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Erziehungshilfe in SiegburgWie Anna zur hauptberuflichen Pflegemutter wurde

Lesezeit 5 Minuten
Fach-Pflegefamilien bieten Kindern eine Alternative zur Heimunterbringung.

Anna, Dennis und Robert (Namen geändert) bei einem Spaziergang am Fluss.

Die Erziehungshilfe verhilft traumatisierten Kindern zu Sicherheit und Vertrauen in einem richtigen Zuhause.   

So ein Spaziergang am Flussufer ist ganz nach Dennis’ Geschmack, auch nach einem langen Tag im Kindergarten hat der Fünfjährige noch genug Energie, um seinen Tretroller richtig auf Tempo zu bringen. Ein Abstecher führt zu einem Tiergehege mit Hühnern, dessen Bewohner Dennis Gras aus der Hand picken.

Mit dabei sind die Eltern Anna und Robert, die drei auf den ersten Blick eine ganz normale Familie. „Mama“ und „Papa“ kommt dem Energiebündel mit dem dunklen Lockenkopf ganz selbstverständlich über die Lippen, und so soll das auch sein. Doch die Mutter ist Profi, hat eine Erzieherausbildung, Dennis ist ihr Pflegekind. Profis waren es auch, die die Familie vor eineinhalb Jahren zusammengebracht haben.

Pflegeeltern: Familienleben und Erziehungsarbeit sind eins

„Ich wusste gar nicht, dass es so etwas gibt“, schildert Anna, die während ihrer Ausbildung bei der Erziehungshilfe gGmbH in Siegburg, auf die Möglichkeit aufmerksam wurde, eine Fach-Pflegefamilie zu gründen. „Ein Pflegekind aufzunehmen, war für mich schon immer eine Überlegung“, schildert die 41-Jährige, die bereits einen Sohn großzog, der mit 22 Jahren auf eigenen Beinen steht. Dennis ist für sie Sohn und Vollzeitjob zugleich, privates Familienleben und Erziehungsarbeit sind eins. Um sich ihrer Aufgabe voll widmen zu können, ist sie mit Erziehergehalt bei der Siegburger Erziehungshilfe fest angestellt.

„Dennis Eltern waren sehr jung“ und selbst mit ihrem eigenen Leben überfordert, schildert Anna. Die Beziehung der leiblichen Mutter mit dem Vater ging in die Brüche. Dennis kam zu kurz, zeigte Folgen von Verwahrlosung, bis das Jugendamt aufmerksam wurde und einschritt. Der Junge kam zunächst in eine große, quirlige Bereitschaftsfamilie mit vielen Kindern.

Fach-Pflegefamilien bieten Kindern eine Alternative zur Heimunterbringung.

Zwischenstopp mit Geflügelfütterung.

„Das hat direkt gepasst“, schildert Anna die erste Begegnung, regelmäßige Kennenlernbesuche über Wochen folgten. Schließlich sei Dennis freudig mit in sein neues Zuhause gefahren, auch wenn er wohl kaum wirklich habe wissen können, was es bedeutet, aus der großen Bereitschaftsfamilie in ein kleineres, ruhiges Zuhause zu kommen.

„Es hat gedauert, bis er Vertrauen gefasst hat“, erinnert sich Anna. Lustig sei Dennis heute, lebendig und klug, und er habe ein gutes Selbstbewusstsein. Aber die Pflegemutter achtet genau darauf, dass Dennis zur Ruhe kommen kann, auch wenn das bedeutet, etwas früher einen Kindergeburtstag zu verlassen. Dabei helfe die Ausbildung. „Warum musste ich weg?“, die Frage habe sich der Junge schon zweimal in seinem jungen Leben stellen müssen. „Bei manchen Kindern bleibt das eine ganzes Leben“, so Anna. Dennis Art des Umgangs damit sei es, seine Anspannung in Bewegung umzusetzen.

Erziehungshilfe in Siegburg: Besonders bindungsbelastete Kinder profitieren von dem Modell

Stefan Simmler, Fachbereichsleiter „Leben in Familien“, wirbt für das Modell, von dem besonders bindungsbelastete Kinder wie Dennis profitieren könnten. Das Besondere sei die emotionale Ebene und die verlässliche, nicht wechselnde Betreuung durch die Fach-Pflegeeltern.

„Du bist hier geliebt und erwünscht“, das sei für die Kinder besonders wichtig. Für Kinder, die dafür infrage kommen, sei die Fach-Pflegefamilie schlicht die beste Lösung. Zu Erzieherinnen und Erziehern im klassischen Berufsfeld gebe es einen großen Unterschied: „Die können um 16 Uhr Feierabend machen und nach Hause gehen. Das ist hier anders, macht aber auch die Qualität aus.“ Mindestens ein Familienmitglied müsse eine Fachkraft sein.

Fach-Pflegefamilien bieten Kindern eine Alternative zur Heimunterbringung.

Stefan Simmler, Fachbereichsleiter 'Leben in Familien' bei der Erziehungshilfe gGmbH in Siegburg

Fachpflegeeltern ist ein kaum bekanntes Berufsbild

„Die Anfragen werden immer mehr, die Kinder immer jünger“ schildert Simmler. Die Familien würden in allen Fragen intensiv beraten. „Diese Arbeit macht nicht jeder, sie ermöglicht aber auch viele Freiheiten“, hebt er hervor. Wenn etwa ein Kind drei oder vier Stunden in der Schule sei, bleibe Zeit für eigene Interessen.

„Das Berufsbild kennt kaum jemand“, bedauert Simmler. „Dabei gibt es Kindern, die einen schlechten Start ins Leben hatten und die viel Leid erfahren haben, große Chancen.“ Manche Kinder allerdings hielten das hohe Maß an Bindung nicht aus, was neben anderen Gründen die geringe Zahl von Abbrüchen erkläre.

Fach-Pflegefamilien bieten Kindern eine Alternative zur Heimunterbringung.

Bewegung ist wichtig für Dennis, ein Päuschen geht für ihn aber in Ordnung.

Auch den Erwachsenen biete der Beruf die Möglichkeit, sich zu entwickeln. „Alle Eltern wachsen an den Herausforderungen, die ihre Kinder ihnen stellen. Das ist in der Fach-Pflegefamilie noch einmal besonders der Fall.“ Stefan Simmler betont: „Kindern Sicherheit zu geben, sie darin zu unterstützen, Beziehung zulassen zu können und vertrauen zu lernen, kann eine sehr erfüllende Arbeit sein.“

Den hohen fachlichen Anspruch sieht auch Anna: „Erst die Ausbildung abschließen und dann Hausfrau sein, so war das nicht.“ Sie profitiere sehr von den wöchentlichen Treffen mit ihren Kolleginnen und Kollegen in Siegburg, der Austausch sei wichtig für die Fachpflegeeltern. Sie arbeitete zuvor auch schon in einem Kinderhaus, zieht aber ihre neue Beschäftigung vor: „Ich arbeite gerne selbstbestimmt.“

Große Änderungen stehen der Familie bevor, denn auch Robert, der in einem Handwerksberuf arbeitet, bildet sich gerade weiter, um auch ein Kind aufnehmen zu können. Dennis soll nach Möglichkeit noch einen kleinen Bruder bekommen – und könnte dann etwas weniger im Mittelpunkt stehen. Anna sieht dem gelassen entgegen: „Dennis freut sich schon, er möchte gerne einen Brudi.“


Die Redaktion hat alle Namen zum Schutz der Familie geändert und aus diesem Grund auch den Wohnort nicht genannt.


Die Erziehungshilfe in Siegburg will Kindern die Chance geben, in einer Familie aufzuwachsen

Die Erziehungshilfe gGmbH wurde 1998 als Verein gegründet, mit dem Ziel, Kindern mit der Notwendigkeit einer stationären Unterbringung die Chance zu geben, in Familien aufzuwachsen, die auch als Sozialpädagogische Lebensgemeinschaft oder Erziehungsstelle bezeichnet werden.

Die heutige gemeinnützige Gesellschaft gliedert sich in die Fachbereiche Stationäre Hilfen mit den Abteilungen Leben in Wohngruppen und Leben in Familien, Ambulante Hilfen, Fachschule für Sozialpädagogik und Pädagogische Diagnostik.

Weitere Projekte sind Kinderbetreuungscamps für von der Flut betroffene Familien an der Ahr, eine Denkfabrik zu Maßnahmen gegen den Fachkräftemangel im Erziehungswesen, Unterbringung und Fortbildung von ukrainischen Müttern mit Kindern in Erholungshäusern, Trägernetzwerke, Sozialraumprojekte, Soziale Gruppenarbeit, Flüchtlingshilfe, Schulsozialarbeit, Streetwork, offene Familienberatung und Supervision, kostenlose Beratung von Fachkräften.