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Kritik an AnklageVater eines der Hürther Unfallopfer: „Es war Vorsatz, das war nicht fahrlässig“

6 min
In Hürth war Anfang Juni ein Pkw an der Ampel in eine Gruppe Kinder und deren Betreuer gefahren.

In Hürth war Anfang Juni ein Pkw an der Ampel in eine Gruppe Kinder und deren Betreuer gefahren. 

Die Staatsanwaltschaft hat einen 20-Jährigen, der in eine Schülergruppe gefahren war, wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Marcus Jochim ist enttäuscht – und traurig. Denn der Mann, der das Leben seines Sohnes Luis auf dem Gewissen hat, ist lediglich wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt worden. „Meiner Meinung nach war das Vorsatz oder zumindest bedingter Vorsatz“, sagt der Vater des 25-jährigen Schulbegleiters im Namen seiner Familie. Er meint, die Anklage der Staatsanwaltschaft Köln hätte auf vorsätzlicher Tötung lauten müssen.

Der 20-jährige Autofahrer, der am 4. Juni auf der Frechener Straße in Hürth in eine Gruppe von Grundschülern und deren Begleitern gefahren war, habe billigend in Kauf genommen, dass Menschen sterben können, als er die rote Ampel missachtet hatte – obwohl ihm andere Verkehrsteilnehmer noch versucht hätten, ihn mit der Hupe zu warnen und ihn damit möglicherweise sogar auf die Fußgängergruppe aufmerksam machen wollten. Jochim sagt: Die Kinder und auch sein Sohn hätten doch nichts falsch gemacht, als sie bei Grün und mit Warnwesten bekleidet die Straße überqueren wollten, um von ihrer Schule zum nahe gelegenen Sportplatz zu gelangen.

Dieser junge Mann braucht eine Strafe, die ihn wachrüttelt
Marcus Jochim

Jochim, dem als Nebenkläger die Anklageschrift vorliegt, berichtet zudem, dass mehrere Zeugen   bei der Polizei ausgesagt hätten, dass der Wagen des 20-Jährigen schon vor dem tödlichen Zusammenstoß mit der Schülergruppe negativ aufgefallen sei. Einige beschrieben den Fahrstil als Drängelei, andere hätten angegeben, den BMW wiedererkannt zu haben, der schon etwa anderthalb Stunden vor dem tödlichen Unfall bei Rot über die Ampel an der Kreuzung Frechener Straße/Kölner Straße gefahren sein soll – mit Überholmanöver über die Linksabbieger-Spur.

Bereits auf Bewährung verurteiltAuch das gehört zur Beweisaufnahme: Ermittler hätten auf dem sichergestellten Mobiltelefon des Hürthers mehrere Videos ausgewertet, in denen er als Fahrer und als Beifahrer seinen risikoreichen Fahrstil gefilmt habe.

Es gibt trotz des schmerzhaften Verlustes hoffnungsvolle Tage im Leben der Familie Jochim. Vor wenigen Wochen hat sie die Luis Paulo Stiftung gegründet.

Es gibt trotz des schmerzhaften Verlustes hoffnungsvolle Tage im Leben der Familie Jochim. Vor wenigen Wochen hat sie die Luis Paulo Stiftung gegründet.

Ende Oktober hatte das Amtsgericht Brühl mitgeteilt, dass die Staatsanwaltschaft die Ermittlungsakte geschlossen und Anklage erhoben habe. Außer fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung wirft sie dem 20-jährigen Hürther vor, gegen das Waffengesetz verstoßen und mit Cannabis gedealt zu haben.

Bei dem Unfall Anfang Juni auf der Frechener Straße/Theresienhöhe waren der Schulbegleiter Luis (25) und die elfjährige Schülerin Avin so schwer verletzt worden, dass beide wenige Tage nach dem Unfall im Krankenhaus ihren Verletzungen erlagen. Als Nebenkläger verfolgen nun die Eltern und Familienangehörige der beiden Unfallopfer die weiteren Geschehnisse um den zu erwartenden Prozess. Mit der Zulassung der Anklage und der Terminierung des Prozesses vor dem Jugendschöffengericht Brühl ist nicht vor Anfang 2026 zu rechnen.

Der 20-Jährige war  zu Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt worden

Die dortigen Richter hatten den 20-Jährigen nur wenige Wochen vor dem verheerenden Unfall zu einer Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt – unter anderem wegen unterlassener Hilfeleistung im Straßenverkehr. „Doch augenscheinlich hat er aus diesem Urteil keinerlei Lehren gezogen“, merkt Jochim an. Anders lasse sich seiner Meinung nach nicht erklären, dass er an jenem 4. Juni ohne Rücksicht auf Verluste bei Rot über die Ampel gefahren sei.

Laut Anklage hatte die Ampel bereits seit vier Sekunden Rot gezeigt, als der Fahrer die Schüler und ihre Begleiter erfasste. Die Ermittlungen hätten zudem ergeben, dass der BMW zwischen 54 und 57 km/h gefahren sei. Das hätten verkehrstechnische Untersuchungen ergeben. Erlaubt ist an dieser Stelle Tempo 70. Jochim bezweifelt die Angaben zur Geschwindigkeit: Mehrere Zeugen hätten übereinstimmend ausgesagt, dass der 20-Jährige sehr schnell gefahren sei. „Ich habe schon über ein Zweitgutachten nachgedacht“, berichtet er.

Jochim, der mit seiner Familie in Königswinter lebt, befürchtet nach Lektüre der Anklageschrift ein mildes Urteil. Was seiner Meinung nach den angedachten Erziehungsauftrag einer Jugendstrafe völlig verfehlen würde. „Dieser junge Mann braucht eine Strafe, die ihn wachrüttelt“, sagt er. Ein solch rücksichtsloses und gefährliches Verhalten müsse spürbare Konsequenzen haben. „Anderenfalls ist doch zu befürchten, dass der junge Mann nie aus seiner dunklen Ecke herauskommt, in der er sich schon länger bewegt.“ Ziel müsse doch sein, dass er sich und sein Verhalten im Straßenverkehr für immer ändere.

Jochim sagt auch: Es gebe keine Strafe, die seinen Sohn Luis und Avin wieder lebendig mache. Alle Angehörigen und Freunde der Opfer – sie alle hätten lebenslänglich unter den Folgen zu leiden. „Jetzt müssen wir alles dafür tun, damit solche Unfälle nie wieder passieren. Das sind wir als Gesellschaft unseren Kindern schuldig“, sagt Jochim.

Und auch Amir Vala, Avins Vater, sagt: „Ich wünsche mir, dass nie wieder Väter und Mütter so leiden müssen wie wir.“ Zurzeit sei es für sie alle noch schwieriger als in den ersten Tagen nach dem Unglück. Zwar sei er dankbar, dass der Verantwortliche nun endlich zur Rechenschaft gezogen werde, doch nichts auf der Welt könne ihren Schmerz lindern. „Je mehr Zeit vergeht, desto schwerer und erdrückender scheint alles zu werden“, sagt Vala. „Das Einzige, was uns noch etwas Trost schenkt, ist der Gedanke an die Kinder und Menschen, die durch Avins Organe wieder eine Chance auf ein gesundes Leben bekommen haben“, erklärt er.


Helfen über seinen Tod hinaus: Dazu hatte sich auch der Schulbegleiter Luis Paulo schon zu Lebzeiten mit seinem Organspendeausweis entschieden. Einmal mehr bestätigt das auch seine soziale und verantwortungsvolle Einstellung seinen Mitmenschen gegenüber und insbesondere all denen, denen es nicht so gut geht. Selbst noch ein Jugendlicher, hat Luis Paulo in der Heimat seiner Mutter in Brasilien bereits das Handballprojekt „Hand 7“ mitinitiiert. Später hat der junge Mann zahlreiche Hilfsprojekte unterstützt – teils sogar als Dauerspender.

Um sein Engagement auch weiterhin lebendig zu halten, haben seine Eltern und seine Geschwister die Luis Paulo Stiftung gegründet. „Unsere Stiftung unterstützt Projekte, um die Verkehrslandschaft sicherer für Kinder zu machen“, sagt Jochim. Sie fördere aber auch Projekte, um jungen Straftätern zu helfen, wieder ein straffreies Leben zu führen. „Dazu gehören auch junge Leute, die so wie der Unfallfahrer aus Hürth schon früh im Leben vom rechten Weg abgekommen sind.“

Mit diesem Logo wird für die Luis Paulo Stiftung geworben

Mit diesem Logo wird für die Luis Paulo Stiftung geworben

Und dann berichtet er von Simon Batta und dem „Jugendcoaching“. In seinem zweiten Leben habe Batta diesen Verein gegründet und sei Jugend-Coach geworden – nachdem er selbst auch auf dem falschen Weg unterwegs gewesen und wegen Raub und Diebstahl sogar festgenommen und inhaftiert war. „Im Rückblick war es dann für ihn ein Glück gewesen, in ein sogenanntes Bootcamp geraten zu sein“, berichtet Jochim. Dort habe er zurück in das richtige Leben gefunden. „Unsere Stiftung arbeitet auch mit ihm zusammen.“

Aus dem ehemaligen Straftäter sei längst ein Vorzeigemensch geworden, der heute Vorträge hält und in seinem Verein straffälligen Jugendlichen mit Trainingseinheiten dabei hilft, die Kurve zu kriegen. (mkl)