Weniger BriefeDie „elektronische Akte“ macht das Amtsgericht digital

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Die hohen Aktenberge auf dem Schreibtisch von Michelle Koschwitz sollen bald der Vergangenheit angehören.

Die hohen Aktenberge auf dem Schreibtisch von Michelle Koschwitz sollen bald der Vergangenheit angehören.

Wipperfürth/Lindlar – Die Briefträger der Region müssen neuerdings deutlich weniger Anwaltspost stemmen. Viel Arbeit übernimmt jetzt das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA). Seit dem 1. Januar 2022 müssen Anwälte für die Kommunikation mit dem Gericht diesen Weg nutzen – für beide Seiten ist der elektronische Rechtsverkehr Wirklichkeit geworden.

Wen trifft die Pflicht zur ausschließlich elektronischen Kommunikation?

Klagen und Schriftsätze dürfen Rechtsanwälte inzwischen nur noch als elektronische Dokumente bei Gericht einreichen. Aber auch Behörden sind an diese Pflicht gebunden, zum Beispiel das Finanzamt oder die Stadtverwaltung. Wahrscheinlich trifft sie zudem Akteure, die sich noch gar nicht darüber im Klaren sind, dass sie von der Neuerung betroffen sind. „Streng genommen müssten etwa auch die Schulen diesen Weg wählen, wenn sie mit dem Verwaltungsgericht kommunizieren“, betont Andreas Türpe, Direktor des Wipperfürther Amtsgerichts. Den einfachen Bürger trifft die Pflicht (noch) nicht.

Wie funktioniert das Postfach?

Vereinfacht erklärt ist beA ein Mailprogramm mit hohen Sicherheitsschranken. Jeder in Deutschland zugelassene Anwalt erhält ein solches Postfach über die Bundesrechtsanwaltskammer. „Dazu kommen eine Karte, die persönlich zugeordnet ist, und ein passendes Kartenlesegerät“, erklärt der Lindlarer Rechtsanwalt Oliver Lenort. Über das Lesegerät gibt er einen individuellen Code ein, um den Zugriff auf sein Postfach zu legitimieren. Es kann auch mehrere Karten pro Postfach geben. So kann zum Beispiel auch Lenorts Assistentin Anke Petzhold mit ihrem Code Nachrichten abrufen und vorbereiten, manche Funktionen bleiben allerdings dem Anwalt vorbehalten. Die Arbeit der Notare funktioniert inzwischen nach dem gleichen Prinzip – das besondere elektronische Notarpostfach (beN) trägt nur einen anderen Namen.

Was passiert beim Gericht mit den Nachrichten?

Das Amtsgericht Wipperfürth greift über das Elektronische Gerichts- und Verwaltungspostfach (EGVP) auf die digitale Infrastruktur zu. Was kompliziert klingt, funktioniert genau wie auf der Anwaltsseite. Auch an der Gaulstraße gibt es Codekarten und Lesegeräte, wie Geschäftsleiterin Michelle Koschwitz zeigt. Eine Klage aus Lenorts Lindlarer Kanzlei landet im Nu auf ihrem Rechner und wird von dort aus weiterbearbeitet – komplett papierlos.

Wie bewertet das Amtsgericht die neue Pflicht?

Für Andreas Türpe bringt vor allem die Kommunikation in Echtzeit enorme Vorteile. Wenn eine Partei etwa eine Terminverlegung beantragt, kann er sofort antworten und auch die Gegenseite informieren. Lange und unklare Postlaufzeiten stören nun nicht mehr. Und auch Diskussionen darüber, wann etwas bei Gericht eingegangen ist, dürften nun der Vergangenheit angehören.

Was sagt der Anwalt?

Auch Oliver Lenort, der bereits seit dem Frühjahr 2021 den digitalen Postweg nutzt, zieht ein erstes positives Fazit. „Ökologisch war es wahnsinnig, dicke Aktenberge bis zu fünfmal auszudrucken.“ Schon bei einem simplen Verkehrsunfall mit 1000 Euro Schaden müsse man inklusive Versicherungsgutachten immer mit mindestens 30 Seiten pro Fall rechnen. Erheblich erleichtert werde der Kanzlei-Alltag auch bei der Wahrung von Fristen.

„Es gab immer mal Tage, da war das Fax des Kölner Landgerichts ausgerechnet am letzten Tag einer Frist durchgehend besetzt. Dann überlegst du dir gegen 22 Uhr schon, ob du es weiter versuchen sollst oder langsam mal ins Auto steigst, um das Schreiben in Köln einzuwerfen“, erinnert sich Lenort. Inzwischen sendet er seine Nachricht ab und erhält sofort einen sekundengenauen Zustellungsnachweis.

Wo hakt es noch?

„Eine Umstellung läuft natürlich nicht ruckelfrei ab und das kann sie bei dieser Größenordnung auch gar nicht“, findet Rechtsanwalt Oliver Lenort. Trotzdem könnten manche Probleme einfach gelöst werden. So habe das Amtsgericht Euskirchen – das immerhin zentral alle Mahnbescheide für das gesamte Rheinland erstellt – informiert, dass es dort gerade einmal zwei IT-Fachleute gibt, die das System betreuen. „Die beiden sind natürlich hoffnungslos überlastet und für uns telefonisch kaum zu erreichen.“

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Unklarheit bestehe auch bei der Zwangsvollstreckung. Bislang benötigte der Gerichtsvollzieher den Original-Titel in Papierform und das wird auch so bleiben, denn eingescannt ist es nicht mehr das Original. Wie man dann aber andererseits die Pflicht, nur noch elektronisch an den Gerichtsvollzieher heranzutreten, umsetzen solle, bleibe offen, so Lenort. „Momentan tauchen einzelne Probleme auf, für die Lösungen gefunden werden müssen“, sagt Andreas Türpe. Gemeinsam mit Kollegin Koschwitz, Anwalt Oliver Lenort und Anke Petzhold ist er sich aber einig, dass manche Schwachstelle den grundsätzlichen großen Fortschritt nicht trüben kann.

Hintergrund: Die elektronische Akte

Von der neuerdings verpflichtenden elektronischen Kommunikation ist die Art der Aktenhaltung zu unterscheiden – also die Frage, wie das Gericht Schreiben, Beweise und Anträge zu einem Fall archiviert. Dafür würde sich die sogenannte elektronische Akte anbieten, die von der Klage bis zum Urteil papierlos konzipiert ist. Denn die elektronisch erhaltenen Dokumente auszudrucken wäre ein „Medienbruch“, wie das NRW-Justizministerium auf seiner Homepage einräumt.

Allerdings beschäftigen die Details der e-Akte das Düsseldorfer Ministerium seit Jahren. Als Pilotgericht führt das Amtsgericht Wipperfürth die e-Akte bei Zivilstreitigkeiten seit Juli 2019 – damit ist man hier schon deutlich weiter, als viele andere Gerichte des Landes. „Das richtige Aktenzeichen vorausgesetzt, legt das elektronische Postfach jedes Schreiben automatisch in der e-Akte ab“, erklärt Geschäftsleiterin Michelle Koschwitz.

Aktuell laufen landesweit weitere Pilotphasen. Stand heute, will die Landesregierung die e-Akte flächendeckend bis 2026 einführen.

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