Kraft der BilderNeue App soll Demenzpatienten helfen, sich an Ereignisse zu erinnern

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Die Gründer der App stehen und sitzen für ein Gruppenbild zusammen.

Matthias Witt, Nina Rohrmann, Tobias Rings, Marius Esser, Alain Yimbou und Parththipan Thaniperumkarumai (v.l.) von der Düsseldorfer Agentur Milkmoney bilden mit der Gründerin Dr. Carmen Pérez González das Team rund um die App „Golden Memories“.

Carmen Pérez González arbeitete lange Zeit mit Demenzpatienten. So entstand ihre Idee eine App zu entwickeln, die mithilfe von Fotos die Lebensqualität erkrankter Menschen steigern soll.

Mit einem schüchternen Blick schaut ein kleiner Junge in Lederhose in die Kamera – das Schwarz-Weiß-Foto ist schon etwas verblichen und zerknittert. Es zeigt nur eine flüchtige Alltagsszene, aufgenommen vor Jahrzehnten, und kann doch für einen Betrachter eine sehr wichtige Wirkung haben. „Bilder wecken die Erinnerung, und zwar über das Motiv hinaus“, erklärt Carmen Pérez González. Die promovierte Astrophysikerin und Fotohistorikerin aus Wesseling hat eine App für persönliche, generationenübergreifende Fotospiele entwickelt, die sich besonders an Demenzpatienten und ihre Familien richtet.

Fotos als Erinnerungsträger

Die App „Golden Memories“ soll ihnen helfen, sich zu erinnern, sich auszutauschen und die Lebensqualität zu steigern – mithilfe von Fotos als Erinnerungsträger. Vor rund vier Jahren setzte die gebürtige Spanierin, die seit 2006 in Deutschland lebt, ihre Idee in die Tat um. „Ich wollte etwas für die Gesellschaft tun, etwas zurückgeben. Seit über 30 Jahren beobachte ich Demenzpatienten.“ Zunächst beschäftigte sie sich im Familienkreis mit Erkrankten mit alten Fotoabzügen. „Da habe ich gemerkt, welche Kraft diese Bilder haben, sie funktionieren wie Katalysatoren. Über nur eine Fotografie konnten die älteren Menschen plötzlich zwei Stunden lang sprechen und sich auf einmal an Ereignisse erinnern, die weg waren.

Sie erlebten diese Situation noch einmal, es gab eine Kettenreaktion der Erinnerung.“ Die Pandemie erforderte dann ein Umdenken, denn die analogen Spiele mit Papierbildern ließen sich aufgrund der Kontaktbeschränkungen nicht mehr fortsetzen. Über einen Freund fand sie den Kontakt zu der Düsseldorfer Agentur milkmoney und ihrem Leiter Alain Yimbou, Dozent für Interaction und Retail Design an der Hochschule Düsseldorf. „Das war das größte Glück, ich habe so ein tolles Team gefunden“, freut sich die Spanierin, die sich selbst als analogen Menschen bezeichnet.

Eine kostenlose App auf mehreren Sprachen

Im Mai 2021 startete die Zusammenarbeit mit den IT-Experten, im April 2022 kam die erste digitale, kostenfreie Version von „Golden Memories“ auf den Markt – in den Sprachen Deutsch, Englisch und Spanisch. Fast ein Jahr lang hätte das Team ohne Geld an dem gemeinnützigen Projekt gearbeitet, berichtet Pérez González. Über ein Gründer-Stipendium NRW und die Auszeichnung mit dem Existenzgründerpreis Rhein-Erft-Kreis 2021 sowie Crowdfunding ließ sich die Weiterentwicklung der App finanzieren. „Alle Einnahmen werden in das Projekt reinvestiert. Es war mein großer Wunsch, dass sie weiterhin kostenlos und gemeinnützig bleiben soll.“

Die App, die aufgrund der Datenmengen nur auf Tablets geladen werden kann, bindet die ganze Familie in die Spiele ein – alle Generationen sind im Einsatz: Die Älteren suchen Fotos und ihre Erinnerungen heraus, sortieren und beschriften sie mit Hilfe, die Jüngeren scannen die Bilder und laden sie hoch. Aktuell gibt es drei Spiel-Varianten, ein Memory, ein Quiz und ein Postkartenrätsel. „Ich habe noch viele weitere Ideen, es sollen rund 15 interaktive, individualisierbare Familienfotospiele werden“, erzählt die Gründerin und Mutter dreier Teenager begeistert.

Bindung aller Familienmitglieder

Neben dem Nutzen für Demenzpatienten und ihre Familien hat sich im Laufe der Monate auch herausgestellt, dass die App ein großes Potenzial als Forschungsinstrument hat. „Wir sind nun in einer neuen Phase, um die wissenschaftliche Wirksamkeit der App zu zeigen. Kliniken in Aachen experimentieren bereits mit ihr“, so Pérez González. Lehrbeauftragte Sie selbst ist bereits als Lehrbeauftragte im Fach Geschichte an der Bergischen Universität tätig und wurde durch das Projekt so inspiriert, dass sie nun ihre zweite Doktorarbeit, diesmal in Psychologie, schreibt. Von der Kraft der Fotografien ist die Wissenschaftlerin überzeugt und begeistert: „Eigene Bilder können die Menschen emotional bewegen und helfen, das Leben einfacher und schöner zu machen.“

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