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Attacke an Karneval 2024Prozess um Bierglas-Angriff startet in Kerpen

4 min
Das Foto zeigt einen Mann mit heruntergezogener Kapuze und einen Hund.

Julian Z. erlitt 2024 schwere Verletzungen bei einer Attacke an Karneval. Bis heute leidet er unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Assistenzhündin Holly soll ihn nun unterstützen.

Weil dem Vorsitzenden Richter noch einige Zeugenaussagen fehlen, will er die Hauptverhandlung im November fortsetzen.

Nur wenige Sekunden sollen Mitte Februar 2024 das Leben von Julian Z. für immer verändert haben: Auf einer Karnevalsfeier in Kerpen-Blatzheim attackierte ihn jemand vermutlich mit einem Bierglas an Kopf und Hals. Womöglich aufgrund des massiven Blutverlusts könne er sich kaum mehr erinnern, berichtete Julian Z. dieser Zeitung bei einem ersten Gespräch.

Doch die Zeit nach dem Vorfall wird ihm wohl stets schmerzlich in Erinnerung bleiben. „Ich bin 50 Prozent erwerbsgemindert, habe Pflegegrad 3. Durch den Angriff habe ich einen Hörverlust auf einer Seite und trage ein Hörgerät. Ich habe eine posttraumatische Belastungsstörung und eine Depression entwickelt“, berichtet der 38-Jährige in der Gerichtsverhandlung vor dem Amtsgericht Kerpen, die den Angriff auf ihn aufklären soll. Das Glas hatte ihm einen Teil der Nerven beschädigt sowie die Ohrspeicheldrüse durchtrennt.

Kerpen: Geschädigter bis heute eingeschränkt

Das Haus verlasse er so selten wie möglich, denn seit er den Angeklagten nach der Tat zufällig im Supermarkt getroffen habe, plagten ihn starke Ängste. „Ich habe ihn im Supermarkt gesehen und bin erstarrt. Mein Körper sagte mir, er ist es“, schilderte er seine Eindrücke. Zuvor habe er sich nicht erinnern können, wer ihn angegriffen habe. Besonders schwer leide er bis heute unter den psychischen Folgen des Angriffs. „Ich lag eine Zeit nur im Bett, konnte nichts mehr machen. Ich wollte mich umbringen, weil ich für alle nur zur Last geworden war. Nicht einmal mehr Gitarre spielen konnte ich. Das kann ich bis heute nicht“, so Z.

Auf der Anklagebank saß an diesem Donnerstagmorgen ein junger Mann Mitte 20 in Sportjacke. Der Lastkraftfahrer deutscher Staatsangehörigkeit soll Julian Z. nach einer kurzen Auseinandersetzung das Bierglas an jenem Abend im Februar über den Kopf geschlagen haben, wobei der genaue Tathergang noch nicht festgestellt wurde. Der Angeklagte entschied sich direkt zu Verhandlungsbeginn zu schweigen. Vor dem Schöffengericht wird ihm gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Mutmaßlicher Täter trug wohl Karnevalskostüm

Getragen habe der Verdächtige zur Tatzeit einen orangefarbenen Overall oder – wie einige Zeugen es nannten – ein Häftlingskostüm. Das und eine angebliche Tätowierung am Hals kamen immer wieder zur Sprache. Das Gesicht des Angeklagten im Verhandlungsraum erkannten die Zeugen in Verbindung mit der Tat aber nicht wieder. Am Tag der Verhandlung war eine etwaige Tätowierung aufgrund des hohen Kragens der Sportjacke des Angeklagten ebenfalls nicht erkennbar. Einige Zeugenaussagen stimmten zudem nicht mit denen überein, die zuvor bei der Polizei getätigt wurden. Den Namen des mutmaßlichen Täters kannten sie überwiegend vom Hörensagen. Wer genau den Namen des Angeklagten ins Spiel gebracht hatte, wurde nicht abschließend geklärt. Es seien jedoch nach der Tat in einem Messenger-Dienst Fotos der verletzten Hand des Beschuldigten aufgetaucht.

Direkt und sicher beobachtet hatte keiner der anwesenden Zeugen die Tat. So sprach einer davon, das Ganze aus dem Augenwinkel wahrgenommen zu haben, ein weiterer habe sich die Tat selbst zusammengereimt, nachdem ihn Scherben und Alkohol an der Wange getroffen hatten.

Recht schnell kreiste die Verhandlung nicht mehr um die eigentliche Körperverletzung, sondern um das Verhalten des mutmaßlichen Opfers unmittelbar davor. So sagten einige Zeugen aus, ein Mann –  mutmaßlich Julian Z. – sei „extrem aggressiv“ auf ihre Gruppe junger Menschen zugekommen, habe jemanden angerempelt und sich dann sofort vor einer Person aufgebaut und dieser mit Schlägen gedroht. Anschließend sei dieser Mann weitergegangen und habe so lange gepöbelt, bis die Situation eskaliert sei und jemand mit dem Glas zugeschlagen habe.

Allerdings stellte sich kurz darauf heraus, dass weder ein Zeuge Julian Z. nicht als ebenjenen Mann wiedererkannt hatte. Ein zweiter Zeuge, der eine ähnliche Situation schilderte, betonte sogar, dass er den Geschädigten aus dem Fitnessstudio kenne und wisse, dass es sich bei dem Pöbelnden um einen anderen Mann gehandelt habe. Da am Ende Julian Z. blutüberströmt am Boden lag, sei es möglich, dass es sich schlicht um unterschiedliche Personen handele, so der Zeuge.

Für die Nebenklage wichtig wurde zudem die angebliche Aussage einer Exfreundin des Angeklagten. Sie, die den Geschädigten aus dem beruflichen Kontext als Zahnarzthelferin kenne, habe ihm berichtet, dass der Tatverdächtige alkoholisiert stets Streit suche und Drogen aller Art konsumiere, sagte Julian Z. vor Gericht. Die Verteidigung gab zu bedenken, dass der Angeklagte diesbezüglich nie strafrechtlich aufgefallen sei. Die Exfreundin war an diesem Tag nicht geladen. Entsprechend entschied der Vorsitzende Richter Dr. Andreas van der Breggen, die Verhandlung zu verschieben, um sie und weitere Zeugen zu hören. Der Prozess wird voraussichtlich am Donnerstag, 13. November, um 9 Uhr fortgesetzt.


Assistenzhündin Holly zur Unterstützung

Für Julian Z. hatte sich rund ein Jahr nach der Tat die Dorfgemeinschaft seines Wohnorts stark gemacht und eine Spendenaktion gestartet. Mit dem Erlös wollte der Geschädigte die Ausbildung einer Assistenzhündin finanzieren. Wie Z. berichtet, sei die Ausbildung nun fast abgeschlossen,  und die Hündin Holly komme Ende Oktober zu ihm und seiner Familie.