Leverkusens Etat 2022Haushaltsloch oder nicht? Ein tiefer Riss geht durch den Rat

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Am Ortsschild gegenüber des Chempark ist das Steuerparadies noch nicht ausgewiesen. Aber die Montage zeigt: Der Titel würde Leverkusen gut stehen. 

Leverkusen – Stefan Hebbel, Chef der CDU-Fraktion, freute sich. In seinem zwölften Jahr im Stadtrat gebe es eine Premiere: Das erste Mal „können wir einen Haushalt selbstbestimmt aufstellen“. Die wichtigste Grundlage dafür sei die Verwandlung der Stadt in ein Gewerbesteuer-Paradies. „Für die Durchsetzung der 250-Punkte-Strategie mussten wir einige Widerstände überwinden und uns gegenüber anderen Kommunen ein dickes Fell zulegen. Aber nicht auszudenken, wo wir heute mit dem aktuellen Haushalt stehen würden, wenn wir das nicht gemacht hätten“, unterstrich der Christdemokrat.

Ums Thema Steuerparadies kreisten am Montag aber auch andere Redner. Und nicht jeder hält die Idee für gut. Mit Blick auf Behauptungen, die Bayer AG habe der Stadtverwaltung geraten, den Gewerbesteuer-Hebesatz zu senken um weitere Abwanderungen von Konzernteilen aus Leverkusen zu stoppen und stattdessen eine Gegenbewegung auszulösen, sagte Erhard Schoofs: „Wenn das so ist, hat Bayer die Stadt quasi erpresst, die Steuern zu senken.“ Der Fraktionschef der Bürgerliste zählte weitere Kritikpunkte auf. Mehr als genug, um den Haushaltsplan für 2022 abzulehnen.

Anwalt der Impfgegner

Linke, Klimaliste, AfD, und der rechte „Aufbruch Leverkusen“ machten es nach zweieinhalbstündiger Debatte am Montag im Rathaus genauso. Markus Beisicht vom „Aufbruch“ gerierte sich wieder als Anwalt der Impfgegner, zu denen auch er selbst zählt. Was die Steuerbelastung angeht, sah er sich mit der FDP auf einer Linie, die ebenfalls anmahnte, dass nach der Gewerbesteuer auch die Grundsteuer zu senken sei. Ein älteres Versprechen.

Auch aus der AfD kam Kritik: Yannik Noé sah angesichts hoher Entnahmen aus der Rücklage und dem Corona-Nebenhaushalt einen lediglich „technisch gesehen“ ausgeglichenen Haushalt: Ausgaben von 750 Millionen Euro stünden Einnahmen von 692 Millionen gegenüber.

Jim Knopf in der Haushaltsrede

Dass Benedikt Rees ebenfalls gegen das Zahlenwerk stimmte, versteht sich. Inhaltlich ging der Ratsvertreter der Klimaliste nicht konkret auf den Etat ein. Stattdessen bediente er sich im Kinderbuch „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“, um seine Opposition darzustellen – einschließlich Buchgeschenk für Oberbürgermeister Richrath.

Zurück zu denen, die den Haushaltsplan durchsetzten: Für Stefan Hebbel liegt auf der Hand, dass Flut- und Pandemie-Folgen Zwänge verursachen: „Nice-to-have-Anträge – und glauben Sie mir, da fällt uns einiges ein – sind in diesem Jahr nicht möglich. Die Schäden der Flut zu beseitigen und der Wiederaufbau von Schulen und Kitas haben oberste Priorität.“ Um der Ursachen Herr zu werden, „müssen wir mit allen betroffenen Kommunen sprechen, um die Bach- und Flussläufe so zu gestalten, dass tausendjährige Hochwasser nicht verhindert, aber abgemildert werden können“, so Hebbel.

„Schwammstadt“ macht Furore

In dieser Hinsicht formulierte Roswitha Arnold einen anderen Ansatz: „Die Anpassung an den Klimawandel beseitigt die Ursachen nicht.“ Und es sei zwar gut, dass nach der Juli-Flut auch in anderen Fraktionen von der „Schwammstadt“ Leverkusen die Rede ist. Aber es müsse viel schneller und konkreter an diesem Projekt gearbeitet werden. Was die Autobahn-Planung angeht, sieht sie den Ball im Feld des neuen Verkehrsministers: „Wir erwarten, dass Volker Wissing unseren Widerstand unterstützt“, unterstrich die Fraktionschefin der Grünen. Der Bund müsse einen Vorschlag machen, der mit den Leverkusener Interessen zu vereinbaren ist, keinen „krakenartige oberirdischen Ausbau“ von A 1 und A 3.

Überaus bedauerlich findet Arnold, dass es auf Schloss Morsbroich nicht weitergeht. Freunde und Förderer hätten erleben müssen, dass „fast jeder Baustein zerbröselt“, der im Konzept zur Revitalisierung des Museums steht.

Nach der Flut bessere Schulen 

Auch für Milanie Kreutz ist klar, dass der Haushaltsplan für das kommende Jahr in großen Teilen ein Reparaturhandbuch ist. Die Investitionsschwerpunkte lägen in „der Aufarbeitung der Flutschäden“ in Schulen und Kitas. Immerhin: Das biete „die Chance innovative und zukunftsgerichtete Ansätze im Schulbau wie neue Raumkonzepte, klimaschonendes Bauen und digitale Vernetzung, umzusetzen. Ebenso können wir so soziale Aspekte des Schulleben neu integrieren“, sagte die Vorsitzende der SPD-Fraktion.

Das alles sei nicht zu stemmen ohne Erstattungen vom Land. Bisher – das hatte Kämmerer Michael Molitor bei der Etat-Präsentation gesagt – geht die Stadt in Vorleistung. Schlecht ist nach Kreutz’ Beobachtung, dass die Flut das Bauprogramm der Stadt komplett durcheinander bringt. „Dabei benötigen wir dringend mehr Tempo“ – und eine andere Verteilung der Kosten zwischen Kommunen, Land und Bund. Auch aus Berlin müsse Rückenwind für das Sanierungs- und Zukunftsprogramm kommen. In Leverkusen gebe es rund 19.000 Schülerinnen und Schüler. Für diese elf Prozent der Bevölkerung müsse mehr getan werden. Das sei für die SPD ein zentraler Punkt.

Riesige Lernabstände

CDU-Fraktionschef Stefan Hebbel lenkte indes den Blick auf den problematischen Ist-Zustand in den Schulen: „Die Luftfilteranlagen für die Schulen und Kitas sind längst bestellt – aufgrund von Lieferengpässen kommen wir auch hier nicht so schnell voran, wie gehofft.“ Schwimmkurse gebe es oft nicht, „Monate im Homeschooling haben ihre Spuren hinterlassen. Die Lernabstände zwischen Kindern einzelner Jahrgänge sind teilweise enorm“, so Hebbel.

Die Juli-Flut habe aber auch allen vor Augen geführt, dass Leverkusen Hochwasser-resistenter werden muss, so Sozialdemokratin Kreutz: „Wir müssen das Stadtbild den sich verändernden Umwelteinflüssen anpassen.“ In diesen Zusammenhang gehöre auch ein „verbindlicher Fahrplan“ zu einer klimaneutralen Energieversorgung bis 2033. Federführend müsse dabei die EVL sein. Dieser Punkt ist auch der Grünen Roswitha Arnold sehr wichtig.

Förschner weckt Erwartungen

Dem ebenfalls am Montag vom Rat bestellten Stadtentwicklungsmanager Justus Förschner schrieb Kreutz als erste Priorität die „Revitalisierung der City C und der Wiesdorfer Innenstadt“ ins Aufgabenheft. Die Rahmenbedingungen seien ja gut: „Zusammen mit dem neuen Busbahnhof in Wiesdorf und dem Ausbau der RRX-Linie haben wir eine nahezu perfekt an den öffentlichen Nahverkehr angebundene Innenstadt mitsamt Fußgängerzone, die nur darauf wartet, wieder mit Leben gefüllt zu werden.“

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Markus Pott sieht im Entwurf des Etats genug Gutes, um ihm zuzustimmen. Er erkennt in der jüngsten Prognose von Kämmerer Molitor auch Anzeichen, „dass das Abenteuer Gewerbesteuersenkungen bisher gut verläuft. Es könnte sein, dass sich der Mut zum Risiko auszahlt.“ Keneth Dietrich (Linke) sorgt sich, über die großen Gegensätze, die in der Pandemie zutage treten. „Ich dachte, wir wären als Gesellschaft weiter.“

Monika Ballin-Meyer-Ahrens hätte für die FDP gerne noch einen Ausgaben-Bremsklotz in den Haushalt 2022 gesteckt. Damit setzte sie sich allerdings nicht durch.

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