Zweckbündnis in Düsseldorf?Rot-gelb in NRW – eine Koalition aus dem Geschichtsbuch

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Hannelore Kraft Christian Lindner

Hannelore Kraft und Christian Lindner im NRW-Landtag.

Zur Feier des 70. Geburtstags der NRW-FDP kam vor vier Monaten ein besonderer Gast in die Kölner Flora. Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) hielt die Festrede. Eigentlich schenken die Liberalen und deren Spitzenmann Christian Lindner der Sozialdemokratin rein gar nichts. Diesmal war es anders. Das hat auch mit Hannelore Kraft zu tun, die stets betont, dass Streit in der Sache möglich sein müsse und Respekt voreinander nicht ausschließe.

Ob sie auf der liberalen Geburtstagsfeier eventuelle Koalitionsarithmetik im Sinn hatte, wie es jetzt die Umfrage des Forsa-Instituts nahelegt? Demnach könnten SPD und FDP gemeinsam in NRW regieren, nachdem die Grünen auf sechs Prozent gefallen sind. Es wäre eine Verbindung aus dem Geschichtsbuch. Auch wenn noch viel Zeit vergeht bis zur Landtagswahl am 14. Mai – Kraft jedenfalls erinnerte in der Flora an den Ministerpräsidenten Fritz Steinhoff (SPD), der 1956 mit dem FDP-Politiker Willi Weyer die erste sozialliberale Koalition der noch jungen Bundesrepublik in Nordrhein-Westfalen gebildet hatte.

Adenauer ohne Mehrheit

Das Bündnis blieb Episode. Im Bund hatte Kanzler Konrad Adenauer ein Mehrheitswahlrecht einführen wollen, das die FDP bedeutungslos gemacht hätte. Der Regierungswechsel in Düsseldorf machte ihm einen Strich durch die Rechnung, denn er veränderte die Machtverhältnisse im Bundesrat. Adenauer hatte dort keine Mehrheit mehr. Doch aus der Landtagswahl von 1958 ging die CDU als absoluter Wahlsieger hervor. Das Ende für das Zweck-Bündnis.

Generalprobe für den Bund in Düsseldorfer Landtag 

1966 schließlich kam es zur zweiten sozialliberalen Koalition in NRW. Voraussetzung war der Wandel, der die deutschen Parteien erfasst hatte. Die SPD hatte sich mit dem Godesberger Programm geöffnet, und in der FDP gewannen die Reformkräfte, die „Jungtürken“, Oberhand. Walter Scheel, Hans-Dietrich Genscher und Willi Weyer modernisierten die bis dato eher national-konservative Partei, was 1971 in den Freiburger Thesen programmatischen Ausdruck fand. Im Grunde fand im Düsseldorfer Landtag die Generalprobe für den Bund statt.

15 Jahre Alleinregierung

SPD und FDP leiteten dort das Ende der von der CDU dominierten Nachkriegszeit ein. Bis 1980 war NRW sozialliberal. Dann scheiterte die FDP mit 4,8 Prozent der abgegebenen Stimmen an der Fünf-Prozent-Klausel. Es begannen nicht nur 15 Jahre Alleinregierung der Sozialdemokraten. Die Wahl war auch ein Lehrstück, wie ein kleinerer Koalitionspartner, der strukturell weniger Glanz abbekommt, sich im Laufe der Jahre verschleißen kann.

1969 fand die Koalition aus sozialliberalen Kräften ihren vorläufigen Höhepunkt in der Bildung der Regierung aus Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und seinem Außenminister Walter Scheel (FDP). Der Weg des Wandels wurde entschlossen fortgesetzt, den bereits die Große Koalition aus CDU und SPD 1966 zaghaft eingeleitet hatte. In praktisch allen Lebensbereichen wurden überfällige Reformen angestoßen; gleichzeitig begann in diesen Jahren auch der Weg in den Schuldenstaat.

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Euphorie und Leidenschaft für das Reformprojekt fanden 1974 ein Ende, als Brandt in der Guillaume-Affäre als Bundeskanzler zurücktreten musste. Fortgesetzt wurde die Koalition mit dem eher nüchternen Gespann Helmut Schmidt (SPD) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) – Walter Scheel war im Mai 1974 zum Bundespräsidenten gewählt worden.

Christian Lindner machte FDP wieder sichtbar

Die Bonner Wende von 1982 markierte einen der großen Einschnitte. Die FDP wandte sich der Union zu. Dieser Schritt kam für viele Wähler jäh und überraschend. Markante Köpfe wie Günter Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier verließen damals aus Protest die Liberalen. Seither wurden sozialliberale Koalitionen auf Landesebene seltener, was auch am Auftauchen einer neuen Kraft lag: den Grünen, die der SPD als neuer Koalitionspartner dienten. Die bislang letzte sozialliberale Koalition endete 2006 in Rheinland-Pfalz, nachdem die SPD dort die absolute Mehrheit gewonnen hatte.

Elf Jahre später haben dieses Land und seine Parteien sich verändert. Finanzkrise, Schuldenkrise, Flüchtlingskrise, europäische Krise sowie die Schockwellen, die Terrorismus und Islamismus aussenden, haben eigene Gestaltungskräfte entwickelt. Mit Angela Merkel hielt sich erstmals mehr als ein Jahrzehnt eine Politikerin an der Macht, die am ehesten noch mit dem Begriff der Krisenmanagerin korrekt umschrieben ist. Die Programmatik von Parteien jedenfalls geriet in den Hintergrund. Bis zum Herbst 2015. Die Öffnung der Grenzen für mehr als eine Million Flüchtlinge hat den Fokus öffentlicher Wahrnehmung verändert.

Personen spielen zwar weiter eine entscheidende Rolle, sicher aber auch wieder verstärkt programmatische Botschaften. Martin Schulz (SPD), der gleichsam aus dem Nichts auftauchte, verkörpert dieses Prinzip. Mehr noch aber Christian Lindner, der seine FDP im Bund in einem enormen Kraftakt wieder sichtbar gemacht hat. In Düsseldorf gilt Lindner als der eigentliche Oppositionsführer. Und in der Flüchtlingspolitik hat der Chefliberale wie in einem politischen Strategiespiel klare und kritische Positionen eingenommen, sich aber gleichermaßen messerscharf von populistischen Strömungen abgegrenzt.

Umfragen zeigen, wie ausgeprägt der Wunsch nach neuen Kräften ist. Ob daraus politische Bündnisse entstehen, bleibt abzuwarten. Tatsache ist, dass in NRW im Mai gewählt wird und im September im Bund. Bedeutend genug für eine Vorreiter-Rolle ist dieses Bundesland auf jeden Fall.

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