Erschöpft den ganzen Tag17-Jährige Kürtenerin leidet an seltener Krankheit

Lesezeit 5 Minuten
Neuer Inhalt

Erschöpft ist Mia den ganzen Tag. Hier ein Symbolfoto zur Chronischen-Fatigue-Krankheit.

Kürten – Die Freundinnen von Mia schmieden Zukunftspläne. Abitur, Studium, Beruf, erste Liebe, Freunde. Mit 17 ist das normal. Das ist die Geschichte von Mia und ihrer Krankheit. Mia heißt in Wirklichkeit anders, sie möchte hier anonym bleiben. Mia ist schwer krank.

Es ist eine multiple Störung, die das Mädchen in der Blüte ihres Lebens an den Rollstuhl fesselt. Mia ist höchstens 30 Minuten am Tag belastbar, wenn überhaupt, berichtet ihre Großmutter. Manchmal seien es auch nur 15. Die Großmutter wohnt in Kürten, Mia mit ihrer Familie in Wermelskirchen. Geräusche und Licht kann Mia kaum ertragen.

Die Krankheit

250000 Betroffene in Deutschland

Die Myalgische Enzephalomyelitis/das Chronische Fatigue Syndrom führt zu einem hohen Grad an körperlicher Behinderung. Laut der Deutschen Gesellschaft für ME/CFS sind weltweit 17 Millionen Menschen betroffen. In Deutschland schätzt die Gesellschaft die Zahl auf 250000 Menschen, darunter 40000 Kinder und Jugendliche. Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS tritt dafür ein, die Forschungsanstrengungen zur Bekämpfung der Krankheit deutlich zu verstärken. Bislang ist ME/CFS nicht heilbar.

Im Vertrag der Ampel-Koalition wird die Krankheit ebenfalls genannt: „Zur weiteren Erforschung und einer bedarfsgerechten Versorgung rund um die Langzeitfolgen von Covid-19 sowie für das chronische Fatigue-Syndrom (ME/CFS) schaffen wir ein deutschlandweites Netzwerk von Kompetenzzentren und interdisziplinären Ambulanzen.“ (cbt) 

Jede Bewegung kostet Überwindung, ihr ganzer Körper schmerzt und oft kommen Kopfschmerzen hinzu. An manchen Tagen liegt sie in einem abgedunkelten Raum auf dem Sofa, mit Schlafbrille und Kopfhörern als Schutz. Jede Störung kann zuviel sein und einen schlimmen Rückfall mit sich bringen. 16 Stunden am Stück schläft Mia, um 7 Uhr abends endet der Tag für sie.

Hilfe beim Essen

Sie braucht Hilfe beim Duschen, für alle alltäglichen Dinge. Ernährt wird sie über eine Sonde, mit Flüssignahrung; auch der Körper fährt alle Systeme runter, feste Nahrung kann das Mädchen keine aufnehmen. Mia ist stark abgemagert. Zur Schule kann sie nicht mehr gehen, ein Versuch mit einem Hauslehrer scheiterte. Viel zu anstrengend, sei das für ihre Enkelin. „Schon ein Gespräch, eine emotionale Empfindung kann eine enorme Belastung sein“, schildert die Kürtenerin den Alltag ihrer Enkelin.

Körper ist geschwächt

Mia ist Gefangene in ihrem Körper. Der Kopf sagt: Ich will. Der Körper sagt: Ich kann nicht. „Der Körper gewinnt“, sagt die Großmutter. „Aber Mia ist so unheimlich tapfer und lässt ich nicht unterkriegen.“

Mittlerweile weiß die Familie, woran Mia leidet. ME/CFS wird die tückische Krankheit von Medizinern genannt, „Myalgische Enzephalomyelitis“ oder auch „Chronisches Fatigue-Syndrom“. Eine Krankheit, gegen die es kein Medikament, keine Impfung gibt. ME/CFS ist unheilbar. Ihre Symptome ähneln Long Covid. Auch mit „Fatigue“, sagt die Großmutter, werde eine allgemeine körperliche Schwäche und Erschöpfung beschrieben. Das passe auf Mias Krankheit nicht. „Es sind so viele Symptome, die zusammenkommen.“ Die Großmutter ringt um Fassung: „Wir fühlen uns so hilflos.“ Die Forschung müsse alles tun, um bei der Bekämpfung voranzukommen.

Erste Anzeichen 

Vor rund zwei Jahren zeigten sich erste Anzeichen bei dem Mädchen. Zunächst eher belanglose, kaum wahrnehmbare. Abgeschlagenheit, Appetitlosigkeit, Ermüdung. Das gibt sich wieder, irgendwie eine Überanstrengung, dachten die Eltern. Aber die Symptome wurden stärker. Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat. Erste Zusammenbrüche kamen. Immer schneller hintereinander, und auch die Folgen des Zusammenbruchs blieben länger.

Alles, was den Körper anstrengt, belastet bei dieser Krankheit über viele Wochen. Wenn Mia sich länger als die 30 Minuten am Tag belastet, wird alles noch viel schlimmer. Zähneputzen, Haarewaschen oder ein paar Schritte gehen, können dann dramatische Folgen haben. Der „Crash“, der Zusammenbruch, dauert bei dieser Krankheit über Wochen, manchmal länger als einen Monat. So ist das auch bei Mia. Die Furcht vor dem Crash beherrscht das Zusammenleben.

Odyssee der Ärzte

Eine Odyssee an Arztbesuchen liegt hinter der Familie. Pfeiffersches Drüsenfieber, Corona und Grippe, wurden vermutet. MRT, CT, Blutuntersuchungen, alles ohne Durchbruch. Niemand wisse, aus welchen Grund die Krankheit ausbreche, erklärt die Großmutter. Im vergangenen Jahr habe ein Besuch in der Kinderklinik von München-Schwabing traurige Gewissheit gebracht. Sechs „Marker“, sechs Anzeichen, stimmten mit ME/CFS überein.

Zweifel gebe es keine mehr. „Ja, es ist diese Krankheit, an der Mia leidet.“ Eigentlich nehme dieses Klinikum nur Patienten aus Bayern auf, und Mias Untersuchung sei eine Ausnahme gewesen. Das Schwabinger Krankenhaus ist eines der wenigen in Deutschland, die auf ME/CFS spezialisiert seien. In NRW gibt es kein Krankenhaus, das auf ME/CFS ausgerichtet ist. Aber auch die Schwabinger Ärzte konnten nicht helfen: In der Klinik erlitt Mia einen Crash, sie musste die Behandlung abbrechen und mit dem Krankenwagen zurück ins Bergische gebracht werden.

Der Körper nimmt nicht auf

Möglicherweise sei eine Störung des Energiestoffwechsels für die Krankheit verantwortlich, berichtet die Großmutter von den jüngsten wissenschaftlichen Ergebnissen. „Alle Regulationsmechanismen des Körpers funktionieren bei Mia nicht“, erklärt sie. Alles sei bei der 17-Jährigen aus dem Takt.

Das könnte Sie auch interessieren:

Tapfer ertrage das Mädchen die Einschränkungen, berichtet die Großmutter von ihrer Enkelin. Immer mit der Hoffnung, dass es irgendwann besser wird. Jeder in der Familie und im Freundeskreis hoffe auf eine Wendung zum Positiven. Aber Gewissheit gebe es nicht. Niemand könne sagen, ob die Krankheit bei Mia wieder verschwinde oder ob sich die Symptome veränderten. „Wir halten zusammen“, sagt die Großmutter.

KStA abonnieren