Spezielle Situation in NRWZugvögel machen sich auf in den Süden

Lesezeit 5 Minuten
Ein Schwarm mit Tausenden Staren sammelt sich.

Ein Schwarm mit Tausenden Staren sammelt sich.

Köln – In einer kleinen Pappelkolonie am Rande eines abgeernteten Feldes im Bonner Süden sind schwarze Wesen zu sehen, zu Tausenden. Sie zischen, knattern und schnalzen. Die Unruhe ist groß, ständig landen neue Geschöpfe in den Ästen. Und dann heben sie alle auf einmal ab, bilden den Schwarm, der sie berühmt gemacht hat. In der Masse auftretende Stare faszinieren, sie stehen für grandiose, sekündlich wechselnde Flugformationen in der Luft – und gerade jetzt sammeln sie sich wieder, um Gruppenflüge einzuüben. Denn bald schon ziehen die Stare gemeinschaftlich nach Süden, wo sie finden, was ihnen hier im Winter fehlt: Insekten.

Der gerade angebrochene Herbst ist insofern auch eine Zeit des Abschieds von einer Vielzahl von Gartenvögeln, die seit dem Frühjahr singend vor unseren Haustüren auf sich aufmerksam gemacht haben. Von den 250 in Deutschland brütenden Vogelarten sind etwa die Hälfte Zugvögel, die nun so langsam aufbrechen.

Mauersegler beginnen schon sehr früh ihren Zug nach Süden, meist bereits in der zweiten Julihälfte. Damit kündigen sie den Jahreszeitenwechsel schon früh an. 

Mauersegler beginnen schon sehr früh ihren Zug nach Süden, meist bereits in der zweiten Julihälfte. Damit kündigen sie den Jahreszeitenwechsel schon früh an. 

Vogelzug in NRW

Gut 50 Prozent der in Nordrhein-Westfalen lebenden Vögel begeben sich auf Reisen, sagt der Ornithologe Heinz Kowalski. Bis zu 40 Millionen Tiere werden NRW laut Kowalski im Herbst verlassen. Davon jedoch sei in der Regel wenig zu spüren, weil viele Tiere sich nachts auf die Reise machten. Zudem ist NRW ein klassisches Überflugland für die vielen anderen Vögel, die, aus dem Norden und Osten kommend, in Richtung Süden ziehen. Mit dem ersten Frost gilt das auch für Kraniche, 200000 würden bald von Skandinavien oder Polen aus über NRW ziehen, schätzt Kowalski. Die Anzahl der Flieger, die weltweit den Ort wechseln, ist enorm. Der Ornithologe und Verhaltensforscher Peter Berthold schätzt ihre Zahl „auf etwa 50 Milliarden“.

Gründe für den Vogelzug

Es ist weniger die zunehmende Kälte, als vielmehr die Angst vor Hunger, die den Abflug der Vögel auslöst. Im Süden ist die Auswahl an Insekten und Gräsern im Winter deutlich größer als im Norden. Die Tiere kehren aber im Frühjahr wieder zurück, weil die Tage diesseits der Alpen länger sind – und sich damit auch die Chance erhöht, an Nahrung zu gelangen. Zugvögel verfügen über einen inneren Kalender, der sich hierzulande am Stand der Sonne orientiert. Wenn sie früher untergeht, steigt ihre Unruhe. Das gilt auch für jene Flieger, die, anders als Stare, alleine nach Süden fliegen: „Die Kleineren, also etwa Fitis, Zilpzalp, Nachtigall oder Hausrotschwanz, ziehen für sich, aber auch der Kuckuck geht einsam auf Reisen“, sagt Kowalski. Dass sie Routen in die Wärme finden, ist Teil ihres genetischen Programms. Sie nutzen aber auch Hilfsmittel, etwa die Sterne in der Nacht oder den Mond, sie spüren außerdem das Erdmagnetfeld, orientieren sich aber auch an Küstenstreifen, Flüssen oder Gebirgen.

Ein Vogel der Art Fitis sitzt auf einem Ast, sein Gefieder ist graun-gelblich. Der Vogel füllt fast das gesamte Bild aus. Der Baum ist noch kahl, es zeigen sich Knospen an den Ästen.

Einer der kleinsten Gartenvögel, der Fitis, wiegt gerade mal zehn Gramm – und ist ein erstaunlicher Langstreckenzieher, sein Winterquartier liegt deutlich südlich der Sahara.

Spezielle Situation: NRW ist nicht nur Vogelauswanderungsland

Die Situation in NRW ist speziell, denn es ist nicht nur ein Vogelauswanderungsland, sondern auch eines für fliegende Einwanderer. Manche Entenarten halten hier für kurze Zeit, wenn sie etwa im Vogelschutzgebiet „Unterer Niederrhein“ eine Rast einlegen. Der Landstrich erstreckt sich von Duisburg entlang des Rheins vorbei an Wesel und Kleve bis zur niederländischen Grenze bei Kranenburg und Emmerich. Von Anfang November bis Ende Februar überwintern hier aber auch Gäste, vor allem Blässgänse sind zu sehen, bisweilen auch Saatgänse, laut Kowalski bis zu 100000 Tiere. Sie halten sich gut zur Hälfte vor allem in der Düffel auf, einem Altrheingebiet mit Flussmarschen, das sich von Kranenburg bis zum Rheinufer erstreckt. Bezeichnet werden sie als nordische Gänse, ihre Herkunft: Russland, das Baltikum und Skandinavien. „Am Niederrhein gibt es viele Feuchtwiesen, da fällt nicht so viel Schnee, die Gänse können auch aus dem Rhein trinken, der nicht zufriert“, sagt Kowalski. Der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) organisiert ab Ende November Ausflüge zu Beobachtungsplätzen (siehe „Exkursion zu Gänsen“).

Zugwege

Ornithologen unterscheiden zwischen Kurz-, Mittel- und Langstreckenziehern. Zur letzten Gruppe gehören etwa Weißstörche, die erst südlich der Sahara stoppen, zudem die kleinen Fitisse oder Zilpzalpe. Derartige Minigeschöpfe müssen sich vor dem Flug Fett- und Zuckerpolster anfressen, tanken unterwegs aber auch immer wieder auf. Zugvögel, die sich auf der Kurz- und Mitteldistanz bewegen – etwa Kraniche, Buchfinken, Rotkehlchen, Stare oder Lerchen – fliegen nach Spanien, Portugal, nach Südfrankreich oder landen nördlich der Sahara in Afrika. Ein typisches Überwinterungsgebiet für NRW-Vögel sei der Senegal, erzählt Heinz Kowalski.

Standvögel

Die Vögel, die sich von Körnern, Samen oder Früchten ernähren, verzichten auf den Zug nach Süden und bleiben in Deutschland. Meisenarten gehören dazu, Spatzen, Spechte, Drosseln oder Tauben. Mit zunehmender Erderwärmung hat sich auch ein Wandel des Zugverhaltens ergeben – manche Zugvögel, wie etwa Amseln, Rotkehlchen oder Buchfinken, verzichten mittlerweile auf die Reise in den Süden. Kowalski berichtet zudem von einer Hausrotschwanzpopulation, die sich auf dem Bayer-Gelände in Leverkusen eingelebt hat – auch im Winter: „Da ist es warm, da gibt es Insekten. Deshalb bleiben sie.“

Gefahren

Bei den Zielen der Vögel in Südeuropa oder Afrika handelt es sich zunehmend um zerstörte Lebensräume. Trockenheit und Hitze nehmen zu, aus Steppen und Savannen ist Ackerland geworden – ein großes Problem für die Tiere. Hinzu kommen die klassischen Gefahren: Hobbyjäger, die auf Malta etwa Wespenbussarde oder Fischadler abschießen, oder ägyptische Feinschmecker, die ziehende Singvögel als Delikatesse empfinden.

KStA abonnieren