FotografieEin magischer Moment in der vielleicht letzten Dunkelkammer Leverkusens

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Alfred Vogel sitzt in der vielleicht letzten Dunkelkammer Leverkusens im Rotlicht. 

Leverkusen – Das Aroma der Dunkelkammer ist nicht fein: Es riecht leicht stechend nach Essigsäure und Salzen, aber man gewöhnt sich schnell daran. Alfred Vogel ist der Chef in dieser vielleicht letzten Dunkelkammer ihrer Art in Leverkusen. Der Stadt, aus der bei Agfa bis in die 2000er-Jahre hinein unzählige Erfindungen für die Fotografie kamen.

Während viele Branchen immer noch mit der Digitalisierung kämpfen, nahm die in der Fotografie bereits um die Jahrtausendwende so richtig Fahrt auf. Beim „Leverkusener Anzeiger“ stieg man ab 2001 aufs Digitale um – als die Technik hinreichend fehlerarm war. Streng genommen teilt sich die Zunft der Fotografen heute noch in zwei Lager: Die rein digitalen und die, die noch analog gearbeitet haben, die womöglich sogar die Dunkelkammerarbeit kennen.

Ein Erlebnis wie die Suppe von Großmutter

Für die letzteren ist der Eintritt in die Dunkelkammer des Verein zur Förderung künstlerischer Bildmedien Bayer (VFkB) in Opladen (früher: Bayer Foto- und Filmclub) ein Erlebnis, wie wenn man 20 Jahre nach dem Tod der eigenen Großmutter eine Suppe bekommt, die so schmeckt und riecht, wie man sie von ihr aus der Kindheit kannte.

Noch sitzt Alfred Vogel im Hellen und zieht einen zehn Zentimeter langen Filmstreifen aus einer Negativtasche; mit spitzen Fingern, denn ein schwitziger oder gar fettiger Abdruck kann das schönste Negativ dauerhaft versauen. Der Streifen heißt Negativ, weil alles andersrum ist: Helles ist darauf dunkel und dunkles hell.

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Ein AGFA-Laborkittel. 

Chemie, optische Physik und Kreativität sind die drei wichtigsten Dinge, die man zum Bildervergrößern in der Dunkelkammer braucht. Der saure Essig, in einer der drei Schalen mit Chemie-Lösungen, auf eine dreiprozentige Lösung verdünnt, wird gebraucht, um den basischen Foto-Entwicklungsvorgang im richtigen Augenblick zu unterbrechen, indem man das Fotopapier zügig darin eintaucht, um sie zu stoppen: deshalb heißt das Bad das Unterbrecherbad oder Stoppbad.

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Ein Ordner voller Negativtaschen. 

Nebenan in der Dunkelkammer fummelt Vogel den Streifen in ein Vergrößerungsgerät, eine Art vertikaler Projektor, der in der Höhe verstellbar ist. Dann schaltet er die Rotlichtlampen ein und das Deckenlicht aus. Ein Vereinskollege steht daneben. Das Rotlicht taucht den zum Teil mattschwarz gestrichenen Raum in eine meditative Dunkelheit. Die Ruhe in der Kammer überträgt sich sofort: Man redet weniger, Stimmen werden gesenkt, Bewegungen vorsichtiger.

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Das Bild zeigt sich im Entwicklerbad. 

Es dürfte vor über 70 Jahren gewesen sein, als der heute 83-jährige Alfred Vogel zum ersten Mal in einer Dunkelkammer gestanden habe, sagt er. Das Labor hatte der Vater in der elterlichen Küche provisorisch eingerichtet. Ein Hobbyfotograf, der sich eine Top-Kamera geleistet hatte: eine zweiäugige Rolleiflex mit großen Negativen. Das schwere Los teilte früher manche Frau, deren Mann die Fotografie als Hobby entdeckt hatte: die oft stundenlange nächtliche Belegung der Küche oder – noch schlimmer – des Badezimmers. Vogel lernte beim Vater durch Zuschauen.

Der Verein

Der Verein zur Förderung künstlerischer Bildmedien Bayer e.V. Leverkusen (VFkB) ist ein Zusammenschluss von ambitionierten Fotografen und Videofilmern. Gegründet wurde der Verein 1952 als Foto-Film-Club Bayer e.V. Leverkusen, er feiert 2022 sein 70-jähriges Bestehen. 

Zum Jubiläum werden die Mitglieder des VFkB während der Leverkusener Jazztage eine große Ausstellung im Erholungshaus präsentieren. Ein Thema ist dabei nicht vorgegeben. Ursprünglich war die Dunkelkammerarbeit eine Hauptsparte des Vereins, heute arbeiten fast alle digital, bis auf eine sehr kleine Restgruppe.

Noch heute ist der VFkB ein von der Bayer AG geförderter Kulturverein. Als Mitglied willkommen ist aber jeder und jede. (rar)

Später übernahm der Realschullehrer Vogel die Foto-AG an seiner Schule in Solingen. „Das hat mir großen Spaß gemacht, die Kinder hatten immer ein Ergebnis.“ Sogar funktionierende Lochkameras hat er mit den Kindern gebaut. Der Prozess in der Opladener Kammer schreitet jetzt voran: Lampe im Projektor anschalten, Größe einstellen, penibel scharfstellen, ausschalten, unbelichtetes Fotopapier aus der Pappschachtel an die richtige Stelle legen.

Ein magischer Moment in der Dunkelkammer

Dann belichtet Vogel sein Bild: Etwa 30 Sekunden wirft der Leitz-Apparat weiches Licht durch das Negativ aufs Papier. Gegen das Rotlicht ist das Fotopapier unempfindlich, erst das weiße Licht kann ein Bild darauf erzeugen.

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Ein Thermometer und eine Uhr braucht man im Labor. 

Der berühmte magische Moment, in dem sich das Bild erstmals zeigt, folgt im Entwicklerbad. Vogel lässt das Fotopapier eine Minute lang in der roten Kunststoffschale ganz leicht hin- und herschwappen. Schnell erscheint auf dem 30 mal 40 Zentimeter großen, hochglänzenden Papier eine Szene vom Solinger Bahnhof und wird mit jeder Sekunde immer deutlicher und kontrastreicher. Danach: Stoppbad, Fixierbad. Licht an. Vogels Bild ist fast fertig, er muss es noch wässern und trocknen. Ein Einzelstück.

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„Es ist immer eine kleine Überraschung dabei, das mag ich an der Arbeit“, sagt Vogel. Sein Kollege schätzt das Handwerkliche und auch die schöne analoge Nostalgie, die in dem Prozess mit Licht und Chemie steckt. Das Bild ist nur ein bisschen dunkel, aber Vogel gibt sich zufrieden.

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Ein Schwarzweißbild im Wässerungsbecken. 

Der Hang zum Materialsparen sitzt tief bei Fotografen alter Schule: Filme, Fotopapier und Chemie, die Zutaten der analogen Fotografie hatten schon immer ihren Wert, heute kosten sie noch mehr. Auch daran kann man Analog-Fans wie Lehrer Vogel erkennen: Statt hunderte Digitalbilder zu machen, bis der Zufall das richtige Bild liefert, gilt es, vorher nachzudenken. Weil Filme Geld kosten und nur 36 Bilder haben. Bis heute.

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