GeburtstagsfeierWarum ein 100-Jähriger aus Erftstadt eine russische Wahrsagerin nicht vergisst

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Zu sehen ist ein Gruppenbild der einstigen Schulklasse von Willi Schreiber.

Die Klasse von Willi Schreiber 1936 in Herrig. Schreiber ist der vierte Junge von rechts in der zweiten Reihe von oben.

Willi Schreiber ist wahrscheinlich der erste Bürger in Erftstadt-Herrig, der seinen 100. Geburtstag feiern kann.

„Eine Wahrsagerin hat mir in Russland vor vielen Jahren prophezeit, dass ich uralt werde“, erinnert sich Wilhelm (Willi) Schreiber. Damals habe er aber nicht weiter darüber nachgedacht. Damals war Krieg. Im Oktober 1943 musste Schreiber an die Ostfront in das Gebiet der heutigen Ukraine.

Er war in Odessa und Mariupol – gerade mal 19 Jahre alt. Heute feiert er seinen 100. Geburtstag. Die aktuellen Bilder vom russischen Angriffskrieg dort und die Berichte in den Nachrichten haben Erinnerungen geweckt. Dreimal wurde Schreiber in nur einem Jahr von Geschossen getroffen und verletzt.

Kugel durch den Hals geschossen

Einmal hatte man ihm glatt durch den Hals geschossen. „Die Kugel ist links in den Hals rein und rechts raus“, sagt er. „Und jetzt bin ich 100 Jahr alt.“ Die Wahrsagerin habe recht behalten.

Ganz Bücher könnte Willi Schreiber mit Erlebnissen aus seinem Leben füllen. In Herrig wurde er geboren. Damals gab es dort eine Schule. „Wir waren acht Schuljahre in einer Klasse“, sagt er. Ein Lehrer habe sie in allen Fächern unterrichtet. Dessen Markenzeichen sei eine lange Haselnussrute gewesen. „Auf den Fingern der Kinder hat er sie oft kurz und klein geschlagen“, schildert der Jubilar die rabiaten Methoden.

14 Jahre war er alt, als er die Handelsschule in Köln besuchte. Um 5.45 Uhr musste er aus dem Haus. Mit dem Fahrrad ist er dann bis Lechenich gefahren, von dort mit der Schmalspureisenbahn „Flutsch“ nach Liblar zum Bahnhof und weiter mit der Reichsbahn nach Köln.

In Köln hat Schreiber auch eine dreijährige Ausbildung zum Speditionskaufmann absolviert. Ein Jahr später, im Oktober 1943, musste er an die Front. Nach seiner Verlegung 1944 nach Frankreich geriet er bald in Gefangenschaft. „Mein Glück war, dass ich an die Amerikaner übergeben wurde“, sagt er. Die setzten ihn als Kellner im Offizierskasino ein. „Hungern musste ich da nie“, erzählt der Jubilar. Täglich habe er sogar eine Tafel Schokolade und 20 Zigaretten bekommen.

Schokolade und Apfelsinen habe er auch nach Hause zu seinen Eltern schicken können. Doch das Heimweh sei riesengroß gewesen. „Mein Plan war, spätestens Weihnachten 1946 wieder zu Hause zu sein.“ Davon habe er auch seinem Bruder Johannes in einem Brief berichtet. Er habe ihn im Lager abgeholt, und gemeinsam sei die Flucht aus der Gefangenschaft gelungen.

Beim Schützenfest die Frau fürs Leben kennengelernt

„Am 23. Dezember 1946 war ich wieder zu Hause – in Herrig“, berichtet Schreiber. Dort spielte er im Fußballverein und fuhr auch nach dem Krieg wieder zur Arbeit, zuerst nach Köln. 1948 wechselte der junge Mann zur Bundesknappschaft nach Brühl.

Beim Schützenfest 1950 lernte er seine Frau Elsbeth kennen, im August 1954 war die Hochzeit. In Herrig sind auch seine Kinder Wolfgang und Regina geboren, die ihre Eltern jeden Tag besuchen. Gern kommen auch die Enkel Stefan, Yvonne, Nicole, Philipp und Niklas vorbei, oft mit ihren eigenen Kindern. „Wir sind vierfache Urgroßeltern“, sagt Willi Schreiber und zeigt auf ein Foto, auf dem Maja, Amelie, Aaron und Luca in die Kamera lachen.

Zu sehen ist Willi Schreiber.

Willi Schreiber ist wahrscheinlich der erste Bürger in Herrig, der seinen 100. Geburtstag feiern kann.

Manchmal sind die Urenkel auch bei den Ausflügen dabei. Eine Leidenschaft des Jubilars sind die Cafés in Erftstadt und der Region, die er am liebsten mit seiner Frau und dem Rest der Familie besucht. „Torten esse ich einfach sehr gerne, am liebsten Schwarzwälder Kirsch“, sagt der Jubilar. Auch zu seinem Geburtstag wünsche er sich ein solches Backwerk.

Früher habe ihm seine Frau die Torten zum Geburtstag gebacken, die sich in nichts von denen aus der Konditorei unterschieden hätten. Doch in Anbetracht der vielen Gäste, die zu seinem Geburtstagsfest eingeladen sind – Familie, Freunde, Nachbarn und Verwandte – lässt sich das Paar die Kuchentafel liefern.

Und es werden nicht die letzten Torten sein, die in diesem Jahr im Hause Schreiber angeschnitten werden. Im Juli feiern er und seine Frau ihren 70. Hochzeitstag, und im November feiert seine Frau Geburtstag. „Sie wird 90 Jahre alt“, sagt Willi Schreiber.

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