Hans-Willi Kernenbach hat sich eingehend mit den Scharfrichtern der Frühen Neuzeit beschäftigt und schlüpft ins Kostüm von „Meister Hans“.
Grauen der frühen NeuzeitHans-Willi Kernenbach bietet als Henker besondere Stadtführung durch Siegburg

Hans-Willi Kernenbach mit seinem Hexenfänger auf dem Siegburger Markt.
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Siegburg, anno Domini 1660, das Leben ist hart in der Stadt, der 30-jährige Krieg hat Folgen hinterlassen, Armut, Hunger. Auch „Meister Hans“ kämpft ums Überleben, in dem er anderen das Leben nimmt. Als Henker der Frühen Neuzeit ist er gefürchtet und respektiert und doch ein Außenseiter. Und er ist der Hauptdarsteller in einer Stadtführung, für die Siegburger Hans-Willi Kernenbach zu seinem Beil, der scharfen Berta und dem Hexenfänger greift, wenn er mit seinen Gruppen abends zum Pranger, dem Haus auf der Arken, dem Mühlengraben oder in die Holzgasse läuft.
Für schwache Nerven ist das nichts. Denn Kernenbach kennt sich mit den acht Hinrichtungsarten von damals bestens aus: Auf den Rost setzen, also verbrennen, gehörte zum Berufsalltag von Meister Hans, neben hängen, enthaupten, ertränken, rädern, vierteilen, bei lebendigem Leibe begraben. „Einige Strafen waren Spiegelstrafen“, schildert Kernenbach, so auch das Pfählen für einen Vergewaltiger. Bei Verstümmelungsstrafen wurden Finger oder Hände abgeschlagen, oder die Zunge wurde an den Galgen genagelt. Die Redewendung „ungeschoren davonkommen“ gehe auf das Scheren von Verurteilten zurück, bevor diese an den Pranger kamen.
Ziel war das Geständnis ohne Folter
Auch die Folter gehörte zum Metier von Meister Hans, der als junger Mann gut von den Hexenprozessen in Siegburg gelebt habe, die in der Zeit von 1636 bis 1638 tödlich endeten. Zur Folter gehört allerdings vorab auch das Zeigen der Werkzeuge und der Überzeugung, diese auch einzusetzen. „Das Ziel war das Geständnis ohne Folter“, sagt Kernenbach, moderne Mittel wie DNA-Untersuchungen oder Indizienprozesse habe es damals eben nicht gegeben.
Doch das waren bei weitem nicht alle Aufgaben von Meister Hans, der auch Verleiher von Geräten und Henkerkarren gewesen sei, Erbauer des Scheiterhaufens, Rattenfänger, Abdecker, Veterinär sowie Händler- und Pilgerführer. Als „Cloacarius“ für die Entsorgung von Fäkalien zuständig, wurde er zudem sarkastisch „Goldgräber“ genannt.
Grundeinkommen reichte von hinten bis vorne nicht
„Das Grundeinkommen von der Stadt, das reicht von vorne bis hinten nicht“, so Kernenbach, doch Meister Hans durfte die Kleidung der Hingerichteten verkaufen. Selbst die Prostitution war sein Metier: Auf die Hübschlerinnen hatte er aufzupassen, sie zu beraten und Geld einzubehalten. Kernenbach schildert das vor dem Haus Auf der Arken. Er habe den Verdacht, dass dort ohne Erlaubnis dem ältesten Gewerbe der Welt nachgegangen werde.
Sogar seinem Bruder sei er als Totengräber zur Hand gegangen, was lukrativ gewesen sei. Habe er doch einmal den Schädel eines Pestopfers gefunden, der sich bestens verwerten ließ: Ein paar Schnitzer Schädelknochen in der Erbsensuppe seien ein beliebtes Mittel gegen Kopfschmerzen gewesen.

Hans-Willi Kernenbach in seinem Wohnzimmer mit Literatur und Requisiten für seine Henker-Stadtführung.
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Auch anderes machte sich der Henker zunutze: Menschliches Fett sei eine beliebte Schmerzsalbe gewesen, menschliche Haut bei Hebammen beliebt, um sie einer Gebärenden aufzulegen und Entbindungsschmerzen zu lindern. Das Blut Hingerichteter wurde als Mittel gegen Epilepsie geschätzt. „Alles, was mit Hinrichtungen und Tod zu tun hatte, hatte eine gewisse Magie und über die Magie eine Heilwirkung“, erzählt Kernenbach. Verkauft wurde solcherlei „Medizin“ im Laden der Henkersfrau.
Kernenbachs Siegburger Meister Hans ist eine fiktive Figur, die aber so durchaus gelebt haben könnte: Zumindest geben seine Quellen das her, historische Bücher und Dokumentarfilme, Darstellungen zur Siegburger Stadtgeschichte und die Siegburger Schöffengerichtsprotokolle. Seine Aufzählung der Berufe sei eine Addition in einer Person, um die vielfältigen Möglichkeiten aufzuzeigen. „Ich erzähle nichts, was nicht wissenschaftlich nachweisbar ist“, betont Kernenbach, der bislang sieben Führungen konzipierte, unter anderem zur Kriminalitätsgeschichte, zu Migration in Siegburg und zu Komponist Engel Humperdinck.
Mosaik aus verschiedenen Quellen
„In der Regel brauche ich für die Vorbereitung einer neuen Führung drei Monate, für den Henker dauerte es etwas länger“, schildert der Polizeidirektor im Ruhestand, der auch im Kriminalmuseum in Rothenburg recherchierte oder sich in Lüneburg die Stadtführung mit einem Scharfrichterkollegen ansah. „Ich bastele das zusammen, wie ein Mosaik aus verschiedenen Quellen. Aber ich erzähle keine Schauergeschichten.“
Ob die Menschen damals grausamer waren? „Nein, das glaube ich nicht. Die Zeiten waren hart und unsicher, schon allein über den Winter zu kommen sehr schwierig“, antwortet Kernenbach. Gefängnisse habe es nicht gegeben, höchstens, um jemanden kurz wegzusperren. Bei den Strafen habe das Verhältnismäßigkeitsprinzip gegolten. „Eine schwere Straftat wurde entsprechend schwer bestraft, der Raubmörder wurde gerädert.“ Sogar gebetet habe man für die Verurteilten. „Die Seele sollte gerettet werden, das war für die Leute sehr wichtig.“

Zwischenstopp am Haus zum Winter.
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Und Meister Hans? „Der hatte gar keine andere Wahl, einmal Henker, immer Henker.“ Er habe sein Amt wie üblich schon vom Vater übernommen und galt als unehrenhaft, auch wenn er bei Abt und Bürgermeister ein und aus ging. Auch seinen Kindern blieb kaum etwas anderes übrig. Söldner oder Abdecker wurden sie, eine Tochter verheiratete er mit einem anderen Scharfrichter.
Der Siegburger Hans-Willi Kernenbach wurde 1955 geboren, besuchte das Anno-Gymnasium und schlug eine Polizeilaufbahn ein, arbeitete als Todesermittler in Mordkommissionen und ging 2017 als Polizeidirektor bei der Bonner Polizei in den Ruhestand. „Ich war immer historisch interessiert“, erzählt er, 30 Jahre sei er an der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung Dozent für Kriminalistik und Kriminalgeschichte gewesen.
Stumpfes Henkerbeil mit polizeilicher Genehmigung
Eine gewisse Überwindung habe es ihn gekostet, für seine Henker-Führung in ein Kostüm zu schlüpfen, er sei aber im Mittelaltergeschäft Rheingold beim Kauf von Hemd, Hose und Gürtel gut beraten worden. Für das Tragen seines Henkerbeils – es ist stumpf und stammt aus einem Geschäft in Rothenburg – hat er eine polizeiliche Genehmigung. Sogar eine Phiole mit Blut, Stricke, eine Stoffratte sowie ein paar abgetrennte Gliedmaßen und ein Schädel aus Kunststoff gehören zur Ausstattung. Das Mindestalter für die Führung ist wohlweislich auf 16 Jahre festgelegt.
Seinen Hexenfänger ließ er von einem Schlosser fertigen, einen gefährlich aussehenden Eisenring mit nach innen zeigenden Stacheln, der früher um den Hals von Verdächtigen oder Verurteilten gelegt wurde, und an einer langen Holzstange saß. „Das Berühren der Hexen konnte nach damaliger Vorstellung gefährlich sein.“
Die nächsten Henker-Führungen mit Hans-Willi Kernenbach sind am 2., 9., 10. und 30. Januar. Beginn ist jeweils um 17 Uhr, Start am Stadtmuseum. Eine Führung dauert knapp zwei Stunden, die Teilnahme kostet sechs Euro. Veranstalterin ist die Tourismusförderung der Kreisstadt Siegburg. Informationen und Anmeldung unter 0173/376 70 87 und per E-Mail.

