Erinnert an PogromeKerpenerin aus Liebe von Jerusalem nach Deutschland gezogen

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Shulamit Grohmann steht in ihrem Wohnzimmer, spitzt den Mund und hebt die Hände.

Shulamit Grohmann ist von Jerusalem nach Deutschland gezogen und hat in Kerpen-Sindorf eine neue Heimat gefunden. Seitdem engagiert sich Grohmann gegen das Vergessen.

Shulamit Grohmann stieg aus der israelischen Armee aus und zog nach Deutschland. Berührungsängste verspürte die Kerpenerin nie, fühlt sich in der evangelischen und katholischen Gemeinde heimischer als in der Synagoge.

Die Fliesen in ihrem Haus hat Shulamit Grohmann selbst verlegt. Die Frühstücksbar, die Küche und Wohnbereich trennt, hat sie selbst entworfen und aufgebaut. Verantwortlich für ihr handwerkliches Talent – eines von vielen Talenten – macht die 71-Jährige ihre vor wenigen Monaten verstorbene Mutter Akuva. Als eines von fünf Geschwistern ist Shulamit Grohmann in Jerusalem aufgewachsen. Temperamentvoll war sie, beim Spielen ging vieles zu Bruch. Die Mutter flickte es, nicht der Vater, der als Schuhmacher das Geld für die Familie verdiente.

Zum Shabath habe der Vater dann, genau wie es die jüdische Religion vorschreibe, die Arbeit ruhen lassen, erinnert sich Grohmann, die in Sindorf eine neue Heimat gefunden hat. Mit Glaubensangelegenheiten sei man in der Familie normalerweise aber ziemlich locker umgegangen. Bis heute zählen Besuche in einer Synagoge zu den eher seltenen Ereignissen.

Kerpenerin Shuli Grohmann tanzte im Sindorfer Pfarrsaal

Da fühle sie sich in den Reihen der katholischen und evangelischen Kirchengemeinden Sindorfs heimischer, sagt Grohmann. Sie zeigt Fotos von den Auftritten der Gruppe „Tanzen mit Shuli“ bei der Pfarrsitzung St. Maria Königin. Auch Zeitungsartikel von Auftritten als Sängerin israelischer Lieder im Pfarrsaal hat sie verwahrt. Der ehemalige Pfarrer Reinhold Steinröder habe sie damals ins Boot geholt.

In den 1980 Jahren ging sie mit dem Pianisten David Spiegel auf internationale Tourneen. Auch Rudi Carrell entdeckte die Mutter zweier Kinder für seine Show.

Grohmann war Fallschirmspringerin bei der israelischen Armee

Was war es, das die damals 24-Jährige 1974 veranlasste, ihre Anstellung als Hauptfeldwebel bei der israelischen Armee aufzugeben? Sie habe gern als Redakteurin bei der Zeitung für die dort stationierten Fallschirmspringer gearbeitet, als einzige Frau unter 250 Soldaten. „Es war eine schöne Zeit“, sagt sie. 17 Fallschirmsprünge absolvierte sie. Sie war immer die Erste, die die Ladeluke des Fliegers verließ.

Parallel dazu habe sie in einer Tanzgruppe der Stadt Jerusalem getanzt und sei so schon 1968 auf Deutschlandtournee gegangen. 1974 habe sie bei einem Auftritt in einem jener typischen, israelischen Touristenklubs Hugo Moll aus Grevenbroich kennengelernt. Der habe ihr einen Whiskey angeboten. „Bis heute trinke ich keinen Whiskey“, sagt Grohmann. Trotzdem sei sie seiner Einladung, ihr die „schönen Seiten Deutschlands“ zu zeigen, gefolgt.

In den ersten zwei Monaten ihres Aufenthalts lernte sie deutsch ‚zu plappern‘, zu kegeln und dabei ‚Gut Holz‘ zu rufen, Bier zu trinken, Volkslieder zu singen und Karneval zu erleben.
Susanne Harke Schmidt, Stadtarchivarin

Rüdesheim war die erste Stadt, die ihr der Verehrer aus Grevenbroich zeigte. „In den ersten zwei Monaten ihres Aufenthalts lernte sie deutsch ‚zu plappern‘, zu kegeln und dabei ‚Gut Holz‘ zu rufen, Bier zu trinken, Volkslieder zu singen und Karneval zu erleben.“ So beschreibt sie Stadtarchivarin Susanne Harke Schmidt auf einer Ausstellungstafel im Kerpener Rathaus. „Shalom Chaverim – 1700 Jahre jüdisches Leben in der Region Rhein-Erft-Rur“ heißt die Schau.

Den Vertrag mit der Armee kündigte Grohmann, als Grund gab sie „Liebe“ an. Sie zog nach Deutschland und wurde vertraut mit den hiesigen Traditionen. An der Seite Molls wurde sie Schützenkönigin in Grevenbroich.

Berührungsängste habe sie nie verspürt, den Deutschenhass nicht verstehen können, berichtet sie heute. Auch wenn sie sich schon als Elfjährige einer israelischen Jugendgruppe namens „Bejtar“ angeschlossen habe, ohne deren „revisionistische und antideutsche Äußerungen“ so recht zu verstehen.

Impulse zur Aufarbeitung des Holocausts kamen aus Deutschland

Die Verständigung über den Holocaust sei zu diesem Zeitpunkt in Israel ja noch ein Tabu gewesen. „Man sprach nicht davon, weder öffentlich noch privat.“ Eine Haltung, die vielfach auch der Scham der überlebenden Juden geschuldet sei, sagt Shuli Grohmann. Die Impulse zur Aufarbeitung des Schreckens seien letztlich aus Deutschland gekommen.

Erst spät wurde ihre Mutter als Überlebende der Shoah anerkannt. Im Juni 1941 war sie aus Bagdad geflohen, hatte sich zu Fuß durch die Wüste nach Palästina gekämpft, die Schwester an der Hand.

Die gewaltsamen Plünderungen im Irak, ganz nach dem Vorbild der deutschen Pogromnacht, sind in die Geschichtsbücher eingegangen. Anstifter war ein Mufti, der unter dem Einfluss Nazideutschlands stand.


Im Gedenken an die Pogrome wird Shuli Grohmann zusammen mit den Schülern des Europagymnasiums am Donnerstagabend um 18 Uhr am Mahnmal der Stadt Kerpen An der alten Landstraße Texte vortragen und singen. (otr)

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