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ZivilcourageEin Bergheimer ging für andere Menschen durchs Feuer

5 min
Zu sehen ist, wie ein Mann auf ein Haus deutet.

André Eschweiler deutet auf das Dachgeschoss des Wohnhauses - dort oben haben sich die dramatischen Szenen abgespielt.

André Eschweiler löschte mit Hassan Tawakoli einen Brand in der Obdachlosenunterkunft und erhielt dafür den Preis für Zivilcourage.

Den 13. Januar 2024 wird André Eschweiler so schnell nicht vergessen. Der 53-Jährige lebt nach einer gescheiterten Beziehung seit knapp vier Jahren in der Notunterkunft der Stadt Bergheim. „Es ist sehr schwer, hier aus dem Viertel raus in eine eigene Wohnung zu kommen“, sagt er. Alleine schon der Name der Straße schrecke etliche Vermieter ab. Am 13. Januar saß André Eschweiler mit anderen Hausbewohnern im zweiten Obergeschoss des Hauses zusammen. „Wir erzählten – einige rauchten“, berichtet er. Es war schon spät, Hassan Tawakoli wohnte damals im Nebenzimmer, er hatte sich schon hingelegt.

Eschweiler selber teilt sich mit einem Mitbewohner das Zimmer – etwa 14 Quadratmeter. Insgesamt lebten damals neun Menschen im Haus. „Direkt neben meinem Zimmer wohnte eine Mutter mit zwei Mädchen“, erinnert er sich. Deswegen hätten sie sich alle auch nur leise unterhalten. Es war zwischen 1 und 2 Uhr in der Nacht, als einer aus der Runde ein flackerndes Licht aus dem Treppenhaus unter dem Türschlitz wahrnahm und sagte: „Da brennt es.“

Bergheim: André Eschweiler wusste intuitiv, was zu tun war

Zuerst wollten die Mitbewohner ihm nicht recht glauben, doch der Mann habe voller Angst reagiert. „Da wusste ich schlagartig, der meint es ernst“, berichtet Eschweiler. Als Soldat in Afghanistan hatte er öfter entsetzliche Schreie von seinen Kameraden gehört. Er war bei dem als „Karfreitagsgefecht“ bekannt gewordenen Angriff dabei. Damals sind in seiner Einheit vier deutsche Soldaten gestorben und viele verletzt worden. Seitdem leidet Eschweiler an einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Jetzt jedoch war er direkt hellwach, und intuitiv wusste er genau, was zu tun war. Er riss die Wohnungstüre auf, sah das Feuer – die ganze Außentür zum Treppenhaus habe in Flammen gestanden. „Damit war uns allen hier der Fluchtweg zum Treppenhaus versperrt“, erinnert sich der 53-Jährige. Heute weiß er nicht mehr, wo er den ganzen Mut hergeholt hat. „

„Ich musste an meine Zimmernachbarin mit den beiden kleinen Mädchen denken“, erklärt er. „Wie sollen die jetzt hier raus, ich muss sie einfach retten?“ Eschweiler handelte in Bruchteilen von Sekunden. Zuerst weckte er die Zimmernachbarn. „Um nachzusehen, ob das Treppenhaus und unser Fluchtweg frei ist, bin ich dann durch die brennende Türe ins Treppenhaus gelaufen“, berichtet er. Immer noch ist er über sich selber erstaunt, wenn er daran denkt. Seine Mitbewohner haben ihn nach der Nacht gefeiert als „den Mann, der für uns durch das Feuer lief.“

Inzwischen schrillten auch die Rauchmelder, und auch Hassan war aufgewacht. Während die anderen Mitbewohner anfingen, in Panik regelrecht durcheinander zu laufen und bereits versuchten, aus dem Dachfenster in sechs Meter Tiefe zu springen, haben Hassan und er gehandelt. Ratzfatz wurde ein Papierkorb geleert und in der Dusche mit Wasser gefüllt. „Das Wasser habe ich über die Türe geschüttet – immer und immer wieder“, erinnert sich Eschweiler.

Zwischendurch habe er auch noch seine Mitbewohner beruhigen können. Hassan habe das Wasser mit einem Tuch aufgefangen und über die Treppe geschüttet, um zu verhindern, dass sich der Brand ausweitet. „So konnten wir sogar den Fluchtweg frei halten“, berichtet Eschweiler. Als wenig später die Feuerwehr eintraf, hatten Eschweiler und Hassan die Lage unter Kontrolle und das Feuer gelöscht.

In der Polizeimeldung am Sonntagmorgen stand damals lediglich, dass es zu einem Brandgeschehen in der städtischen Obdachlosenunterkunft Kentener Heide in Bergheim gekommen war. Eine unbekannte Person habe versucht, eine Flurverbindungstüre in Brand zu setzen. Ein Eingreifen der Feuerwehr sei allerdings nicht mehr vonnöten gewesen. „In meiner Gegenwart hatte die Polizei damals von einem neunfachen Mordversuch gesprochen“, erinnert sich Eschweiler.

Zu sehen ist ein Mann, der einem anderen einen Blumenstrauß überreicht.

Landrat Frank Rock zeichnete neben anderen auch André Eschweiler und Hassan Tawakoli aus.

Auf Anfrage teilte jetzt Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer mit: „Das gegen Unbekannt wegen des Verdachts der versuchten schweren Brandstiftung geführte Ermittlungsverfahren ist im August 2024 eingestellt worden, weil der oder die Täter nicht ermittelt werden konnten.“ Sollten sich jedoch entsprechende Hinweise oder neue Ermittlungsansätze ergeben, könne das Verfahren jederzeit wieder aufgenommen werden. Zu den für den Anschlag verwendeten Brandmitteln machte Bremer keine Angaben, da es sich (auch) um Täterwissen handeln könnte.

„Es hat hier aber noch lange sehr intensiv nach Benzin gerochen“, erinnert sich Eschweiler. Außerdem habe er beim Löschen auch Glassplitter entdeckt. Im Nachhinein erinnerten sich die Bewohner auch an ein dumpfes Geräusch kurz vor Ausbruch des Feuers, das sie nicht einordnen konnten. „Das könnte ein Molotowcocktail gewesen sein, der gegen die Flurtüre geworfen wurde“, meint Eschweiler.

Als Dankeschön eine Einladung ins Kreishaus und eine Ehrung

„Eigentlich müssten ja die Haustüren dieser Wohnhäuser hier alle um 20 Uhr abgeschlossen werden“, so Eschweiler. Warum dies am Abend des 13. Januars 2024 nicht geschah, wisse er nicht. Unvergessen bleiben ihm und Hassan jedoch die Umarmungen der Mitbewohner nach den Lüftungsmaßnahmen der Feuerwehr. Sogar der Einsatzleiter habe sich sehr positiv zu der schnellen und wirklich guten Arbeit der beiden Lebensretter geäußert.

„Damit war für Hassan und mich die Sache eigentlich erledigt“, sagt Eschweiler. Aus allen Wolken seien sie gefallen, als ihnen vor ein paar Wochen Landrat Frank Rock persönlich einen Brief geschickt hat – mit einer Einladung ins Kreishaus. Für ihr mutiges Handeln wurde ihnen dort wenig später der Preis für Zivilcourage des Rhein-Erft-Kreises verliehen. „Nur Ihrem schnellen und beherzten Handeln ist es zu verdanken, dass niemandem etwas passiert ist“, lobte dann der Landrat. „Sie haben wahre Stärke gezeigt, Verantwortung für ihre Mitmenschen übernommen und sich um unsere Gesellschaft sehr verdient gemacht.“