Eine Gummersbacher InstitutionDie Familie Martini kreiert seit 120 Jahren Eissorten

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Giuseppe Martini, Sohn Alessandro und Ehefrau Anita Pontalti-Martini führen heute den Betrieb.

Giuseppe Martini, Sohn Alessandro und Ehefrau Anita Pontalti-Martini führen heute den Betrieb.

Gummersbach – Der Schnurrbart gezwirbelt, die blütenweiße Schürze gestärkt, die bauchigen, runden Deckel der beiden Eisbehälter auf Hochglanz poliert, den Eiskarren mit der Aufschrift „Gelateria“ dekorativ ins Bild gerückt – so präsentierte sich Giuseppe Martini mit stolzem Blick im Jahr 1900 dem Fotografen.

Von Italien über Kiel nach Gummersbach

Das Bild im Gummersbacher Eisgeschäft „Martini to go“ erinnert an 120 Jahre Familiengeschichte im Dienst der heiß geliebten kalten Köstlichkeit, die seit Ende der 1960er Jahre auch eng verflochten ist mit der Kreisstadt und geradezu eine Institution ist. Generationen von Gummersbacher Kindern haben hier Eis aus knusprigen Hörnchen geschleckt – anfangs kostete das Bällchen noch zehn Pfennig – und haben als Teenager an den kleinen Tischen, hinter der Theke geschützt vor neugierigen Blicken der Erwachsenen, den ersten Flirt gewagt, haben ein Bananasplit aus Gondeln im Muranoglas-Stil gelöffelt. Die Korsofahrt beim Schützenfest legte manches Mal einen Stopp vor dem Stammcafé an der Kaiserstraße ein, auch die Handballer vom VfL Gummersbach, wenn sie als gefeierte Pokalsieger oder Deutsche Meister durch die Stadt zogen.

Dabei begann die Eisgeschichte der Martinis ursprünglich im hohen Norden. „Der Großvater ging damals mit seinen Brüdern zuerst nach Kiel“, erzählt der heute 55-jährige Enkel Giuseppe, der nicht nur die Tradition, sondern auch den Namen vom Begründer der Eisdynastie geerbt hat. „Mein Vater war damals eine ganze Woche lang unterwegs, zu Fuß und mit dem Zug.“

Die Martinis stammen aus dem Zoldotal in den Dolomiten, und dort kennt jedes Kind die Geschichte vom Aufbruch der Eispioniere ins ferne Germania. Anlass war die Not in dem kargen, schattigen Tal mit seinen steilen Hängen, dessen Bewohner lange Zeit davon lebten, Eisenerzvorkommen auszubeuten und Nägel für Venedig zu schmieden. Damit war es mit der wachsenden Industrialisierung vorbei, die Männer zogen in die Lagunenstadt, um mit Bauchläden kandierte Früchte zu verkaufen und lernten dort das Speiseeis kennen, hergestellt in Kupferkesseln, die mit großen Schwungrädern in einer Lake aus Salz und zerstoßenem Wassereis gedreht wurden. „Vanille und Schokolade, mehr gab’s nicht“, weiß Giuseppe Martini. Damals zogen die Eismänner für zwei Monate nach Norden, später für ein halbes Jahr. Das italienische Eis wurde zur Erfolgsgeschichte. Da mussten die Frauen mithelfen. Auch Giuseppes Mutter Rina.

Gummersbacher Landschaft erinnert an die Heimat

1956 hatte sein Vater Lino eine Eisdiele in Solingen übernommen, 1967 kam er nach Gummersbach. „Die Landschaft hier mit den Bergen und Wäldern gefiel ihm, sie erinnerte ihn ans Zoldotal“, sagt der Sohn, „nur ohne Dolomiten.“ Als Kleinkind war Giuseppe Martini II. im Sommer in Gummersbach, als Schulkind dann im Internat in Italien. Im Winter, wenn in der Eisdiele an der Kaiserstraße statt Zabaione und Stracciatella Allerheiligengestecke und Adventskränze des benachbarten Blumengeschäfts verkauft wurden, war die Familie im Zoldotal vereint. Schwer? „Wir Eisfamilien waren ja alle in derselben Situation.“ Der heute 55-Jährige zuckt die Schultern. „Halb Gummersbach, halb Italien, Gummersbach ist die Heimat, Italien das Vaterland. So ist eben unsere Tradition.“

Deshalb hat er auch im Jahr 1992 das Geschäft zusammen mit seiner Frau Anita Pontalti-Martini von Mutter Rina übernommen, obwohl er auch gern Archäologe geworden wäre, verrät er. Und weil auch ihm die Tradition so sehr am Herzen liegt, ist jetzt Sohn Alessandro der junge Chef von „ Martini to go“ an der Alten Rathausstraße.

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Zur Zeit ist es das einzige Geschäft der Familie Martini in Gummersbach, nachdem es im Laufe der Zeit mehrere Standorte gab, zuletzt im Forum. „Das Café dort haben wir aufgegeben, die Pandemie hat uns geschlagen, die Miete wurde uns zu teuer“, begründet Giuseppe Martini. In Coronazeiten sei es sicherer, Eis zum Mitnehmen anzubieten.

Doch das ist nicht alles: Anita Pontalti-Martini kreiert auf Bestellung fantasievolle Eistorten, mal knallbunt und süß für den Kindergeburtstag, mal mehrstöckig, romantisch und in Weiß für die große Hochzeitsfeier. Auch Sohn Alessandro Martini möchte neue Wege gehen: Im Dornseifer-Markt gibt es jetzt original italienisches Martini-Eis abgepackt im Becher, vorerst als Experiment, erklärt der 27-Jährige. Und im nächsten Jahr soll es dann in der neu gestalteten Citypassage wieder ein Eiscafé geben: „Wir hoffen, dass wir im Sommer 2022 eröffnen können.“

Dann können vielleicht die Zwillinge seiner Schwester Jessica, die bald zur Welt kommen sollen, schon am Eishörnchen knuspern – und vielleicht, wenn sie später groß sind, die 120-jährige Familientradition in fünfter Generation fortsetzen.

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