Mutter und Tochter schauten sich im Amtsgericht nicht in die Augen. Die 42-Jährige war wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagt.
Tochter jahrelang geschlagenGewalttätige Mutter aus Sankt Augustin durch Videokamera überführt

Ein Vater installierte eine Videoüberwachung im heimischen Wohnzimmer. Die Mutter stand jetzt wegen Körperverletzung ihrer Tochter vor dem Amtsgericht. (Symbolfoto)
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Häusliche Gewalt, so ist gemeinhin der Eindruck, wird vor allem durch Männer verübt, Gatten schlagen ihre Ehefrauen, Väter ihre Kinder. Mit einem ganz anderen Fall beschäftigte sich das Amtsgericht. Auf der Anklagebank saß eine vierfache Mutter aus Sankt Augustin, die ihre Tochter über einen Zeitraum von mehreren Jahren geschlagen haben soll.
Verurteilt wurde sie allerdings nur wegen eines einzigen Falls, die anderen Übergriffe waren ihr nicht nachzuweisen. Den Tathergang mussten die Prozessbeteiligten und die Zuschauer mit anschauen: Er war aufgezeichnet worden durch eine Überwachungskamera, die der Ehemann und Vater im häuslichen Wohnzimmer installiert hatte, und wurde auf dem großen Monitor im Gerichtssaal gezeigt.
Der Angriff, der im Gerichtssaal gezeigt wird, dauert quälend lange
Zwei kleine Kinder tollen im Wohnzimmer herum, zupfen an den Schondecken über Sofa und Sessel. Die ältere Tochter und die Mutter schauen fern, sie sitzen jede in einer Sofaecke, mit reichlich Abstand. Plötzlich schlägt die Mutter die Halbwüchsige auf den Kopf, in der Hand einen Gegenstand, „die Fernbedienung“, erklärte die Tochter im Zeugenstand.
Die Mutter schreit laut, beschimpft sie als Hündin, die Tochter weint und wehrt sich nicht, auch als die Mutter wieder und wieder zuschlägt und das Mädchen an den langen Haaren zieht. Der Angriff, der vor rund drei Jahren geschah, geht über Minuten, quälend lang für die Zuschauer. Die Tochter, die nach ihrer Zeugenaussage im Saal geblieben ist, schaut zu Boden.
Der Anlass: nichtig. Sie sei genervt gewesen, dass die kleineren Kinder die Schondecken in Unordnung brachten, erklärte die Angeklagte. Und auf Nachfrage: Ja, sie habe sich überfordert gefühlt, die Arbeit – sie kellnerte im Restaurant des Ehemannes -, der Haushalt, die Kinder. Sie sei nicht immer so aufgebracht gewesen, versicherte sie, „nur an diesem Tag“.
Die heute 18-jährige Tochter hatte bei ihrer polizeilichen Vernehmung 2022 aber insgesamt fünf Vorfälle geschildert. Vor Gericht hätte sie als Familienangehörige nicht gegen die Angeklagte aussagen müssen, sie entschied sich aber dafür, den auf Video aufgezeichneten Vorfall zu schildern und die heutige Situation. An andere Übergriffe könne sie sich nicht mehr erinnern, sagte sie: „Ich würde gern die Anzeige zurückziehen.“
Warum der Vater die Überwachung installierte, dafür hatte die Abiturientin eine überraschende Erklärung parat: Die jüngeren Geschwister hätten häufig gestritten, der Junge die Schuld auf das Mädchen geschoben und umgekehrt. Da habe ihr Papa sehen können, wer wirklich angefangen hat.
Die offenkundig gewordene Gewalttat der Mutter hatte Folgen. Sie zog aus der Familienwohnung aus, lebt bis heute in einem Zimmer in einer Obdachlosenunterkunft und von Bürgergeld. Das Jugendamt wurde eingeschaltet, die Treffen der Mutter mit den beiden jüngeren Kindern fanden bis vor Kurzem nur in Begleitung statt.
Angeklagte durfte nur begleiteten Umgang mit den jüngeren Kindern haben
Das Gewaltopfer erzählte, seit damals keinen Kontakt mehr zur Mutter zu haben, auch wenn diese sich verändert habe, offenbar ruhiger geworden sei. Man begegne sich lediglich zufällig, „auf der Straße“. Es gibt noch einen drei Jahre älteren Bruder, dessen Beziehung zur Mutter aber nicht zur Sprache kam.
Die 42-Jährige, die drei Vorstrafen wegen Diebstahls hat, wurde zu einer Freiheitsstrafe von acht Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte wegen des „hohen Aggressionspotentials“ zehn Monate gefordert. Die Schläge aus nichtigem Anlass hätten nur ihrer „Frustrationsbewältigung“ gedient.
Besonders verwerflich sei es, dass sich die Gewalt gegen eine Schutzbefohlene richtete, sagte Richterin Julia Dibbert. Die Mutter muss nicht in Haft, sie wird für die dreijährige Bewährungszeit unter Aufsicht eines Bewährungshelfers gestellt und muss als Auflage im kommenden halben Jahr 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Sollte sie eine Arbeitsstelle finden, so Dibbert, könnten die Stunden in eine Geldbuße umgewandelt werden.
Nach dem Urteilsspruch verließ die Tochter sofort den Saal. Die Mutter blickte ihr nicht nach.