunkt ist, die Bude voll zu bekommen.
Trotzdem haben viele den Eindruck, Bayer Kultur zieht sich aus der Stadt zurück. Zum Beispiel, was Vereinsförderung angeht.
Ja, aber das haben die Leute auch schon vor zehn Jahren gesagt. Ich finde das interessant, weil wir ja kein Einzelfall sind. Als die Deutsche Post ihre allgemeine Vereinsförderung beendet hat, haben wir auch keinen Aufschrei gehört. Ich glaube, hier ist das aber eine besondere Situation. Das liegt den Menschen am Herzen. Bei vielen Vereinen, von denen wir uns getrennt haben, war die Perspektive eher eine Retrospektive. Du hast gemerkt, die sind überaltert, da passiert nicht mehr viel. Die gibt es vielleicht nur noch, weil es sie schon immer gab. An einem anderen Standort hatten wir den Fall, dass die Vorsitzenden total dankbar waren, weil sie sich immer verantwortlich gefühlt haben und so loslassen konnten.
Das ist aber sicher nicht die Regel. Gab es auch Unverständnis?
Es gibt beide Seiten. Wir haben aber zum Beispiel auch bei einigen die Markennutzungsrechte gekündigt. Das sieht natürlich so aus, als ziehen wir uns aus allem zurück. Dabei bekommen diese Vereine schon seit mehr als zehn Jahren kein Geld mehr von uns. Und wenn ich merke, dass Vereine nicht mehr richtig geführt werden können, dann ist es meine Pflicht aus Sicht des Unternehmens, den Namen rauszuziehen. Wir gehen aber immer sehr fair mit allen Beteiligten um. Ich habe die erste Abfrage bei den Vereinen schon vor zehn Jahren gemacht. Mein Verständnis war immer: Der Verein muss auch alleine funktionieren. Und als Unternehmen muss ich mich natürlich fragen, ob ich einen Verein fördere, der keine Mitgliedsbeiträge erhebt und eigentlich nur existiert, weil wir dahin Geld überweisen.
Verstehen Sie denn die Bedenken?
Ich weiß natürlich auch, wie es früher war. Aber ganz ehrlich: Parasport, Leichtathletik, Fußball und wir als Kulturabteilung. So ein bisschen Wertschätzung hat mir in den letzten zehn Jahren schon gefehlt. Ich finde es schade, wenn dann dein Gegenüber sagt: Du machst ja nichts.
Aber es ist eben anders als früher.
Ja, natürlich. Aber früher war – flapsig gesagt – der halbe Stadtrat besetzt mit Bayer-Mitarbeitern und das Unternehmen hat die Tagespolitik mitbestimmt. Unser Engagement unterliegt einer permanenten Veränderung. Aber nehmt doch mal das an, was wir tun, und lasst uns miteinander sprechen.
Mangelnde Kommunikation also, das hat sich in den vergangenen zehn Jahren nicht verändert?
Nein, das hat sich nicht verändert. Und das ist auch in Ordnung, weil das vielleicht so sein muss. Eine Stadt hat immer andere Herausforderungen als ein privatwirtschaftlicher Förderer. Da geht es um keine Schuldzuweisungen. Wir können aber ganz anders denken und planen. Ich sehe das nicht, dass wir uns aus allem zurückziehen, sonst wären wir schon lange weg.
Können Sie uns einen Ausblick, auch wenn Sie gehen, auf die Arbeit von Bayer Kultur in Leverkusen in den kommenden, sagen wir, fünf Jahren geben?
Fünf-Jahres-Ausblicke in der heutigen Zeit sind schwer. Aus dem Betrieb des Erholungshauses ziehen wir uns raus. Aber in Leverkusen gibt es auch noch andere Veranstaltungsorte. Und der Plan ist nicht, sich komplett vom Standort zu verabschieden. Christoph (Böhmke, Leiter des Start-Festivals und Helfrichs Nachfolger) plant schon für 2028 und 29. Das wird weitergehen. Und für alles dazwischen sind wir offen. Es gibt ein großes Förderprojekt, das Christoph gerade plant. Das machst du ja nicht, wenn du vorhast, die Förderung einzustellen. Wir denken weiterhin langfristig. Und zwar unabhängig von dem, was um uns herum passiert.
Was meinen Sie?
Ich kann nicht auf andere Player warten, zum Beispiel auf die Stadt. Ob wir einen gemeinsamen Nenner finden oder nicht. Wir haben unseren Weg und unsere Definition, wie Kunstförderung am besten funktioniert.
Hatten Sie einen persönlichen Höhepunkt in den vergangenen zehn Jahren?
Künstlerisch, als wir Mikhail Baryshnikov aus New York hierher geholt haben. Ansonsten auch die Ausstellung „Lost Places“ in der City C. Insgesamt waren die zehn Jahre ein echtes Highlight. Mir war nie klar, dass ich sowas noch mal machen werde. Ich bin extrem dankbar, weil ich so ein fantastisches Team hatte. Wir konnten Dinge machen, die sonst keiner machen konnte.
Was machen Sie nach Bayer Kultur?
Ich werde mich noch stärker um Künstlerförderung und Kunstförderung kümmern, wenn auch nicht bei Bayer.

