Junges Ensemble erzählt mit „Alice und ich“ die bekannte Geschichte aus dem Wunderland neu – radikal subjektiv und surreal. Im Matchboxtheater Hitdorf wird der Kaninchenbau zur Psyche und der Wahnsinn zur Bühne der Wahrheit.
Matchboxtheater in HitdorfAlice' Reise ins Wunderland wird zum Psychotrip

Zwischen Wahnsinn und Wirklichkeit: Alice im Wunderland der eigenen Psyche - das Ensemble des Hitdorfer Matchboxtheaters verwandelt Trauma in surreale Theatermagie.
Copyright: Timon Brombach
Es ist Drogentrip durch Trauma, Familie und Fantasie: Alice steht auf der Bühne. Ihre Füße wackeln nervös. Ihr Blick irrt. In ihrer Hand: ein Schwert – das nicht da ist. Oder doch? Über ihr hängen Spielkarten, schwerelos, wie eingefrorene Gedanken. Um sie herum murmeln Stimmen - bedrückend. Die Bühne ist kein Ort – sie ist ein Zustand. „Alice und ich“, die aktuelle Produktion des Matchboxtheaters, beginnt wie ein Märchen, doch endet wie ein Rausch. Oder ist es umgekehrt? Die Inszenierung von Regisseurin Monika Noltensmeier und ihrem Ensemble „Plan B“ ist ein kollektiver psychologischer Trip – geschrieben, gespielt und durchlitten von ihr und den Darstellerinnen und Darstellern selbst.
Psychedelischer Realismus in Leverkusener Theater
Das Stück erzählt die Geschichte der jugendlichen Alice, gespielt von Ivy Laufs, die sich aus einer zerrütteten Familie in einen Drogenrausch flüchtet. Die Realität: Sucht, Sprachlosigkeit, Gewalt. Die Flucht: ein chemischer Schlüssel ins Wunderland. Was dort auf sie wartet, sind keine fremden Fantasiegestalten, sondern verzerrte Versionen ihrer Familie. Die Herzkönigin (Alicia Müller) ist ihre Mutter, der Herzkönig (Gereon Wollek) ihr Vater, der Herzbube ihr Bruder.
Auch ihre Freundinnen tauchen auf – als Hutmacherin oder Grinsekatze, als Weggefährtinnen durch ein Land, in dem nichts sicher ist - außer dem Schmerz. Doch statt einer Handlung im herkömmlichen Sinn entfaltet sich die Geschichte als Reise durch Innenräume. Immer wieder durchbrechen intensive Monologe das Geschehen, teils autobiografisch vom Ensemble geschrieben.
Hitdorfer Ensemble mit Herzblut
Obwohl es sich um Schauspiel-Laien handelt, ist nichts dilettantisch. Im Gegenteil: Man spürt in jedem Satz, in jeder Bewegung eine Ernsthaftigkeit und emotionale Unbedingtheit, die man im professionellen Theater manchmal vergeblich sucht. Die Spielenden haben nicht nur mitgeschrieben – sie haben mitgedacht, mitgefühlt, mitgekämpft.
Die Ausstattung ist schlicht, aber eindrücklich. Die schwerelos über der Bühne hängenden Spielkarten schaffen sofort ein Gefühl von Entrücktheit. Die Kostüme sind aufwendig und fantasievoll, gleichzeitig aber nie verspielt im Sinne von „niedlich“. Eher wirken sie wie Rüstungen aus einem kindlichen Traum. Das enge, intime Matchboxtheater tut das Übrige: Man ist nicht Zuschauer, sondern Mitbewohner in Alice’ Kopf.Ein klug eingesetztes Sounddesign verstärkt die immersive Wirkung. Immer wieder tauchen Stimmen vom Band auf – sie sprechen den Figuren zu, manipulieren, verwirren.

Die neue Produktion des Matchboxtheaters in Hitdorf
Copyright: Timon Brombach
Alice hat eine Aufgabe: Sie soll ein Schwert finden. Und am Ende – so deutet es sich an – steht sie vor der Entscheidung, ob sie damit dem Herzkönig und der Herzkönigin den Kopf abschlagen will? Ob sie abrechnen will mit ihrer Vergangenheit. Die Inszenierung verweigert sich einer simplen Auflösung. Kein „Happy End“, kein pädagogischer Zeigefinger. Nur die Frage: Was tun mit dem Schmerz, den man nicht selber verursacht hat, aber trotzdem tragen muss? „Alice und ich“ ist eine psychodramatische Wunderlandreise – intelligent komponiert und atmosphärisch dicht. Es ist ein Abend, der verstört – und berührt. „Irgendwann fühlt sich Wahnsinn fast so an wie…“, alle beenden den Satz im Chor: „Freiheit“.
Aufführungen von „Alice und ich“
Das Stück wird am Freitag, 27. Juni, und am Samstag, 5. Juli, um jeweils 20 Uhr im Matchboxtheater in Hitdorf aufgeführt.