Ihre Schwester Thea wurde von den sowjetischen Truppen verschleppt und erfror auf dem Weg ins Lager.
Heimat im Rheinland gefundenGeburtstagskind in Sankt Augustin ist 101 Jahre alt

Valeria Kneutgen feiert im CBT-Wohnhaus St. Monika ihren 101 Geburtstag am 25.9.2025
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Flucht, Rückkehr, Vertreibung, eine neue Heimat im Rheinland gefunden. Das ist in Kurzform das Leben von Valeria Kneutgen. Ihren 101 Geburtstag feiert sie am 25. September 2025. In ihrem Zimmer im CBT-Wohnhaus läuft Musik im Radio, als die Redaktion sie besucht. Geboren wurde die Jubilarin dem Familiennamen Hinz im Jahr 1923 im heutigen Gietrzwald. Dort ging sie zur Schule, turnte in ihrer Freizeit und nahm aktiv am Leben im Dorf teil.
Katholisch war die Familie; ihr Vater baute als Schreiner sogar das Pfarrhaus aus Holz. Dann kam der Zweite Weltkrieg, Nazideutschland hatte seine Nachbarn überfallen. Die Familie floh im Winter 1943/44 vor der anrückenden Sowjetarmee nach Kiel. Der Weg führte nicht im Flüchtlingstreck übers eisige Haff. Ein Offizier nahm sie im Lastwagen mit.
Die Schwester wurde von den sowjetischen Truppen verschleppt und starb auf dem eisigen Marsch
Doch die Sehnsucht nach der Heimat war größer. Es ging wieder zurück, nachdem die Kampfhandlungen beendet waren. Glück fand die Familie im heutigen Gietrzwald nicht mehr. Valeria Kneutgens Schwester Thea wurde von den sowjetischen Truppen verschleppt. Sie starb an Unterkühlung auf dem eisigen Marsch im Winter in ein Gefangenenlager. Und auch Valeria Kneutgen hatte Probleme. In der Schule wurde nun Polnisch gesprochen. „Deutsch war verboten“, erinnert sie sich.

Der alte Ausweis von Valeria Kneutgen (links oben), die mit Mädchennamen Hinz hieß, ausgestellt von den polnischen Behörden. Rechts ihre Mutter Hedwig, unten ihr Vater Josef.
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Ende der 1950er Jahre entschied sich die Familie, für immer in die neu gegründete Bundesrepublik Deutschland überzusiedeln. Ein Auffanglager in Hannover war die erste Station. Valeria Kneutgen nahm eine Stelle als Kinderfrau in Augsburg an. Später zog sie nach Troisdorf-Sieglar, wo ihre Eltern ein Haus gebaut hatten. Im Landwirtschaftsministerium fand Valeria Kneutgen eine Anstellung als Sekretärin, zuerst in der Stenoaufnahme. Wegen ihrer perfekten polnischen Sprachkenntnisse bekam sie aber schnell andere Aufgaben.
Valeria Kneutgen war im CBT-Wohnhaus in Sankt Augustin als künstlerische Beraterin aktiv
Mit ihrem Mann Josef fuhr sie gerne nach Mallorca in den Urlaub. Aus den dort gesammelten Strandfunden entstanden zahlreiche künstlerisch wertvolle Muschelbilder, die verkauft wurden. Zu ihrer Schwester Maria nach Sankt Augustin-Buisdorf zog Kneutgen 1983 nach dem Tode ihres Mannes, ins CBT-Wohnhaus in der Husarenstraße kam sie 2005. Dort engagierte sie sich im Wohnbeirat und war als künstlerische Beraterin bei Kunstkursen in Serviertentechnik im Hause aktiv.
Drei wunderschöne blühende Orchideenpflanzen stehen im Zimmer des Geburtstagskindes, nach zwei Oberschenkelhalsbrüchen hilft ihr ein Rollstuhl bei der Fortbewegung.
Als ehrenamtliche Küsterin hatte Valeria Kneutgen früher bei den Messen im Haus geholfen, jetzt kommt der Pfarrer zu ihr ins Zimmer, um die Kommunion zu spenden. Was ist ihr im Leben wichtig? Sie stimmt ein Lied an: „Ich brauche keine Millionen, mir fehlt kein Pfennig zum Glück, ich brauche weiter nichts, als nur Musik, Musik, Musik.“
Im Kreise der Familie feiert sie ihren 101. Geburtstag im Kaminzimmer des Wohnhauses. Mit dabei ist auch Neffe Andreas Freitag. Der 62-Jährige hat gerne die Betreuung seiner rüstigen Tante übernommen. „Sie ist eine echte Kämpferin, nach den zwei Oberschenkelhalsbrüchen ist es ihr für ihr Alter schnell gelungen, wieder fit zu werden.“