AuswandererNeuanfang im Paradies

Die Lagune unter dem Vulkan gehört zum Grundstück.
Copyright: Privat Lizenz
Overath – Am Anfang war die Wildnis. Vor fünf Jahren wanderten die Overather Hajo Bentzien und Beate Knust-Bentzien nach Chile aus. Sie hatten ein großartiges Grundstück in grandioser Landschaft gekauft, und sie hatten große Pläne: Den Aufbau eines 4-Sterne-Hotels mit 100 Zimmern, ökologisch, nachhaltig, architektonisch einzigartig. Dazu eine ökologische Musterlandwirtschaft. Was sie zunächst erwartete, war ein großartiges Grundstück in grandioser Landschaft ohne Strom- und Wasseranschluss, ohne Zufahrtsstraße und nur ein kleines Holzgebäude, das die vorausgereisten Söhne Marco und Max mit eigenen Händen errichtet hatten.
Fundo Laguna Blanca heißt das Gelände, das von drei knapp 3000 Meter hohen Vulkanen überragt wird, 60 Hektar Lagune mit Stränden, 1.250 Hektar Land. „Einer der schönsten Plätze in ganz Chile“, sagt Beate Knust-Bentzien. Der nächste Ort ist Curacautín, etwa 600 Kilometer südlich der Hauptstadt Santiago. Für ihr neues Leben gab Familie Bentzien ihr altes auf, verkaufte den Hof in Overath mit Wohnhaus, Büro, Ställen, Reitplatz und Weiden. Zum Zeitpunkt der Ausreise war Beate 53 und Hajo 62 Jahre alt. Wo andere beginnen, auf ihr Lebenswerk zurückzublicken, starteten die beiden Kommunikations-Fachleute nochmal neu durch.
Über 35 Jahre hat Hajo Bentzien eine Agentur für Unternehmenskommunikation. Als Trainer, Moderator und Coach war er in den Chefetagen deutscher Großkonzerne unterwegs – bekannt unter dem Namen „Menschbeweger“. Aus der Agentur entstand das Konzept des „Erfolgsguts“ mit Angeboten zur ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung. Medienfachfrau Beate Knust-Bentzien leitete die PR-Agentur und beschäftige sich als Wirtschaftsjournalistin und Buchautorin mit den Themen Wachstum, Ökologie und Nachhaltigkeit.
Auf ihrem Hof in Overath züchteten sie Pferde und bildeten sie für die Erfolgsgut-Reitcoachings aus. All das fand auch in ihrer Konzeption des Hotelbetriebs seinen Platz. „Wir wollten nicht hier sitzen und auf etwas warten“, sagt Beate Knust-Bentzien, „wir wollten noch was erleben.“
Ein Hals-über-Kopf-Abenteuer war das Auswandern jedoch nicht. Die Eheleute planten, konzipierten, rechneten, organisierten, knüpften Kontakte und lernten Spanisch. Im Reisegepäck waren neben Koffern und Mobiliar auch ein landwirtschaftlicher Maschinenpark, drei ihrer Pferde, und neben Träumen auch professionelle Ideen und Konzepte.
Aller Anfang ist schwer
Die ersten Monate waren wenig komfortabel. Schlafen auf der Erde, Abwasch in der Quelle und Toilette unter südamerikanischem Sternenhimmel. Wie Pioniere erschuf sich die Familie ihre eigene kleine zivilisierte Welt. Sie planierte Wege, verteilte Schotter, bohrte Brunnen und errichtete Solar- und Windanlagen. Sie wählte einen Bauplatz und errichteten ihr 150 Quadratmeter großes Domizil aus Holz – erdbebensicher auf Stelzen, was sich zwei Jahre später als gute Entscheidung erweisen sollte. Alles ganz anders Sohn Marco hat als ausgebildeter Landwirt ein eigenes Konzept für nachhaltige Landwirtschaft entwickelt. Inzwischen wachsen Hafer und Gras unter dem Vulkan, 30 Hektar Grünland, mehrere hundert Hektar Naturwald für die Forstwirtschaft, und es ist lebendig geworden auf dem Fundo: 40 Kühe, 60 Schafe, 60 Hühner und acht Pferde leben nun dort. In einer dieses Jahr eröffneten Lodge wohnen Touristen aus Europa und Chile. Für Tagestouristen gilt der Fundo schon längst als Geheimtipp.
„Wir haben fünf Zimmer und noch ein Häuschen dazu. Das ist nicht viel, aber ein Anfang“, sagt Beate Knust-Bentzien. Doch das ursprüngliche Konzept war komplett anders konzipiert – mit Investoren, die in eine große Landwirtschaft und ein großes touristische Projekt investieren. Dann kam die Finanz- und Wirtschaftskrise, in der Investoren absprangen, und ein Erdbeben, das halb Chile zerstörte. Ein Großkonzern forderte freie Fahrt über den Fundo, Anwälte hauten die Familie übers Ohr, und der örtliche Bürgermeister kam in Begleitung eines Bulldozers, um die angeblich illegale Toreinfahrt am Fundo kurzerhand einzureißen.
Gespräche mit den Behörden gestalteten sich selbst für Kommunikations-Profis schwierig und nervenaufreibend. „Heute würden wir es vielleicht anders angehen, noch langsamer, noch vorsichtiger und mit sehr viel mehr Respekt vor der fremden Kultur“, sagt Knust-Bentzien. „Wir mit unserer deutschen Direktheit laufen bei den Chilenen erst einmal voll vor die Wand.“ Als Tourist merke man das alles nicht, sagt sie, „aber sobald Du Dich echt einmischst und am Wirtschaftssystem teilhaben willst, gehen erst einmal alle Türen zu.“ Die Folge ist, dass sich der Fundo derzeit nicht rechnet, obwohl die Familie rund um die Uhr arbeitet. Nun sucht sie wieder intensiv nach einem Geschäftspartner. „Wenn uns das nicht gelingt, werden wir verkaufen und uns ein familiengerechtes und kleineres Projekt suchen. Dieser Fundo hier ist spektakulär, aber er ist einfach zu groß, um von uns alleine auf Dauer bewirtschaftet zu werden“, sagt Beate Knust-Bentzien.
Trotz Hürden nichts bereuen
Bereut haben sie das Auswandern nicht. „Wir alle möchten diese Zeit nicht missen. Wir haben dermaßen viel gelernt und erfahren, so viele neue Eindrücke, Menschen, Situationen kennengelernt – das ist schon toll“, sagt die Overatherin, die inzwischen sehr gut Spanisch spricht. Doch sie weiß, dass sie in der fremden Sprache nie den Standard als Journalistin erreichen wird, den sie im Deutschen hatte. „Für Hajo als Coach ist es noch schwerer“, sagt sie.
All die Fragen um Existenz, Kultur, Heimat, Freunde, Gegenwart und Zukunft kann sie dennoch vergessen - bei einer Kanutour über die Lagune, einem Ausritt in die bizarre Vulkanlandschaft oder einem Spaziergang durch Jahrhunderte alte Araukarienwälder. So wie es die Gäste tun, die hier die Seele baumeln lassen, und die zurück in Deutschland von jenem kleinen Paradies mitten in Chile schwärmen – und vielleicht auch vom Auswandern. Die Eheleute Bentzien wissen, dass sie genau dort wohnen: In einem kleinen Paradies. Und sie hängen mit ganzem Herzen daran, auch wenn sie erfahren haben, dass Auswandern auch seinen Preis hat.