„Mit Anfeindungen rechnen”Oberbergs Netzwerk gegen Rechts hat neue Leitung

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Gudrun Martineau hat die Leitung der Koordinierungsstelle des oberbergischen Netzwerks gegen Rechts zum Jahreswechsel an Jens Künstler abgegeben.

Oberberg – Es bedurfte der Aufdeckung der NSU-Mordserie, dass in Oberberg ein Netzwerk gegen Rechts gegründet wurde. 2010 hatte der Kreistag einen Antrag von SPD und Grünen darauf noch mehrheitlich abgelehnt, im Dezember 2011, kaum vier Wochen nach Bekanntwerden der NSU-Gräueltaten und dem Auftauchen einer Todesliste, auf der auch die Namen oberbergischer Politiker standen, schwenkte der Kreistag um: Bis auf das Kreistagsmitglied der rechten Splitterpartei pro NRW stimmte das Gremium geschlossen dafür, ein solches Netzwerk einzurichten.

Schon kurz nach dem Jahreswechsel sollte zu einem ersten Treffen eingeladen werden. Mit dabei: der Runde Tisch gegen Rechts aus Radevormwald und das Bündnis „Oberberg ist bunt – nicht braun“. Dessen Vorsitzende war damals Gudrun Martineau, die Landrat Hagen Jobi bald dafür gewinnen konnte, die Leitung einer Stelle zum Aufbau und Koordinierung eines solchen Netzwerks zu übernehmen – als geringfügig Beschäftigte.

Information und Aufklärung im Vordergrund

Zum Jahreswechsel hat sich die gelernte Fotodesignerin jetzt mit 65 Jahren in den Ruhestand verabschiedet und die Leitung der Koordinierungsstelle ihrem Nachfolger Jens Künstler übergeben. Strukturen schaffen, das hatte sich Martineau als erste Aufgabe gestellt: „Drängender als Veranstaltungen durchzuführen war, wer sie durchführt, wer etwas tut“, erinnert sich Martineau: „Ohne Strukturen wäre das Ganze in einigen Monaten ins Nichts gelaufen.“

Nach acht Jahren sind die Strukturen geschaffen und die Aufgaben. Von dem anfänglichen Anspruch, die rechte Szene zu bekehren, hat man sich früh verabschiedet. Heute stehen Information und Aufklärung im Vordergrund. Das Netzwerk sammelt Hinweise über Vorkommnisse mit rechtsextremistischem, rassistischem oder antisemitischem Hintergrund im Oberbergischen und will ein Bewusstsein erzeugen von rassistischen, diskriminierenden, fremdenfeindlichen Vorkommnissen oder Haltungen im Alltag. In Schulen, Vereinen und Verwaltungen werden Mitarbeiter geschult, es gibt spezielle Veranstaltungen für Schüler und junge Erwachsene.

Rechte treten subtiler auf

Nach Martineaus Einschätzung treten die Gegner von Rechts heute einerseits massiver, zugleich aber auch subtiler auf. Vor wenigen Jahren versuchten etwa die Freien Kräfte Oberberg noch, in Veranstaltungen des Netzwerks zu kommen. Offiziell ist die Vereinigung inzwischen aufgelöst, „aber weg sind sie deshalb ja nicht“. Und ihr Gedankengut auch nicht. Das Netzwerk gegen Rechts, dem inzwischen 74 Organisationen und Institutionen angehören – darunter alle Kommunen –, hat es mit einem meist unsichtbaren Gegner zu tun.

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Deshalb zu glauben, Rechtsextremismus gebe es im Oberbergischen Kreis nicht, sei aber grundfalsch, warnt Gudrun Martineau. Dass Unbekannte Martineau kurz vor ihrem Ruhestand nachts einen dicken Stein durchs Wohnzimmerfenster warfen (wir berichteten), hat Jens Künstler nicht abgeschreckt, seine neue Aufgaben zu übernehmen: „Mit Anfeindungen muss man rechnen.“ Trotzdem möchte er seinen Wohnort in Oberberg lieber nicht nennen. Künstler ist 52 Jahre alt, gelernter Sozialarbeiter mit langjähriger Erfahrung als Schul- und Medienpädagoge in der Jugendarbeit. Zuletzt arbeitete er in einer Einrichtung für geistig Behinderte.

Das wird er stundenweise auch in Zukunft tun, denn im Netzwerk hat er lediglich eine Zweidrittelstelle. Künstler will das Netzwerk präsenter in der Öffentlichkeit machen. Dabei wird ihm seine Erfahrung als Medienpädagoge sicher ebenso nützen wie die Jahre in der Jugendarbeit. Eigentlich, sagt er mit einem Lächeln, habe er gar keinen neuen Job gesucht, aber angesichts des zunehmenden Alltagsrassismus’ sei es für ihn „an der Zeit, dagegen etwas zu tun“. 

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