„Ein Sonnenschein“Wie der kleine David eine neue Familie in Kürten fand

Lesezeit 4 Minuten
Ein Baby nimmt die Hand eines Erwachsenen.

Kinder, die nicht bei den Eltern bleiben können, brauchen liebevolle Pflegefamilien. (Symbolbild)

Den damals dreieinhalb Monate jungen Säugling hatte die Stiftung Die gute Hand in Kürten vermittelt.

Als David zu Familie Höller (Namen geändert) kam, war er dreieinhalb Monate alt. Er war zwei Monate zu früh auf die Welt gekommen und hatte diverse Erkrankungen – er schwieg immer und lächelte nie. Davids Eltern waren nicht in der Lage, sich um ihn zu kümmern, sodass das Jugendamt den Säugling in Obhut nahm.

Die Fachberatung der Stiftung „Die Gute Hand“ in Kürten vermittelt für die fallführenden Jugendämter Kinder mit besonderen Bedarfen. So auch David, für den sie einen Platz in der sogenannten Familiären Bereitschaftsbetreuung fand. Dies sind Familien, die – manchmal innerhalb von Stunden – willens und in der Lage sind, für einige Monate ein Kind aufzunehmen und zu begleiten.

Dass der traumatisierte Säugling für immer bei den Höllers bleiben sollte, wusste damals noch niemand. Heute ist David neun Jahre alt und seine Pflegemutter beschreibt ihn mit warmen Worten: „Ein Sonnenschein! Ein unglaublich offenes, toll entwickeltes, sportliches und fröhliches Kind. Ein absoluter Charmeur.“

Das Fachberater-Team bei der Fallbesprechung (von links nach rechts): Andrea Snida, Conny Wißkirchen, Sandra Sohmer, Claudia Mundorf

Das Fachberater-Team bei der Fallbesprechung (v.l.): Andrea Snida, Conny Wißkirchen, Sandra Sohmer, Claudia Mundorf

„Es gibt zu viele Kinder, die nicht bei ihren leiblichen Eltern leben können“, sagt Erziehungsleiterin Sandra Sohmer. Gründe gibt es reichlich: Überforderung, Beziehungsprobleme, Gewalt, Sucht oder psychische Erkrankungen zum Beispiel. Alle betroffenen Kinder haben eines gemeinsam: Sie wurden seelisch verletzt und bringen einen Rucksack an Erlebnissen mit. Viele sind entwicklungsverzögert und zu klein. „Sie hatten anderes zu tun als zu wachsen“, sagt Sohmer.

All diese Kinder brauchen einen sicheren und liebevollen Ort zum Leben. Zwischen null und sechs Jahren sollte dieser nicht in einer Gruppe, sondern bei festen Bezugspersonen sein. Dafür gibt es die zeitlich begrenzte Bereitschaftsbetreuung, die dauerhaften Erziehungsstellen und die Fachberatung. „Unser Job ist es, dass es dem Kind in der Familie gut geht und der Familie mit dem Kind“, sagt Sohmer.

Der Einzug in eine dauerhafte Fachpflegefamilie ist ein ausgereifter Prozess, in dem die Pflegeeltern in mehreren Modulen von der Fachberatung ausführlich geprüft und vorbereitet werden. In der Anbahnungsphase besucht die potenzielle Pflegefamilie das Kind dort, wo es gerade lebt – häufig in der Bereitschaftsbetreuung. „Nur wenn alle das Gefühl haben, jetzt passt es, zieht das Kind ein“, so Sandra Sohmer.

Ich möchte dieses Kind nicht wieder abgeben. Er war so in mein Herz gekrochen.
Anna Höller (Name geändert)

Manchmal – wenn das Jugendamt es befürwortet – wird auch aus einer Bereitschaftsbetreuung eine dauerhafte, wie etwa bei Familie Höller. Bis David zum ersten Mal lächelte, dauerte es nur wenige Tage. „Dann entwickelte er sich rasant schnell zu einem kleinen brabbelnden Säugling, der mir nachts Storys erzählte“, erinnert sich Anna Höller.

Es ging auf Weihnachten zu, als der Abschied nahte, und ihr bewusst wurde: „Ich möchte dieses Kind nicht wieder abgeben. Er war so in mein Herz gekrochen.“ Die Familie sprach lange, offen und in Ruhe darüber. Von den drei Töchtern waren zwei bereits erwachsen. „Alle wollten ihn behalten“, sagt Anna Höller.

Die Betreuung durch die Fachberatung ist intensiv. Sie ist ständiger Ansprechpartner, besucht die Familien einmal im Monat, begleitet zu Behörden, Ärzten, Vormündern und beim Kontakt mit der leiblichen Familie. Regelmäßig können sich die Pflegefamilien untereinander austauschen. Auch ist ein schneller Rückgriff auf weitere Hilfsmöglichkeiten über das Angebot der Guten Hand möglich. „Wichtig ist, dass die Kernfamilie nicht an ihre Grenzen kommt“, sagt Fachberaterin Claudia Mundorf.

Ein Kinderzimmer bei der „Guten Hand“ mit allem, was das Herz begehrt.

Ein Kinderzimmer bei der „Guten Hand“ mit allem, was das Herz begehrt.

Denn trotz Vorbereitung und Begleitung sind manchmal all die dabei hundertfach wiederholten Sätze vergessen; weil der Alltag sich anders gestaltet als gedacht, weil das Kind in eine neue Phase eintritt, weil die Pflegeeltern nicht sehen, wie viel sie bereits bewirkt haben.

Die Kinder können lernbehindert sein, Traumata, Ein- und Durchschlafprobleme haben, oder auch frühgeburtliche Schäden wie das fetale Alkoholsyndrom. Wenn sie in die neue Familie kommen, wollen sie zunächst gefallen. Ihren Rucksack packen sie erst dann aus, wenn sie Bindung aufgebaut haben, wenn sie Vertrauen gefasst haben. „Man darf das nicht durch eine rosarote Brille betrachten“, sagt Anna Höller. „Alles hat zwei Seiten. Man muss immer die schöne Seite sehen. Das Kind hat Vertrauen gefasst – das ist doch großartig!“

Unter den Pflegefamilien gibt es viele, deren eigene Kinder bereits aus dem Gröbsten raus oder gar aus dem Haus sind. Ebenso Paare, die keine eigenen Kinder (mehr) bekommen können, und auch Regenbogenfamilien. „Menschen, die noch einen Platz im Herzen und im Haus für ein Kind haben, das einen holprigen Start ins Leben hatte“, sagt Claudia Mundorf. Aktuell betreut das fünfköpfige Team der Guten Hand 32 Kinder, davon nur zwei in der Bereitschaftspflege.

Täglich kommen   Anfragen von Jugendämtern aus ganz Deutschland. „Es tut uns in der Seele weh, absagen zu müssen“, sagt Claudia Mundorf.“   Pflegeeltern erhalten eine Vergütung. „Aber man kann das mit Geld nicht aufwiegen“, sagt Sandra Sohmer. Für Anna Höller ist der Dank ein ganz eigener: „David ist unsere Ergänzung geworden. Er hat unsere Familie komplett gemacht.“

KStA abonnieren