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ErinnerungGunter Demnig hat sechs Stolpersteine in Nümbrecht verlegt

Lesezeit 4 Minuten
In der Nümbrechter Marktstraße verlegte Gunter Demnig (77) am Samstag neue Stolpersteine.

In der Nümbrechter Marktstraße verlegte Gunter Demnig (77) am Samstag neue Stolpersteine.

In Nümbrecht erinnern seit Samstag neue Stolpersteine an ehemalige jüdische Mitbürger, die 1942 ermordet wurden.

Menschenauflauf in der Marktstraße: Ein älterer Herr mit breitkrempigem Hut, Halstuch, Weste über dem Jeanshemd, versenkt im Schatten der evangelischen Kirche Pflastersteine im Fahrbahnbelag: Der Herr, das ist der Künstler Gunter Demnig, der am Wochenende in der Schlossgemeinde zu Gast war. Am Samstag verlegte er im Beisein dutzender Menschen sechs seiner berühmten Stolpersteine im Nümbrechter Hauptort.

Erinnerungen an die Familien Goldbach und Herz

In die Messingplatten der Steine sind die Namen und Daten von Juden geschlagen, die im Haus mit der Nummer vier gelebt haben, ehe die Nazis sie abholten und ermordeten: Angehörige der Familie Herz: Der Künstler Gunter Demnig verlegte in der Nümbrechter Marktstraße Stolpersteine für die Familie Herz – für Mutter Rosa Herz (Jahrgang 1879) sowie die Kinder Paul und Meta Herz. Ein vierter Stein mit der Erinnerung an den jüngeren Sohn Werner Ludwig Herz, der 1936 aus Nazi-Deutschland geflohen und nach Südafrika ausgewandert war, wird nachgeliefert. Der Vater, Louis Herz, war vermutlich zuvor in Nümbrecht verstorben.

Die Mutter und die Kinder wurden am Samstag, 18. Juli 1942, auf Geheiß der Gestapo in Köln abgeholt; am Sonntag, 19. Juli, nach Köln-Deutz gebracht; am Montag, 20. Juli, nach Maly Trostinec bei Minsk in Belarus deportiert und dort, wohl schon am Tag der Ankunft am Freitag, 24. Juli, ermordet. Die Daten hat sich die Gemeinde Nümbrecht vom Bundesarchiv bestätigen lassen.

Erste Stolpersteine liegen schon seit 2014 in Nümbrecht

Zwei Straßen weiter, vor dem Haus Am Hof 3, hatte Demnig zuvor Stolpersteine für das Ehepaar Eugen und Sybilla Goldbach (geb. Herz) und Sohn Ludwig Goldbach verlegt. Sie wurden am gleichen Tag in Maly Trostinec ermordet wie ihre Nachbarn.

Die Menschen, deren Namen die neue Stolpersteine tragen, „haben einmal mitten zwischen uns gelebt“, sagte Nümbrechts Bürgermeister Hilko Redenius, „mit den Stolpersteinen holen wir zumindest ihre Namen zurück“. In Nümbrecht   hat das Gedenken an die jüdischen Mitbürger, die den Antisemitismus im Nationalsozialismus nicht überlebt haben, Tradition. Seit 2014 erinnern Stolpersteine an Angehörige der Familie Baer.

Gunter Demnig hielt im Nümbrechter Parkhotel einen Vortrag.

Freitags hatte Gunter Demnig im Parkhotel gesprochen.

Vortrag im ParkhotelSchon am Freitagabend war der gebürtige Berliner Demnig im Nümbrechter Parkhotel aufgetreten; dort hielt er vor gut gefüllten Reihen einen kurzweiligen Vortrag über seine Arbeit als Künstler in den vergangenen Jahrzehnten und lieferte jede Menge Denkanstöße – auch über die Stolpersteine hinaus. Im Anschluss gab es die Möglichkeit, dem 77-Jährigen Fragen zu stellen. „Ich habe an den Reaktionen gemerkt, dass die Leute wirklich interessiert waren“, fasste er tags drauf seinen positiven Eindruck zusammen. Spuren sammeln, Spuren legen: Dieses Motiv zieht sich wie ein roter Faden durch seine Arbeiten, berichtete er.

Stolpersteine für die Familie Herz.

Stolpersteine für die Familie Herz in Nümbrecht.

Das Konzept nutzte er schon 1980 bei seinem  Spurenprojekte „Duftmarken Cassel–Paris“ auf, zehn Jahre später griff er es wieder auf bei der Arbeit „Mai 1940 – 1000 Roma und Sinti“. Demnig druckte damals den Weg der Sinti und Roma durch die Stadt zum Messelager, von wo aus die Deportationen nach Polen begannen, auf die Straßen Kölns. „Mit bester Fassadenfarbe“, wie er in Nümbrecht verriet. Zwei Jahre danach verlegte er in Köln die ersten Stolpersteine, damals noch ohne Genehmigung, wie er betonte.

Inzwischen liegen europaweit mehr als 117.000 dieser Stolpersteine. „Jeder Buchstabe auf jedem dieser Steine ist von Hand geschlagen“, betonte Demnig, wenn auch nicht alle von ihm selbst. Im Augenblick kümmert sich der Künstler nur um das Stolperstein-Projekt, „das ist mein Lebenswerk geworden“. 2019, berichtet er, sei er 270 Tage lang in dieser Sache unterwegs gewesen – nicht zur Freude seiner Frau.

Demnig berichtete auch von Gegenwind

Demnig, der seit einigen Jahren im Vogelsbergkreis in Mittelhessen lebt, schilderte auch, wie er mit seinen Stolpersteinen aneckt. Rund 900 Mal seien Steine mutwillig zerstört worden. Er berichtete von der Empörung heutiger Hausbewohnern, die keine permanente Erinnerung an das Unrecht vor der Tür haben wollen. Ein Hausbesitzer habe gar – erfolglos – gerichtlich eine Wertminderung von 100.000 Euro   geltend machen wollen, nachdem Stolpersteine vor seinem Haus verlegt worden waren. Und dann war da noch die Nacht vor dem Gedenktag der Reichspogromnacht, als in Greifswald alle Stolpersteine herausgerissen wurden. Nicht zu vergessen die drei Morddrohungen, die er bekommen habe, wie der Künstler berichtet.

Auf der anderen Seite stimme es ihn hoffnungsvoll, wenn Schulklassen sich an dem Projekt beteiligen. Der Aspekt, die junge Generation auf die Spur zu setzen, ist ihm besonders wichtig:   „Die wollen nämlich wissen: Wie konnte so etwas im Land der Dichter und Denker überhaupt passieren?“

Videoaufnahmen von der jüngsten Nümbrechter Stolpersteinverlegung will Marion Reinecke, Vorsitzende des Freundeskreises Nümbrecht-Mateh Yehuda, an Nachfahren der Familien Herz und Baer schicken. Beide leben in Florida in den USA, wissen aber womöglich nichts von einander. Das würde Marion Reinecke gerne ändern.