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Eitorfer KirmesEine junge Generation von Schaustellern übernimmt Verantwortung

5 min
Der Aufbau der Eitorfer Kirmes beginnt am Dienstagabend, am Donnerstag herrscht reges Treiben, Chaos gibt es nicht. Für den Aufbau des „Magic house“ ist ein Kran notwendig.

Der Aufbau der Eitorfer Kirmes beginnt am Dienstagabend, am Donnerstag herrscht reges Treiben, Chaos gibt es nicht. Für den Aufbau des „Magic house“ ist ein Kran notwendig.

Viele Hände packen mit an, um das Kirmestreiben am Wochenende zu ermöglichen. Es ist eine internationale Schar mit jungen Chefs.

Ohne Riesenrad und Autoscooter wäre die Eitorfer Kirmes nicht komplett. Es sieht gut aus, dass das noch lange so bleiben kann. Denn die beiden Unternehmer, die dafür verantwortlich zeichnen, sind gerade mal 22 Jahre alt. Robert Gormanns zum Beispiel ist Chef vom Ostseestern, seine Familie betreibt insgesamt sechs Riesenräder, darunter die so genannte Russenschaukel, ein Fahrgeschäft von 1895, das jedes Jahr beim Bonner Weihnachtsmarkt dabei ist.

Mit vier Mitarbeitern baut er das hoch aufragende, schlanke Stahlrund mit 24 Gondeln auf der Brückenstraße auf. „Es ist mit das kleinste Riesenrad, das transportiert wird“, verrät er. Rund 2,5 Millionen Euro haben die Gormanns 2023 investiert. Auf drei Schleppern werden die rund 100 Tonnen schwere Einzelteile von Kirmes zu Kirmes transportiert, modernste Technik sorgt für möglichst geringen Energieverbrauch.

Robert Gormanns ist Chef des „Ostseesterns“. Der 22-Jährige hat das Geschäft im Alter von 18 Jahren übernommen.

Robert Gormanns ist Chef des „Ostseesterns“. Der 22-Jährige hat das Geschäft im Alter von 18 Jahren übernommen.

„Mein Opa war schon hier in Eitorf“, erinnert er an lange Traditionen. Er selbst hat mit 18 Jahren schon den Lastwagen-Führerschein gemacht, per Sondergenehmigung. Da hatte er die Schule fertig gemacht, die Ausbildung begann schon in der Kindheit. „Ich habe beim Papa im Aufbaukran auf dem Schoß gesessen“, beschreibt er, „das ist Familie, da bin ich reingeboren.“

Das Schild „Junger Mann zum Mitreisen gesucht“ liegt an der Kasse

Seine Crew kommt aus Rumänien. Sie sind seit mehreren Jahren dabei. „Nach der großen Winterpause von vier Monaten kommen 90 Prozent der Leute wieder“, freut er sich über Kontinuität. Deutsche Mitarbeiter sind selten zu finden. „Ich habe das Schild ‚Junger Mann zum Mitreisen gesucht‘ im Kassenhäuschen liegen“, sagt Gormanns, „aber die meisten sind nach spätestens drei Wochen wieder weg. Diesen Beruf muss man leben.“

Dabei zahlt er Mindestlohn, die Arbeitszeit ist geregelt und es gibt zwischendrin immer mal wieder frei. Normal sind fünf Leute beim Aufbau dabei, doch der Kostendruck wirkt sich aus. Fahrpreise will der 22-Jährige nicht erhöhen, also reist er jetzt mit einem Quartett. Zuletzt waren sie noch beim Hennefer Stadtfest, im Dezember geht es zum Weihnachtsmarkt nach Cottbus.

Der Wohnwagen ist nicht nur Zuhause, sondern auch Büro

„Schausteller sind Alleskönner“, meint er. Neben dem Handwerklichen muss er seine Leute führen, Stundenzettel prüfen, Tüv-Abnahme organisieren, Absprachen mit Kommunen treffen, Sicherheitskonzepte beachten. Sein Büro ist der Wohnanhänger, in dem er mit seiner Freundin lebt, nur hin und wieder fährt er nach Hause, nach Düren.

„Wir sind Kirchturmreisende“, verrät Ludwig Barth, er ist fast nur im Rheinland rund um Bonn unterwegs, wo er herkommt. Er zeichnet für den Autoscooter Route 66 verantwortlich. Der Aufbau ist Knochenarbeit, da muss der Chef selbst mit anpacken. „Wir haben viele Auslandsarbeiter und Aushilfen. Da kommen auch Freunde von mir.“ In Eitorf ist Jan-Luca-Steinhauer dabei. Die anderen drei, die mit anpacken, kommen aus Georgien: Ako Parava, Girogio Gegehipze und Temuri Kbilashvili. 

Es gibt keine Ausbildung, die das alles abdeckt, was hier benötigt wird.
Ludwig Barth, Jungunternehmer

„Außerdem kommen am letzten Tag junge Burschen vorbei, die abbauen wollen, um sich was Geld zu verdienen“, so Barth. Ebenfalls 22 Jahre alt, hat er keinen Beruf erlernt. „Es gibt keine Ausbildung, die das alles abdeckt, was hier benötigt wird. Ich habe alles hier gelernt“, sein Blick schweift über den Autoscooter, der mit 24 mal 13 Metern Grundplatte einer der größten transportablen ist.

Die Komplexität der Anforderungen und Genehmigungen wächst. „Es wird immer schwieriger, wir bemühen uns, das alles umzusetzen.“ Daneben lernt er gerade ein bisschen georgisch, um sich mit seinen Leuten zu verständigen. „Seit ich 14 Jahre alt bin, kenne ich nur arbeiten. Ich habe schon so viel gemacht“, erklärt er, ohne zu jammern, „ich bin im Wohnwagen aufgewachsen, als ich zwei Wochen alt war, lag ich hinter meiner Mutter an der Kasse.“

Ludwig Barth (M.) setzt auf Freunde, 2.v.l. Jan-Luca Steinhauer und seine georgischen Mitarbeiter Ako Parava (l.), Girogio Gegehipze (2.v.r.) und Temuri Kbilashvili.

Ludwig Barth (M.) setzt auf Freunde, 2.v.l. Jan-Luca Steinhauer und seine georgischen Mitarbeiter Ako Parava (l.), Girogio Gegehipze (2.v.r.) und Temuri Kbilashvili.

Doch nach eigenen Angaben bekommt er viel zurück: „Ich finde es schön, wenn Kinder kommen und mit strahlenden Augen Scooter fahren wollen. Das berührt mich.“ Bärbel Barth kommt vorbei. „Wir sind an vielen Orten, aber jeder für sich ist für uns ein Stück Heimat.“ In diesem Frühjahr ist „Route 66“ restauriert worden. „Da waren wir Wochen lang in Dessau in der Halle, in der die Tante Ju, die Junkers Ju 52, gebaut wurde“, berichtet sie, nicht ohne Stolz. 

Sohn Ludwig ist Anhänger von Hardstyle-Techno-Musik, ab 200 beats per minute. „Mit der Musik musst du dich ans Publikum anpassen“, weiß er, erstaunlicherweise funktioniert sein Geschmack, der Laden läuft und trotz des hohen Tempos kommt keine Aggressivität auf, die Menschen feiern zu den wummernden Bässen friedlich.

Fast schon ein Veteran ist Marco Welte mit seinen 44 Jahren. Er ist in der sechsten Generation Schausteller, zwei Achterbahnen, Kettenflieger, Autoscooter - die Familie ist breit aufgestellt. Sein Sohn, die siebte Generation, ist schon am Start. Er hat eine Ausbildung als Kfz-Mechaniker begonnen, aber nicht abgeschlossen. „Im ersten Jahr musste ich hauptsächlich sauber machen“, erinnert er sich, „aber das konnte ich schon, das habe ich seit meinem siebten Lebensjahr gemacht.“

Von der Pike auf hat er das meiste von seinem Vater gelernt. Du bist immer mittendrin. Mit Claudio Johann und Victor Gusanu baut er die Achterbahn Speedy neben der Kirche auf. Die beiden Rumänen sind routinierte Mitarbeiter. „Wo ein schlechter Chef ist, bleiben wir nicht so lang“, verpasst Gusanu Welte ein verstecktes Kompliment.

Victor Gusanu (l.) und Claudio Johann nehmen ihren Chef Marco Welte in die Mitte, sie bauen gerade die Achterbahn „Speedy“ auf.

Victor Gusanu (l.) und Claudio Johann nehmen ihren Chef Marco Welte in die Mitte, sie bauen gerade die Achterbahn „Speedy“ auf.

Es ist eine raue Arbeitswelt, körperlich hart, im Umgangston oft rüde. Aber sie sind alle Teil der Familie. „Meine Frau kocht für alle“, erklärt er eines der Rezepte, warum die Leute bleiben. „Mit ihren 1,56 Meter geht sie auch schon mal mit zum Zahnarzt und hält den großen Kerlen das Händchen.“ Und er zahlt mehr als Mindestlohn. „Das ist Akkord hier.“

Stolz ist er auf seine Tochter. Die hat ihr Abitur online gemacht. 15 Kirmeskinder haben angefangen, nur zwei haben es geschafft. Sie hat kein Studium begonnen. „Sie wollte Schaustellerin werden.“ 25 Veranstaltungen bereist er im Jahr, gerade kommt er von Eisleben in Sachsen-Anhalt. 20 Menschen beschäftigt er, darunter vier, die als junge Mitreisende zu ihm gekommen sind. Die aber sind dieses Mal nicht in Eitorf.