Nach dem verheerenden Verkehrsunfall mit einer toten Zehnjährigen in Hürth ist auch der 25-jährige Schulbegleiter gestorben. Beide Familien entschieden sich, ihre Organe zu spenden.
Unfallopfer spendeten Organe„Avin wurde zu einem Symbol für Hoffnung und neues Leben“

Die zehnjährige Avin ist bei einem Verkehrsunfall in Hürth ums Leben gekommen. Das Foto zeigt sie auf dem Herkules-Monument in Kassel.
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Was seit Tagen befürchtet werden musste, ist traurige Gewissheit: Der 25-jährige Schulbegleiter, um dessen Leben Ärztinnen und Ärzte seit einem verheerenden Verkehrsunfall am 4. Juni in Hürth kämpften, ist am Sonntagmorgen gestorben. Wie ein Sprecher der Kreispolizeibehörde des Rhein-Erft-Kreises mitteilte, war am Freitag die Hirntoddiagnostik eingeleitet worden. Mittels dieser Methode überprüfen die Ärzte, dass die gesamten Hirnfunktionen unwiderruflich ausgefallen sind und der Patient keine Aussicht auf Genesung hat.
Der 25-Jährige ist das zweite Todesopfer infolge des Verkehrsunfalls an einer Fußgängerampel in Hürth nahe Köln. Bereits zwei Tage nach dem Unfall war die zehnjährige Avin gestorben. Rettungskräfte hatten das Mädchen sowie den Schulbegleiter zunächst an der Unfallstelle wiederbelebt, nachdem ein 20-Jähriger mit einem BMW in eine Schülergruppe von Viertklässlern und deren Lehrerinnen und Begleitern gefahren war.
Wie Zeugen der Polizei berichteten, ist der Mann mit überhöhter Geschwindigkeit bei Rotlicht über eine Ampel an der Frechener Straße gefahren. Die mit Warnwesten bekleideten Schülerinnen und Schüler der Carl-Orff-Grundschule waren auf dem Weg zum Sportunterricht auf einem wenige hundert Meter entfernten Sportplatz.
Vater der Zehnjährigen: Gedanke tröste, dass Herz seiner Tochter weiterlebt
Mit einer bewegenden Botschaft hatte sich Avins Vater an den „Kölner Stadt-Anzeiger“ gewandt: „Ich möchte Sie höflich darum bitten, in Ihrer Berichterstattung auch auf einen sehr wichtigen Aspekt hinzuweisen, der uns als Familie besonders am Herzen liegt: Avin war Organspenderin.“ Er habe seine bewusstlose Tochter gefragt, ob sie einverstanden sei, die Organe zu spenden, berichtet er. Seine Antwort habe er bekommen, als seine Frau mit einem Gebetszettel aus der Krankenhauskapelle zurückgekommen sei.

An der Unfallstelle erinnern Blumen, Kerzen, Teddybären, Fotos und Briefe der Mitschüler an das Schicksal der tödlich Verunglückten.
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Einen Tag nach dem Tod der Zehnjährigen entnahmen Ärzte ihre Organe. Avins Herz schlägt nun in der Brust eines sechsjährigen Mädchens. Die Operation fiel auf den Tag der Organspende. Avins Vater sagt: „Ein tief bewegender Zufall, der sie zu einem stillen Symbol für Hoffnung, Menschlichkeit und neues Leben gemacht hat.“ Seine Tochter sei für ihn ein Engel. Es tröste ihn, dass ihr Herz weiterlebt – im Körper eines anderen Mädchens: „Auch wenn man das Liebste verliert, kann man durch diese selbstlose Entscheidung anderen das Wertvollste schenken: das Leben.“ Avin ist am Samstag in Hürth in aller Stille beigesetzt worden.
Auch die Eltern des Schulbegleiters haben einer Organspende zugestimmt. Bereits unmittelbar nach dem Unfall hielten Ärzte die Überlebenchancen für ihn und Avin nach Informationen dieser Redaktion für äußerst gering. Zu schwer waren die äußeren und inneren Verletzungen durch den Zusammenprall mit dem BMW.
Fahrer bereits vorher wegen Unfallflucht aufgefallen
Schon Mitte vergangene Woche kursierte in Hürth die Nachricht vom Tod des 25-Jährigen in der Schulgemeinde der Grundschule. Ein Schreiben seiner Eltern an die Schulleitung, dass es Zeit sei, von ihrem Sohn Abschied zu nehmen, war fehlinterpretiert worden. Die Staatsanwaltschaft Köln stellte klar, dass der junge Mann noch lebe.
Sie ermittelt gegen den 20-jährigen Unfallfahrer wegen fahrlässiger Tötung, fünffacher fahrlässiger Körperverletzung und wegen Straßenverkehrsdelikten. Nach Angaben der Polizei war er bereits in der Vergangenheit mehrfach wegen Verstößen gegen die Straßenverkehrsordnung aufgefallen – unter anderem wegen Unfallflucht, wie der „Kölner Stadt-Anzeiger“ aus Ermittlerkreisen erfuhr. Auch nachdem er in die Menschengruppe gefahren war, hatte er sich zunächst vom Unfallort entfernt, kehrte jedoch wieder zurück.

An der Kreuzung in Hürth fuhr ein Auto kurz vor Pfingsten in eine Gruppe Schüler
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Ein erster Drogen- und Alkoholtest verlief negativ. Die Staatsanwaltschaft hat weitere Labortests angeordnet, mit denen Substanzen nachgewiesen werden können, die bei einem Schnelltest nicht erkennbar sind. Zudem hat sie einen Gutachter bestellt, der das Unfallgeschehen rekonstruieren soll. Einen Anschlag hatten Polizei und Staatsanwaltschaft bereits am Tage des Unfalls ausgeschlossen.
Petition fordert Tempo 30 an Unfallstelle
In Hürth hat der Unfall eine Diskussion um die Verkehrssicherheit der Frechener Straße ausgelöst. Eine Ärztin und ein Arzt haben eine Online-Petition gestartet: Sie wollen die Geschwindigkeit auf der viel befahrenen Landstraße reduzieren. Erlaubt sind an der Unfallstelle 70 km/h, ihr Ziel ist Tempo 30.
Die Initiatoren untermauern ihre Forderung damit, dass es in den vergangenen Jahren bei Verkehrsunfällen auf der Frechener Straße bereits zwei Menschen ums Leben gekommen waren. Sie liegen einige hundert Meter von der Unfallstelle vom 4. Juni entfernt. Fast 7000 Menschen haben die Petition unterschrieben. Auch Avins Eltern fordern, dass die Unfallstelle sicherer wird.
Am Freitag haben Experten verschiedener Behörden die Kreuzung begutachtet. Sie werden der Unfallkommission des Rhein-Erft-Kreises eine Empfehlung geben, ob es notwendig und möglich ist, die Straße sicherer zu machen. Die Initiatoren hatten vorab bereits NRW-Verkehrsminister Oliver Krischer (Grüne) um Hilfe gebeten und ihn eingeladen, ihm die Unfallstelle zu zeigen. Sie werfen den Verantwortlichen im Hürther Rathaus und im Kreishaus in Bergheim Untätigkeit vor. Weder Landrat Frank Rock noch Hürths Bürgermeister Dirk Breuer (beide CDU) hätten seit 2018 etwas unternommen, um die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
Das Schicksal der kleinen Avin und die Umstände des Unfalls hatten zudem eine Welle der Hilfsbereitschaft in Hürth ausgelöst. Eine Spendensammlung für die Opfer hat bereits knapp 14.000 Euro erbracht. Derweil versammeln sich immer noch täglich Menschen an der Unfallstelle. Sie legen Blumen und Plüschtiere ab, zünden Kerzen an und verweilen für ein Gebet.