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Nachbarschaftshilfe in Sankt AugustinSozialkaufhaus platzt aus allen Nähten

Lesezeit 4 Minuten

Die Nachbarschaftshilfe in Sankt Augustin-Mülldorf als größtes Sozialkaufhaus zwischen Euskirchen und Eitorf platzt aus allen Nähten.

Sankt Augustin – Ein typischer Morgen mitten in Mülldorf: Aus allen Himmelsrichtungen rollen Autos heran, um von der Bonner Straße in eine unscheinbare Hofeinfahrt auf einen Parkplatz einzubiegen. Auf dem Grundstück aber sind alle Stellplätze bereits belegt. So bleibt den Besuchern der Nachbarschaftshilfe nur, ihren Wagen auf einem Schotterplatz abzustellen, der an die Gleise der Stadtbahnlinie 66 grenzt. Die Kunden kommen aus den Vororten Kölns. Sie reisen aus Rheinland-Pfalz an. Vereinzelt sind auch Nummernschilder aus dem Ruhrgebiet zu sehen. Vor allem aber sind es Menschen aus dem Rhein-Sieg-Kreis, die in der Nähe des Stadtzentrums von Sankt Augustin Schnäppchen suchen.

Für ein blaues Zweipersonensofa etwa müssen die Kunden 80 Euro hinlegen. Eine hellgrüne Kinderjacke kostet acht, ein grauer Tweedmantel mit Fischgrätenmuster zwölf Euro. Und wer sich im Jahr 2013 noch mit einem Röhrenfernseher begnügt, kann auch dieses hier für kleines Geld erstehen.

Verstärkung geholt

Bis zu 1000 Kunden kaufen mittlerweile hier Tag für Tag Gegenstände ein, die sie sich in neuem Zustand nicht leisten können. Und, wie Paul Busch sagt, werden es stetig mehr. Von Woche zu Woche, von Monat zu Monat. Weil im Speckgürtel rund um die prosperierenden Großstädte Köln und Bonn auch die Spendebereitschaft der Wohlhabenden ungebrochen ist, platzt die Nachbarschaftshilfe aus allen Nähten.

Der 71 Jahre alte Busch hat 2007 die Geschäftsführung des Sozialkaufhauses übernommen und im vergangenen Jahr die Stiftung Nachbarschaftshilfe gegründet, in die seitdem alle Überschüsse fließen. Weil die karitative Einrichtung mittlerweile zu einem komplexen Gebilde mit über 60 Mitarbeitern geworden ist, hat sich Busch mit dem ehemaligen Stadtkämmerer und immer noch praktizierenden Rechtsanwalt Uli Lehmacher (65) Verstärkung an die Seite geholt.

Seit der gelernte Kaufmann Busch seinen Dienst angetreten hat, beobachtet er einen Wandel, der ihn mit Sorge erfüllt: „Die soziale Schere geht in Deutschland immer weiter auseinander.“ Die Reichen werden reicher, die Armen ärmer. Aus diesem Grunde sieht er sich in der Pflicht, die Verkaufsfläche der Nachbarschaftshilfe zu erweitern.

In dem verwinkelten Gebäudetrakt jedenfalls ist heute kein Flceken mehr frei. Auf engem Raum müssen die Mitarbeiter gebrauchte Klamotten falten und ausgemustertes Porzellan für die Regale putzen. Zudem muss die gespendete Ware teilweise bis zu sechs Monate lang im Speicher oder im Keller eingelagert werden, ehe sie zum Verkauf angeboten werden kann.

Pläne sind problematisch

Aus diesem Grunde will er zwei neue Lagerhallen auf dem jetzigen Schotterparkplatz errichten. Dazu soll westlich neben der Nachbarschaftshilfe eine neue Zufahrt gebaut werden. Doch die Pläne sind problematisch: In nur ein paar Schritten Entfernung hat die Stadt Baugenehmigungen für den neuen Huma sowie für ein Geschäfts- und Bürogebäude erteilt – wobei das Verkehrskonzept auch ohne das Sozialkaufhaus nicht jedermann überzeugt hat.

Lehmacher sieht darin eine schreiende Ungerechtigkeit: „Es kann ja nicht sein, dass nur die Wohlhabenden bedient werden“, sagt er. Im gleichem Atemzug verrät er, dass die Führungsspitze mit Abwanderungsgedanken spielt, falls die Politik keine Genehmigung für die geplante Erweiterung erteilt. Man habe sich auf der Zange in Siegburg nach geeigneten Geländen umgesehen, aber auch in den Nachbargemeinden. Weil das Platzangebot jedoch überall gleichermaßen knapp sei, komme auch eine Dezentralisierung in Frage – schließlich betreibe man bereits eine Filiale in Troisdorf.

In der Pflicht allerdings sehen sich die beiden Geschäftsführer nicht nur zur Versorgung ihrer Kunden. Sie wollen auch ihrem Personal helfen. „Unsere Mitarbeiter“, erklärt Busch, „sind fast alle ehemalige Langzeitarbeitslose, die bei uns eine zweite Chance erhalten.“

Vorzeigeangestellte ist Sandra Neuhalfen. Die 43-Jährige war vor zehn Jahren ungelernt, verwitwet und hatte zwei Kinder groß zu ziehen. Mittlerweile ist sie eine Art Büromanagerin, die sich um alles kümmert – was sich auf der Gehaltsabrechnung niederschlägt. Nach diesem Prinzip, so Busch, arbeite die Nachbarschaftshilfe immer: „Wer sich bewährt, wird bei uns dafür belohnt.“ Möglicherweise demnächst in zwei zusätzlichen Gebäuden, wo sich noch mehr Personal bewähren kann