Neunkirchen-Seelscheider Theatergründerin„Könnten unser Publikum auf Dauer verlieren“

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Nach vielen Jahren in Neunkirchen-Seelscheid ist Sibylle Kuhne nach Leipzig gezogen. 

Sibylle Kuhne hat mehr als drei Jahrzehnte in Neunkirchen-Seelscheid gelebt, wo sie mit ihrem Mann Jörg Kaehler das Zimmertheater Haus Birkenried gründete, in der Kreisstadt außerdem die Siegburger Freilichtspiele. Nach dem Tod Kaehlers zog die Schauspielerin 2016 nach Leipzig. Ihre Soloprogramme präsentiert sie auch immer wieder im Rheinland. In Köln sind Sie demnächst mit zwei Gastspielen zu erleben, unter anderem mit dem Titel: „Und davon kann man leben?“ Spiegeln sich hier Ihre Erfahrung als freiberufliche Schauspielerin, vor allem in der Corona-Krise? Sibylle Kuhne: Unabhängig von der Pandemie war es immer schwierig in diesem Beruf. Ich bin froh, dass ich nie Taxi fahren oder an der Supermarktkasse sitzen musste. Denn ich habe unter anderem Aufträge als Synchronsprecherin für TV-Serien und spreche Hörbücher für das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen.

In einem Videoclip, den Sie während der Pandemie gedreht haben, halten Sie Ihren Jahresplan mit lauter durchgestrichenen Terminen hoch, was dramatisch wirkt.

So war es auch. Am 14. März 2020 hatte ich eine Performance im Gohliser Schlösschen, und dann lief anderthalb Jahre fast nichts mehr. Am Anfang hatte ich große Angst vor einer Infektion, bangte auch um meine Stimme. Die Angst ist weg, aber die Unsicherheit ist geblieben.

Weswegen?

In solch einer toten Zeit für die Kultur besteht die Gefahr, dass wir unser Publikum auf Dauer verlieren, dass die Menschen von Live-Erlebnissen entwöhnt werden. Ich habe den Eindruck, dass zwar viel Geld geflossen ist, aber die Kultur von den Politikern nicht genügend wertgeschätzt wird. Deshalb habe ich Briefe an den Bürgermeister und an Minister geschrieben, mit dem Appell, der Kultur mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Das Gemeinschaftserlebnis von Musik oder Theater ist Nahrung für die Seele, ermöglicht auch Empathie durch einen Wechsel der Perspektive.

Wie erobert man das Publikum zurück?

Ich trete auf, wenn es irgend möglich ist, auch vor wenigen Menschen. Und man muss aufs Publikum zugehen. Kürzlich hat mir eine alte Dame geschrieben, dass sie gern zu meinem Mozart-Abend kommen möchte, aber im Dunkeln nicht mehr fahren mag.

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Mein Klavierpartner und ich haben sie dann zur Generalprobe eingeladen. Wichtig ist auch die Balance der Programme, die nicht zu elitär und dennoch anspruchsvoll sein sollten.

Wann wird man Sie im Rhein-Sieg-Kreis erleben können?

Das hängt vom Veranstalter ab; es muss einen Ort geben, der sich für Rezitationen und Soloperformances eignet. Leider gibt es ja die Buchhandlung der Brüder Remmel in Siegburg nicht mehr.

Sie sind im sächsischen Delitzsch geboren, haben in Leipzig studiert. War das 2016 auch eine Heimkehr für Sie?

In gewisser Weise ja, auch wenn ich immer noch viele Verbindungen zu Neunkirchen-Seelscheid habe. Leipzig ist eine sehr lebendige Stadt, das Publikum ist aufgeschlossen. Ich fühle mich dort sehr wohl, lebe mitten in der Stadt.

Wie hat sich die Pandemie auf Ihre künstlerische Produktivität ausgewirkt?

Nach dem ersten Schock habe ich begriffen: Das ist geschenkte Zeit. Ich habe zum Beispiel Hölderlins „Hyperion“ gelesen und daraus ein Programm erarbeitet, sozusagen ein Ertrag der erzwungenen Ruhe.

Termine

„Und davon kann man leben?“ Performance mit Texten von Tucholsky, Heidenreich und Kishon am Freitag, 4. März, 19.30 Uhr.

Rilke-Abend mit der Cellistin Natalia Kazakova am Sonntag, 6. März, 18 Uhr.

Beide Veranstaltungen finden im Café Fleur, Köln, Lindenstraße 10, statt. Eintrittskarten unter 0221/244897.

Meist mache ich ohnehin die Erfahrung: Die Dinge kommen zu mir, sie ergeben sich. Als ich zum Synchronsprechen kürzlich in Köln war, bin ich spontan ins Käthe-Kollwitz-Museum gegangen. Und habe nach dem Besuch beschlossen, ein Programm zu dieser großartigen Künstlerin zu machen.

Welche Ihrer Stücke, die das Publikum aus Haus Birkenried kennt, spielen Sie weiter?

Mit den Einpersonenstücken „Die Päpstin“ und „Oskar und die Dame in Rosa“ bin ich weiter auf Tour, das geht auch ohne große technische Ausstattung.

Inzwischen füllt sich Ihr Terminplan wieder. Was liegt Ihnen besonders am Herzen?

Weil sich in diesem Jahr der Geburtstag von Heinrich Heine zum 225. Mal jährt, möchte ich mein literarisch-musikalisches Programm mit dem Akkordeon-Duo Ef &Es neu auflegen. Außerdem plane ich einen Abend über die Komponistin Fanny Hensel, die Schwester von Felix Mendelssohn-Bartholdy.

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