Pulheimer Flüchtlingshelferin„Ich musste noch nie so oft mit den Tränen kämpfen“

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Sabine Frömel steht vor dem Kofferaum eines voll bepackten Autos

Seit 2015 engagiert sich die Pulheimerin Sabine Frömel in der Flüchtlinghilfe

Sabine Frömel ist seit 2015 Flüchtlingshelferin. Im vorigen Jahr ging ihr vieles besonders nah.

Sabine Frömel ist seit 2015 als Flüchtlingshelferin aktiv, seit 2017 ist sie Engagementförderin des Kirchengemeindeverbandes Geyen, Sinthern, Brauweiler und koordiniert die Hilfe für Flüchtlinge. Sie ist 53 Jahre alt, Mutter von vier Kindern im Alter von 18 bis 25 Jahren und lebt in Pulheim-Sinthern.

Frau Frömel, wie haben Sie den 24. Februar 2022 erlebt?

Sabine Frömel: Ich war im Auto unterwegs und habe im Radio gehört. Ich habe gedacht, dass es eine Falschmeldung ist – dass es nicht stimmt und einfach nicht wahr sein kann. Abends hatte ich dann leider Gewissheit.

Wie haben Sie sich auf die Flüchtlinge vorbereitet?

Wir wurden schnell vom NRW-Flüchtlingswerk informiert und haben direkt mit vielen Ehrenamtlichen große Aktionen gestartet. Zunächst lag unser Fokus darauf, Hilfsmittel zu sammeln und in die Ukraine zu fahren. Wir haben alles gesammelt, viele Sachspenden angenommen und mithilfe eines ukrainischen Busfahrers rund 25 Transporte in die Ukraine geschickt – erst nach Kiew und dann in einige kleine Orte, die bombardiert wurden und Hilfe benötigten. Uns war klar, dass wir ganz schnell ein Netzwerk aufbauen müssen – es gab eine große Bereitschaft, Familien aufzunehmen. Das war eine ganz andere Situation als damals mit den syrischen Flüchtlingen, da vor allem Frauen mit Kindern kamen. Wir hatten einen festen Stamm von 35 Helfern, das zieht dann weite Kreise.

Wie verliefen Ihre ersten Begegnungen mit den ukrainischen Flüchtlingen?

Ich war dabei, als der erste Zug aus Warschau im Deutzer Bahnhof in Köln ankam. Als Mutter von vier Kindern hat es mich sehr getroffen, als die Mütter mit ihren Kindern ausstiegen. Es war unglaublich leise auf dem Bahnsteig, die Familien waren sehr still, das hat mich sehr bewegt. Es gab auf emotionaler Ebene sofort eine große Verbundenheit, die jetzt noch da ist. Wir konnten damals rund 30 Personen mit nach Pulheim nehmen und unterbringen. Ein Ehepaar zog bei uns zu Hause ein.

Ich musste noch nie so oft mit den Tränen kämpfen
Sabine Frömel, Flüchtlingshelferin

Was waren anfangs die dringlichsten Probleme?

Erst einmal ging es um ganz Existenzielles – ein Zuhause finden. Viele hatten, wenn überhaupt, nur einen kleinen Koffer dabei. Wir mussten Kleidung für die Frauen und Kinder organisieren. Zudem haben wir Kisten mit Erstsets an Haushaltsgegenständen wie Geschirr gepackt.

Gibt es Unterschiede zu anderen Flüchtlingsgruppen, die Sie betreut haben?

Ja, dieses Mal kamen fast nur Frauen und Kinder, im Gegensatz zu den vielen syrischen jungen Männern. Ich persönlich habe schon viele Schicksale erlebt, musste aber noch nie so oft mit den Tränen kämpfen und meine Professionalität wahren: Die Schicksale sind meiner Lebenssituation so ähnlich, ich konnte mich so gut in die Situation der Mütter hinein versetzen, das ist noch einmal etwas Besonderes. Zudem ist man durch die sozialen Medien mitten im Krieg, ich habe viele Facetime-Gespräche mitbekommen – man ist direkt in dieser anderen Realität und dem Elend drin. Da sitzen die Männer mit Waffen auf einem Feld und bitten um Ferngläser und Decken – das können wir natürlich nicht leisten. Ehemänner oder Söhne sterben und man kann nicht nach Hause. Die Einzelschicksale haben mich sehr bewegt. Oder einige Frauen sind mit ihren Kindern im Sommer zurück in die Heimat gereist, um die Ehemänner oder Großeltern zu besuchen. Sie haben gesehen und erzählt, wie zerstört alles ist, wie viel Angst besonders die Kinder vor den Bomben hatten. Sie sind zerrissen und wissen nicht, was sie tun sollen. Die Syrer zum Beispiel hatten gar nicht erst die Wahl, in die Heimat zurückzukehren.

Was ist Ihr persönliches Fazit nach einem Jahr?

Die Kommunikation mit den Behörden hat sehr gut geklappt, viele Leistungen wurden schnell frei geschaltet. Der Wechsel vom Sozialamt zum Jobcenter hat gut funktioniert. Definitiv gibt es – wie überall – zu wenig bezahlbaren Wohnraum. Es ist und wird nun für manchen Gastgeber anstrengend, immer noch Familien aufgenommen zu haben. Es entstehen Konflikte durch das unerwartet lange Zusammenleben, oft auf engem Raum. Aber auch da können wir helfen und moderieren. Viele Ukrainer haben eine Arbeit gefunden, die Kinder sind gut eingebunden, obwohl fast 90 Prozent von ihnen auch noch online in der Ukraine die Schule besuchen. Viele haben sich in kurzer Zeit gute Deutschkenntnisse angeeignet. Vor allem die Jugendlichen sind oft sehr motiviert. Viele Ukrainer bringen das ein, was sie haben – das ist ein ganz großer Gewinn.

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