LaufbahnEine Schornsteinfegerin auf Kehrtour in Windeck
Windeck/Nümbrecht – Ob Schornsteinfeger nun wirklich dem Klischee entsprechend Glück ins Haus bringen, sei dahingestellt. Wenn Sandra Müller in Windeck auf ihrer Kehrtour unterwegs ist, ist es kaum möglich, nicht zu glauben, dass sie die personifizierte Glücksbringerin ist. Durch die schwarze Rußschicht auf ihrem Gesicht funkeln strahlende blaue Augen und auf den schneeweißen Zähnen ein kleiner „Brillie“.
Ihr Chef, Bezirksschornsteinfeger Erwin Luft, aus Rosbach, erhält reichlich Reaktionen, seit er im vergangenen April die fröhliche, junge Gesellin eingestellt hat. „Endlich einmal eine Schornsteinfegerin für Windeck“, sagten die Kunden. Auch Kollegen melden sich zu Wort. „Hör mal Erwin, als ich die langen blonden Haare und die langen Fingernägel sah, hatte ich meine Zweifel an deiner Entscheidung. Als ich dann sah, wie sie den halben Arm tief in den Ruß steckte, nicht mehr“, meinte einer.
Die 23-Jährige aus Nümbrecht ist davon eher genervt. Sie beschäftigt sich lieber mit den Grundlagen ihres Berufs, also mit Mathematik, Physik und Chemie. „Nach der Realschule habe ich erst ein Freiwilliges Soziales Jahr in einem Krankenhaus gemacht, das war gar nicht meins.“ Bei der Berufswahl war der Freund der jungen Frau ausschlaggebend. „Er ist auch Schornsteinfeger und hat viel erzählt vom Kundenkontakt, den flexiblen Arbeitszeiten und der guten Bezahlung.“ Sie entschloss sich, eine Woche lang ein Praktikum bei einem Schornsteinfeger in Ruppichteroth zu machen. „Ich habe zugesehen, ich durfte kehren, die Heizanlagen messen, aufs Dach durfte ich aber nicht.“
Bei einer Weihnachtsfeier kam sie mit einem Schornsteinfeger aus Much ins Gespräch und erhielt bei ihm eine Lehrstelle; eine Entscheidung, mit der sie bis heute glücklich ist. „Ich hatte in den zweieinhalb Jahren eine gute Ausbildung von zwei Meistern.“ Als sie als Gesellin zu Erwin Luft kam, stellte sich heraus, dass er 15 Jahre zuvor den gleichen Ausbilder hatte.
Das Berufsbild des Schornsteinfegers hat sich in den letzten Jahrzehnten stark gewandelt. Stand früher die Reinigung der Kamine im Vordergrund, geht es heute vor allen Dingen um den sicheren Betrieb von Feuerungs- und Lüftungsanlagen, um optimalen Energieverbrauch und geringe Emissionen. „Schornsteinfeger sind heute Sicherheits- Umwelt- und Energieexperten. Weil wir selbst keinen Verkauf haben, werden wir gerne von den Kunden als neutrale Berater hinzugezogen“, berichtet Luft aus der Praxis.
Als Gesellin half Sandra Müller Anfang letzten Jahres drei Wochen in seinem Betrieb aus. „Mir gefiel der Kontakt zu den Kunden in Windeck, ich wurde überall freundlich aufgenommen.“ Sie bewarb sich bei Luft um eine Anstellung. Auch er sei skeptisch gewesen, ob die 1,58 Meter große Frau den körperlichen Anforderungen gewachsen sei, erzählt Luft. „Die Arbeit ist sehr anstrengend. Die schwere Leiter, der Messkoffer und die Werkzeuge müssen geschleppt werden. Wenn ich ein paar Tage nicht unterwegs bin, merke ich das sofort. Abends ist man kaputt, und auf dem Land sind an den Kehrtagen etwa 25 Häuser zu besuchen.“ Ausschlaggebend für seine Entscheidung war das offene, freundliche Wesen der Bewerberin. „Die Leute achten auf den ersten Eindruck, das ist der Schlüssel zum Eintritt ins Haus.“ Außerdem habe sie in den drei Wochen die gewünschte Leistung gebracht. Irritieren ließ Luft sich auch nicht von den langen Fingernägeln seiner neuen Mitarbeiterin. „Sie trägt ja Handschuhe“, meint er gelassen. und Sandra Müller bekennt: „Privat bin ich die totale Tussi, wenn ich sage, ich bin Schornsteinfegerin, glauben mir die Leute oft nicht. Die meisten finden den extremen Unterschied lustig.“
In der Männerdomäne kommt nach Lufts Schätzung auf zehn bis 20 Betriebe etwa eine Schornsteinfegerin. Die erhalten das gleiche Gehalt wie ihre männlichen Kollegen. „Wir sind eine große, schwarze Familie mit einem starken Zusammenhalt. Durch das Kehrmonopol gab es früher keine Konkurrenz. Erst seit Anfang Januar 2013 sind Haus- und Wohnungseigentümer für bestimmte Tätigkeiten nicht mehr an den Bezirksschornsteinfeger gebunden“, so Luft. Sorge macht ihm, dass es schon Übergriffe auf Kolleginnen gegeben hat. Sandra Müller musste diese Erfahrung bisher nicht machen. Sie gehe auf Distanz, wenn es zu persönlich werde. Ihr Chef jedenfalls ist zufrieden mit ihr und will sie in jedem Fall behalten. Sandra Müller denkt sogar darüber nach, den Meister zu machen.
