Geschäft am MarktJuwelier Schneider in Siegburg schließt nach 121 Jahren

Lesezeit 3 Minuten
Seniorchef Gerd Schneider (M.) und seine Kinder und Geschäftsführer Christiane Czymmeck und Klaus Schneider.

Seniorchef Gerd Schneider (M.) und seine Kinder und Geschäftsführer Christiane Czymmeck und Klaus Schneider.

Siegburg – Da ist kaum ein Siegburger, der sie nicht kannte: Castor und Pollux, die beiden Cairn-Terrier, die vor der Ladentür in der Sonne dösten und sich von der Kundschaft gern mal kuscheln ließen. Die Hündchen sind längst nicht mehr, und demnächst wird auch der Firmenname „Juwelier Schneider“ aus dem Stadtbild verschwunden sein. „Es geht nicht mehr“, seufzt Seniorchef Gerd Schneider und zieht einen Schlussstrich unter eine Tradition, die 1893 sein Großvater Joseph begründete: vor 121 Jahren.

Wandel im Handel

Mehr noch: Mit Schneider wirft das letzte alteingesessene Geschäft am Markt das Handtuch. An die Kaufhäuser Kaspar und Fusshöller kann sich ohnehin schon kaum jemand mehr erinnern. Es folgten der Reihe nach Herrenausstatter Büttgen, Porzellanladen van Gils und Spielwaren Wasser. Alle mussten sie vor dem Wandel im Handel kapitulieren.

Filialisten und zunehmend der Internethandel machen den kleinen Geschäften das Leben schwer. Aber auch der gesellschaftliche Wandel, meint Gerd Schneider: „Die jungen Leute wollen nur noch Reisen und Spaß, für Schmuck haben sie kein Geld übrig.“ Der Traditionsbetrieb, der seit 30 Jahren von Sohn Klaus und dessen Schwester Christiane Czymmeck geführt wird, hat andere Zeiten hinter sich. Zeitweise beschäftigte Juwelier Schneider drei Meister und acht Verkäuferinnen in Vollzeit, 1994/1995 zählte das Siegburger Geschäft zu den 60 umsatzstärksten Juwelieren in Deutschland.

Das Fundament des Erfolgs setzte Großvater Joseph 1893. Am Markt 27 eröffnete der Uhrmacher sein erstes Geschäft, erwarb dann 1897 das Haus Markt 13, dessen Ladenlokal er sich anfangs mit der Färberei Pohl teilte, bevor sein Sohn Josef (mit „f“) 1921 den Betrieb übernahm, expandierte und 1928 dem Uhrmachergeschäft eine Schmuckabteilung hinzufügte. Große Herausforderungen standen dem Familienbetrieb bevor. Zwar hielt das Haus dem Bombenhagel im Zweiten Weltkrieg stand, doch wurde es am 26. März 1945 von Brandgranaten, die Amerikaner vom anderen Siegufer aus auf Siegburg abfeuerten, völlig zerstört.

Von Kindesbeinen an im Laden

Wochenlang hauste die Familie im Gewölbekeller, erinnert sich Gerd Schneider, mittlerweile 84 Jahre alt. Vorübergehend zogen die Schneiders an den oberen Markt, doch schon Ostern 1950 war Wiedereröffnung am alten Standort. „Eine großartige Leistung meines Vaters“, findet Gerd Schneider, der dann fünf Jahre später den Betrieb übernahm – obschon er doch Jura studiert hatte. Gleichwohl kannte er sich in der Branche aus: „Ich habe von Kindesbeinen an im Laden gestanden.“

Geschäft und Familie waren bei den Schneiders untrennbar miteinander verbunden: Im Hinterzimmer wurde gekocht und gegessen. Und selbstverständlich standen auch die Ehefrauen hinter der Ladentheke, während Gerd Schneider immer neue Geschäftsideen ausbrütete. 1966 eröffnete er seine Ambienteabteilung mit hochwertigem Glas, Porzellan und Besteck. Doch als die großen Möbelhäuser nachzogen, war’s mit diesem Geschäft vorbei.

Modernisierung im Jahr 2008

Dennoch gab die Familie nicht auf und investierte noch 2008 in eine komplette Modernisierung des Ladenlokals: „Quasi für die Katz“, bedauert der Senior. Denn auch wenn derzeit der Laden brummt, seit in großen Lettern das Wort „Räumungsverkauf“ satte Rabatte verheißt – längst sind die Zeiten vorbei, in denen die Uhrmacher, wie 1934 beim Rosenmontagszug, als wandelnde Uhren mit dem Slogan warben: „Versagt die Uhr, so denk daran, dass nur der Fachmann helfen kann“. Heutzutage, so Gerd Schneider, komme die Kundschaft nur, um die Batterie zu wechseln. „Jetzt“, fügt er hinzu, „müssen wir alle eine bittere Pille schlucken“: die Familie und vier Angestellte. Bis mindestens zum 31. Dezember, wahrscheinlich bis Anfang Januar, wollen sie durchhalten.

Als Nachfolger war Schmuckfilialist Christ im Gespräch. Doch das hat sich zerschlagen. Wer ins Ladenlokal einzieht, will der Senior noch nicht verraten, er selbst bleibt darüber wohnen. „Ich bin hier schließlich geboren“, meint er und tröstet sich mit dem Blick auf Markt und Michaelsberg.

KStA abonnieren