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„Psychische Ausnahmesituation“Rentner gibt in Ruppichteroth zehn Schüsse auf Einbrecher ab

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Polizei und Spurensicherung kamen nach den Schüssen auf einen 24-Jährigen, die im Februar dieses Jahres in einer Ortschaft in Ruppichteroth fielen, zum Tatort. Jetzt muss sich ein Senior vor dem Bonner Landgericht verantworten.

Polizei und Spurensicherung kamen nach den Schüssen auf einen 24-Jährigen, die im Februar dieses Jahres in einer Ortschaft in Ruppichteroth fielen, zum Tatort. Jetzt muss sich ein Senior vor dem Bonner Landgericht verantworten.  

Der 75-Jährige steht seit September vor dem Bonner Landgericht. Am Mittwoch, 24. September, hielten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers.

Nach wiederholten Einbrüchen in seinen Wohnwagen, der auf einer Wiese in einem Dorf der Gemeinde Ruppichteroth stand, hatte ein Rentner eine Wildtierkamera installiert und per App mit seinem Handy verbunden, um die Täter zu erwischen. Doch seitdem konnte der Rentner, der in Much wohnt, nachts kaum noch ruhig schlafen: Denn wiederholt wurde er geweckt, die App hatte Alarm gemeldet, weil ein Tier aus dem nahen Wald ins Visier der Kamera geraten war. Aber am 20. Februar, gegen 14 Uhr, als er gerade Brot buk, sah er tatsächlich einen Einbrecher auf dem Handydisplay – und dieser eine Blick veränderte alles im Leben des 75-Jährigen.

Seit dem 3. September muss er sich wegen versuchten Totschlags, gefährlicher Körperverletzung sowie Verstößen gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz vor dem Bonner Schwurgericht verantworten. Am Mittwoch, 24. September, hielten Staatsanwaltschaft und Verteidigung ihre Plädoyers.

Der flüchtende Einbrecher wurde zweimal in den Rücken getroffen, eine Kugel durchschlug die Lunge

Das Grundstück unweit der Straße Zum Weiher in Ruppichteroth ist das Refugium des Rentners, hier baut er Gemüse und Obst an, der Wohnwagen dient ihm vor allem als Lagerraum. Deswegen, sagte Verteidiger Carsten Rubarth in seinem Schlussvortrag, sei sein Mandant so betroffen gewesen, weil ihm „sein Rückzugsort kaputt gemacht“ worden sei durch die unbekannten Eindringlinge. Nachdem der Angeklagte in seinem Haus in Much selbst einem Einbrecher gegenübergestanden hatte, lag in seinem Nachtschränkchen eine halbautomatische Pistole, für die er keine Erlaubnis hatte.

Nach dem Handyalarm griff er diese Waffe, setzte sich in sein Auto und fuhr in zehn Minuten von Much bis in die abgelegene Ruppichterother Ortschaft, um den Fremden zu stellen, „anstatt die Polizei zu rufen“, hielt Staatsanwältin Carola Stangier dem Angeklagten vor. Auf der Wiese sah er einen 24-Jährigen, der offenbar den Wohnwagen aufgebrochen, in einen Karton zwei Flaschen Alkohol und eine Eismaschine gepackt hatte und verschwinden wollte.

„Bleib stehen!“, will der Eigentümer gerufen haben; diese Worte sind aber auf der Tonspur der Wildkamera nicht zu hören. Dann schoss er zehnmal in 52 Sekunden – jeder Schuss ist aufgezeichnet worden. Der flüchtende Einbrecher wurde zweimal in den Rücken getroffen, eine Kugel durchschlug die Lunge, die zweite die Schulter. Er ließ die Beute fallen, rannte weiter, der Rentner hechtete zu seinem Auto, fuhr ihm über die Wiese hinterher, schnitt ihm den Weg ab, bekam ihn zu fassen, setzte sich auf den Gestürzten und schlug ihm mehrfach mit dem Magazin der Pistole auf den Kopf.

Der 75-Jährige schlug dem Opfer mit der Waffe auf den Kopf, der Mann erlitt einen Schädelbasisbruch

Die Staatsanwältin schilderte dann, dass es dem jungen Mann erneut gelungen sei, sich loszureißen; er rollte eine Böschung runter auf die Landstraße; dort packte ihn der 75-Jährige und hieb ihm nochmals mit der Waffe auf den Kopf. Dabei erlitt das Opfer einen Schädelbasisbruch.

In diesem Moment näherten sich zwei Autofahrer der Szene, der erste stoppte, rief „Ey!“, sodass der wütende Rentner von dem 24-Jährigen abließ. Die zweite Autofahrerin eilte herbei und kümmerte sich um den Verletzten, den sie offenbar kannte, denn sie telefonierte dessen Mutter herbei. Derweil soll der Grundstückseigentümer laut Anklage die Zeit genutzt haben, um im Wohnwagen die Pistole zu verstecken und vor der Tür ein paar Holzstöcke so hinzulegen, als habe ihn der Einbrecher damit angegriffen.

Der Schwerverletzte war auf die Straße gerollt. Spuren wurden dort gesichert.

Der Schwerverletzte war auf die Straße gerollt. Spuren wurden dort gesichert.

Der Schwerverletzte wurde mit einem Rettungshubschrauber in eine Klinik geflogen und notoperiert. Er sei, so Stangier, als Folge der Tat „richtig fertig“. Die Polizei nahm den Rentner fest und durchsuchte seine Wohnung. Sie fand, so die Vertreterin der Anklage, „unfassbar viele Waffen“, nämlich genau 21, darunter zwei Maschinenpistolen der Marke Uzi, eine halbautomatische Pistole, einen Revolver, ein Gewehr, sieben Schreckschusspistolen, die teilweise manipuliert worden waren, dazu einen Schießstock zum Auflegen von Gewehren, Schalldämpfer und Munition.

Für die Staatsanwältin hat sich der 75-Jährige, der seit dem 21. Februar in Untersuchungshaft sitzt, des versuchten Totschlags und der gefährlichen Körperverletzung schuldig gemacht sowie gegen das Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen. Sie beantragte eine Gesamtstrafe von sechseinhalb Jahren.

Verteidiger Rubarth erklärte, sein Mandant habe „in einer psychischen Ausnahmesituation“ gehandelt; er sah den versuchten Totschlag nicht nachgewiesen, wohl aber eine gefährliche Körperverletzung und die Verstöße gegen die Waffengesetze, für die er insgesamt um eine milde Strafe bat. Der Angeklagte versicherte in seinem letzten Wort, dass ihm die Tat „sehr, sehr leid“ tue: „Ich bereue jede Sekunde und stelle mich der Verantwortung“.