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Unterwegs mit der StreifeWie eine Polizeischicht in Leverkusen abläuft

6 min
Die Polizisten haben in ihren Schichten mit verschiedenen Einsatzlagen zu tun.

Die Polizisten haben in ihren Schichten mit verschiedenen Einsatzlagen zu tun.

Die Reporterin des „Leverkusener Anzeiger" hat die Polizei auf ihrer Schicht begleitet.

Es ist Schichtwechsel in der Wiesdorfer Polizeiwache. Nach einer kurzen Einweisung geht es für die Spätschicht sofort in den Einsatz. Polizeioberkommissar Otterbach und Polizeikommissar Cingöz steigen in ihren Streifenwagen. Sie haben an diesem Tag auch einen Auszubildenden dabei.

Das erste Einsatzstichwort lautet „Belästigung“, was alles sein kann. Der Einsatzort ist eine Bushaltestelle. Es stellt sich heraus, dass sich eine junge Frau durch die Art, wie ein Mann sie anschaute, belästigt gefühlt hat. Sie wartet bereits mit dem Fahrer vor dem Bus. Die Beamten sprechen zunächst mit ihr und hören sich an, was aus ihrer Sicht passiert ist. Da der Mann noch im Bus sitzt, wird er zur Klärung erstmal aus dem Bus geleitet. Im Gespräch streitet er jedoch ab, unangemessenen Blickkontakt aufgenommen zu haben. Die Beamten überprüfen seine Personalien und raten ihm, in Zukunft auf seine Blicke zu achten. „Er kann heute normal weiterfahren“, erklärt Cingöz. „Er hat nichts getan, was weitere Maßnahmen rechtfertigen würde.“ Einen Bericht über den Einsatz schreiben die Beamten dennoch.

Kaum zurück im Auto erreicht das Polizeitrio der nächste Einsatz über die Leitstelle. Ein Verkehrsunfall wurde gemeldet. Auf den Treppenstufen zu einem Einkaufszentrum sitzt ein älterer Mann mit einer Wunde auf Nase und Stirn. Sein Bein hält er ausgestreckt. Neben ihm stehen eine Passantin und ein Passant, die erste Hilfe geleistet haben. Der Mann ist beim Versuch, die Straße zu überqueren, angefahren worden. Die Beamten teilen sich auf, um mit den Beteiligten, den Zeugen und den Ersthelfern zu sprechen.

Polizeioberkommissar Otterbach und Polizeikommissar Cingöz auf Streife.

Polizeioberkommissar Otterbach und Polizeikommissar Cingöz auf Streife.

Der genaue Hergang ist wichtig. Die Stelle, die der Verletzte überqueren wollte, ist kein gekennzeichneter Fußgängerüberweg, wie sich herausstellt. „Es handelt sich um eine Querungshilfe, um die breite Fahrbahn zu überqueren“, erklärt Cingöz. Die Autos haben hier Vorrang. Beim Überqueren der Straße an einer solchen Stelle haben zum Beispiel Fußgänger die Pflicht darauf zu achten, dass die Fahrbahn frei ist. Die Beamten strahlen durch ihre Körpersprache und ihren Umgang Ruhe aus.

„Eines darf man in solchen Situationen nicht vergessen“, sagt Cingöz. „Für uns sind diese Fälle Routine, aber für die Beteiligten ist das vielleicht der schlimmste Tag in ihrem Leben. Da muss man auch etwas empathisch sein.“ Laut der polizeilichen Verkehrsunfallstatistik sind auf diese Art in den Jahren 2023/24 jeweils sechs und fünf Personen verunglückt und mussten medizinisch versorgt werden. Nachdem die Beamten den Unfall aufgenommen und die Unfallstelle gesichtet haben, geht es zurück Wache.

Für uns sind diese Fälle Routine, aber für die Beteiligten ist das vielleicht der schlimmste Tag in ihrem Leben
Polizeikommissar Cingöz

Die Zeit ohne Anschlussnotruf nutzen die Beamte für angefallene Schreibarbeiten. Währenddessen sitzt Wachleiter Andreas Schwarzer in seinem Büro. Der Erste Polizeihauptkommissar arbeitet bereits seit 2013 in Leverkusen und seit März 2013 in der Funktion des Wachleiters. Zuerst in Opladen und seit dem 1. Januar 2024 in Wiesdorf.

Er hat die Änderungen in der Polizeiarbeit der letzten 15 Jahre hautnahe mitbekommen und weiß, was in Leverkusen los ist. Unter anderem haben einige Gesetzesänderungen die Handlungsmöglichkeiten der Polizei verändert. 2017 wurde der Paragraf 315d, Strafgesetzbuch eingeführt. Es gab bis dahin keine Rechtsnorm im Strafgesetzbuch, nach der Autorennen auf öffentlichen Straßen geahndet werden konnten.

Früher waren solche „Rennen“ nur Ordnungswidrigkeiten. Vor allem mit Blick auf die möglichen tödlichen Folgen wurde das damals „nur“ als fahrlässige Tötung eingestuft. Das hat sich nun geändert. „Änderungen gehen meist auf Geschehnisse im Alltag zurück“, erklärt Schwarzer. Und auch die Einsatzausrüstung wird immer wieder nachgebessert.

Bei einer Querungshilfe wie hier haben die Autos Vorrang.

Bei einer Querungshilfe wie hier haben die Autos Vorrang.

Die Schreibpause für die Streifenpolizisten dauert nicht lange. Schon wird das Team zum nächsten Einsatz geschickt. Er führt Cingöz, Otterbach und den Azubi in die Opladener Fußgängerzone. Ein Mann soll die Menschen angepöbelt und angeschrien haben. Sie finden jemanden auf einer Bank sitzend, auf den die Beschreibung passt. Der Mann leugnet, etwas getan zu haben. Otterbach erbittet den Personalausweis und lässt den Mann überprüfen. Es stellt sich heraus, dass er bereits wegen diverser Delikte bekannt ist, unter anderem auch wegen Tätlichkeiten gegenüber der Polizei und Drogendelikten. Der Mann bekommt einen Platzverweis.

Zwar bleibt er ruhig, kommt der Aufforderung zu gehen jedoch nicht sofort nach. „Wo muss ich hergehen?“, fragt er. Otterbach und Cingöz bleiben ruhig. „Hier rum?“ Der Mann zeigt in die Fußgängerzone. „Nein, Sie müssen außen herumgehen“, erklärt das Duo und zeigt auf die Straße. „Ich muss aber dort lang.“ – „Das dürfen Sie nicht. Sie müssen den Weg außen herum nehmen.“ Letztendlich endet die Situation friedlich. „Wenn man die Leute respektvoll behandelt“, erklärt Cingöz, „dann bleiben sie in der Regel auch friedlich. Es hängt vieles auch am eigenen Verhalten“.

Für die Situationen, in denen es nicht friedlich bleibt, hat der Gesetzgeber ebenfalls nachgebessert. Aufgrund der sich häufenden Übergriffe auf Einsatzkräfte, gibt es inzwischen den Paragraf 114 Strafgesetzbuch, der diese besser schützt als bisher. Eine solche Tat kann also inzwischen harte Konsequenzen nach sich ziehen.

Das ist das Problem, wenn Menschen einen Einsatz beobachten und nur Ausschnitte mitbekommen.
Andreas Schwarzer, Polizist

Zurück zur Schicht. Der nächste Weg führt in ein Einkaufszentrum und zeigt die Vielschichtigkeit der Polizeiarbeit. Ein offensichtlich verwirrter Mann ist in einem Gastronomiebetrieb aufgetaucht. Er sitzt an einem Tisch. Ihm gegenüber sitzt eine junge Frau. Es stellt sich heraus, dass der Mann an Demenz leidet und in einem Heim in einer nahegelegenen Stadt lebt. Er hatte sich mit dem Bus auf den Weg gemacht und war schließlich im Einkaufszentrum gelandet.

Die junge Frau am Tisch arbeitet zufällig in dem Heim. Letztendlich bot sie an, den älteren Herren ins Heim zurückzubringen. Um sicherzugehen, dass er gut am Auto ankommt, begleiten die Beamten den Mann und die junge Frau noch ein Stück. Die Köpfe der Menschen, die im direkten Umkreis sitzen und alles beobachten, folgen der kleinen Gruppe mit ihren Blicken. Da begleiten drei Polizisten einen alten Herrn und eine junge Frau, gefolgt von einer weiteren Polizistin, die ein Presse-Patch auf dem Rücken trägt und einer Person in Presseweste. Ein Anblick, der zu Spekulationen einlädt.

„Das ist das Problem, wenn Menschen einen Einsatz beobachten und nur Ausschnitte mitbekommen“, sagt Andreas Schwarzer. „Die bekommen nicht immer alles mit. Da können Dinge im Vorfeld passiert sein und sie bekommen nur das mit, was, gerade passiert.“ Und wenn mal was nicht so gut läuft? „Wir machen regelmäßige Nachbesprechungen“, erklärt der Erste Polizeihauptkommissar. „Wir reflektieren dann, ob alles nach den Regeln abgelaufen ist, oder ob wir es besser machen können.“ Der Wunsch des Wachleiters ist klar. Nicht sofort vorverurteilen, wenn man nicht alle Fakten kennt. Auf dem Zusammenhang herausgerissene Szenen und Eindrücke führten oft in die Irre.

Leverkusen: Ruhiger als auf anderen Wachen

Die Spätschicht an diesem Freitag verläuft ruhig. Ist das normal? Wie empfindet Schwarzer die allgemeine Situation in Leverkusen? Immerhin wurde im Jahr 2023 in Deutschland mit 46.218 Fällen ein Höchststand an Übergriffen auf Polizeibeamte erreicht. „Übergriffe auf Beamte hat es schon immer gegeben und gehören leider auch zum Alltag“, sagt er. „Heute wird in der Gesellschaft nur mehr darüber gesprochen, denn die Gründe für solche Übergriffe sind vielschichtig. Nachlassender Respekt, Verrohung oder psychische Belastungen führen zu solchen Ausnahmesituationen.“

Cingöz arbeitet gerne in Leverkusen „Es ist gefühlt ruhiger hier als auf anderen Wachen. Ich bin sehr gerne hier“, sagt der Beamte. Der Alltag der Polizei ist nicht nur Mord und Totschlag. Oft sind es sehr menschliche Situationen, in denen es um keine Straftat geht, sondern um eine andere Art von Hilfe. Hier sind die Beamtinnen und Beamten dann auch schon mal Seelentröster oder einfach nur diejenigen, die zuhören.