Zerstörte HoffnungenSo haben Helfer aus Rhein-Sieg ihre Zeit in der Erdbeben-Region erlebt

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Königswinterer Sicherheitsfirma half im Erdbebengebiet im Südosten der Türkei.

Königswinterer Sicherheitsfirma half im Erdbebengebiet im Südosten der Türkei.

Helfer aus Königswinter und Troisdorf berichten über Tage inmitten der Trümmer, die geprägt waren von zerstörten Hoffnungen, großer Trauer und tiefer Solidarität.

44.000 Tote, zehntausende Verletzte und rund 220.000 zerstörte Wohnungen: Das ist die Bilanz zwölf Tage nach dem Erdbeben in der Türkei und Syrien. Die Solidarität ist groß, viele Helferinnen und Helfer – auch aus dem Rhein-Sieg-Kreis – sind in die Erdbebenzone gereist, um zu helfen. Zwei von ihnen sind mittlerweile zurückgekehrt und berichten von ihren Erfahrungen.

Helfer aus Troisdorf war in Kirikhan an der syrischen Grenze im Einsatz

„Schnell da sein“, in der akuten Not helfen können – das wollte Ingo Engels, als er sich vor Jahren bei ISAR Germany meldete. Schnell sein mussten der Troisdorfer und seine Mitstreiter auch bei ihrem Einsatz im türkischen Erdbebengebiet. Kaum waren sie mit Bus und Lkw voller Material in Kirikhan an der syrischen Grenze angekommen, wurden sie ein erstes Mal zu einer Einsatzstelle gerufen.

„Unsere Hunde haben angeschlagen“, mit dem Nötigsten auf dem Lkw fuhren sie los. „Wir haben schon nach drei Stunden eine Person retten können“, berichtet der 54-Jährige. Insgesamt retteten die Helfer von ISAR in der ersten Nacht drei Menschen aus den Trümmern. Einen vierten holten sie heraus, doch starb er noch am Unglücksort.

Großes Lob zollt Ingo Engels, der bei der Berufsfeuerwehr in Köln arbeitet, den Einsatzkräften vor Ort. „Es war alles organisiert“, die Teams konnten direkt loslegen. Der Troisdorfer Bergespezialist und mitgereiste Baufachleute der Organisation begutachteten die Ruinen, „wie beim Mikado“ müsse man da vorgehen: wehe, man nimmt das falsche Stück heraus.

Geborgene Frau konnte noch einmal mit ihrer Schwester sprechen

„Wir machen Löcher mit dem Stemmhammer, flexen Armiereisen raus“; auch Betonkettensägen gehörten zur insgesamt 16 Tonnen schweren Ausrüstung. So schaffen sie Zugang zu den Verschütteten. Holzbalken stützen ab, denn „die eigene Sicherheit hat oberste Priorität“.

Das wird auch bei der Wahl des Camp-Standorts bedacht. „Wir suchen immer eine freie Fläche, ohne Häuser oder Bäume drumherum.“ Immerhin sieben spürbare Nachbeben hat Engels erlebt, „da ist man schon froh, wenn man nur die Alu-Zeltstangen über sich hat“. Ingo Engels und die übrigen Aktiven haben nach 50 Stunden den ersten Schlaf bekommen; schläft man drei Stunden, „dann ist das schon gut“. 50 Stunden kämpften die Einsatzkräfte um das Leben einer Frau, während nebenan die Schwester der Verschütteten in der Kälte ausharrte.

Es gelang den Helfern, die Verunglückte zu befreien, später erlag sie im Krankenhaus ihren Verletzungen. Für Ingo Engels zählt Zeynep dennoch zu den Geretteten. Sie habe noch einmal mit der Schwester sprechen können. „Und sie ist nicht allein unter Trümmern gestorben.“

Ehrenamtler aus Königswinter reiste mit fünf Mitarbeitern in die Türkei

Für Danny Colenbrander aus Königswinter fiel die Entscheidung, in den Erdbebengebieten zu helfen, spontan. „Ich war gerade mit meinen Kindern auf dem Weg zum Kindergarten, als wir die Nachrichten aus der Türkei gehört haben“, sagt der 49-Jährige. Schnell sei an diesem Tag klar gewesen: „Wir wollen etwas tun – und zwar praktisch.“

Colenbrander ist Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens Innosec und hat vor der Unternehmensgründung 22 Jahre bei der Polizei gearbeitet – 17 davon war er im Einsatz bei Spezialkräften. Mit einigen seiner Mitarbeiter habe er noch am selben Tag Nägel mit Köpfen gemacht und Kontakt zum türkischen Konsulat aufgenommen.

Zwei Tage später saß Colenbrander mit fünf Arbeitskollegen im Flugzeug nach Istanbul. Von dort aus ging es mit vielen anderen Helfern weiter zu ihrem Zielort Kahramanmaras im Südosten der Türkei.

Tage voller zerstörter Hoffnung, Trauer und großer Dankbarkeit

„Ich war im Einsatz in Afghanistan, habe vieles gesehen – aber was ich dort erlebt habe, hatte eine andere Qualität“, schildert der 49-Jährige seine ersten Eindrücke. Ein koordiniertes Ankommen, Absprachen – all das sei vor Ort kaum möglich gewesen. „Wir haben im Grunde sofort angefangen zu suchen“, sagt der Königswinterer. Gemeinsam mit türkischen Hilfskräften hätten sie improvisieren und zunächst ohne schweres Gerät und Suchhunde loslegen müssen.

Die folgenden Tage waren für die Gruppe geprägt von Enttäuschungen, Trauer und immer wieder zerstörten Hoffnungen – aber auch von großer Solidarität und Dankbarkeit.

Da sind zum einen die vielen Leichen, die der 49-Jährige gemeinsam mit seinem Team aus den Trümmern barg. Die letzten Worte einer älteren Frau, begraben unter Beton und Schutt. Die aufkeimende Hoffnung, als bei einer Suchaktion plötzlich das Auto eines Gesuchten immer wieder ver- und entriegelt wurde, als wolle dieser ein Signal geben. Schließlich aber die bittere Erkenntnis, dass es ihnen nicht gelang, einen Menschen lebend zu befreien.

Arbeit im Karneval wirkt nach der Rückkehr aus der Türkei „surreal“

Da sind zum anderen aber auch die Dankbarkeit der Menschen, die zumindest von den sterblichen Überresten ihrer Angehörigen Abschied nehmen können. Nach vier Tagen ging es für ihn und zwei Mitarbeiter nicht mehr weiter. Sie seien körperlich und mental „echt am Ende“ gewesen. Drei weitere Kollegen blieben, kauften mit Spendengeldern Hilfsgüter ein. Auch sie kehrten im Laufe der Woche zurück nach Deutschland.

Die Verarbeitung des Erlebten, sie dauert an. Colenbrander und sein Team sichern in diesen Tagen Veranstaltungen, inmitten des jecken Treibens. „Das ist schon surreal. Letzte Woche sind wir noch durch Trümmer gekrochen – jetzt fliegen uns Kamelle um die Ohren. Das macht mich nachdenklich.“

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