Corona und BrexitDoppelte Krise in Großbritannien – „Ein Desaster“

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LKW-Fahrer in Großbritannien ordnen beim Warten ihre Ladung neu. 

Die Schlange der Lastwagen scheint nicht zu enden. Sie zieht sich kilometerweit durch die Landschaft an der Kanalküste bis weit ins Landesinnere der Grafschaft Kent hinein. Lastwagen parken auf dem Seitenstreifen wie auch direkt auf der Autobahn, fast im Minutentakt rollen neue heran – und müssen wie alle anderen auch stehenbleiben, weil Frankreich den Eurotunnel zum Schutz vor der neuen Corona-Variante aus dem Vereinigten Königreich geschlossen hat.

Und schon stehen in Großbritannien die ersten Fabriken still, weil Teile für die Produktion fehlen – fast wie im Frühjahr, als Grenzschließungen Europas Lieferketten hart trafen. Die Erinnerungen daran dürften am Dienstag bei Toyota wach geworden sein.

Der in Großbritannien produzierende Autohersteller rechnete mit Lieferschwierigkeiten, zog den Beginn der weihnachtlichen Werksferien um zwei Tage vor. Hiobsbotschaften kamen aus anderen Branchen: Britische Händler befürchteten das Ausbleiben von Obst- und Gemüselieferungen vom Kontinent, während sich schottische Fischer um ihre im Stau von Dover verrottenden Exporte sorgten.

„Höchst ärgerlich und schädlich“

Auf der anderen Seite des Ärmelkanals blieb man hingegen deutlich entspannter: Angesichts der Versuche, noch möglichst viele Lieferungen vor dem Ende der Brexit-Übergangsfrist abzuwickeln, seien die Einschränkungen „höchst ärgerlich und schädlich“, sagte Anton Börner, Präsident des Außenhandelsverbands BGA dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Für die Briten hingegen ist das ein Desaster“, zeigte sich Börner überzeugt.

„Das Vereinigte Königreich hat in den vergangenen Jahren – auch als Folge des Brexits – spürbar an Bedeutung für die grenzüberschreitenden Warenströme aus und nach Deutschland verloren“, meinte auch Stefan Kooths, Konjunkturchef beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Weil die Grenzschließungen in die Weihnachtszeit mit ohnehin schwacher industrieller Aktivität fallen, dürften sie ihm zufolge gesamtwirtschaftlich weniger ins Gewicht fallen – zumal viele Unternehmen aufgrund des unsicheren zukünftigen Handelsregimes ohnehin schon Vorräte angelegt hätten.

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Tatsächlich zeichnete sich am Dienstag zumindest für den Eurotunnel eine Lösung ab: Das Nadelöhr, durch das 20 Prozent des Warenverkehrs zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU abgewickelt werden, könnte wieder öffnen – wenn sämtliche in Frankreich aus Großbritannien eintreffenden Lastwagenfahrer vorab auf das Coronavirus getestet würden, berichtete die BBC unter Berufung auf ein Gespräch zwischen dem britischen Premierminister Boris Johnson und Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron. Eine finale Einigung dazu stand bei Redaktionsschluss allerdings noch aus. Und schon am Dienstagmorgen hatte John Keefe von der Eurotunnel-Betreibergesellschaft Getlink erklärt, dass auch regelmäßige Coronatests kein Patentrezept seien. Schließlich nähmen diese viel Zeit in Anspruch. Statt einer Flut von Waren sei dann erstmal nur mit Getröpfel zu rechnen, sagte Keefe der BBC.

Zugleich wären die Tests für Lkw-Fahrer allein eine Lösung für den Eurotunnel – während der grenzüberschreitende Handel mit Großbritannien auch per Flugzeug und Schiff abgewickelt wird. Die EU ringt deshalb um eine einheitliche Linie. Anvisiert ist eine grundsätzliche Lösung für den Umgang mit der neuen Virusmutation im Hinblick auf den Warenverkehr. Sollten angesichts der Ausbreitung der Virusmutation Grenzschließungen erneut Schule machen, könnte das die Europas Konjunktur stark belasten.

Derzeit verhindere das Weiterlaufen des Auslandsgeschäfts der Industrie einen größeren Einbruch der gesamtwirtschaftlichen Aktivität, sagte Kooths. Stünden aber an innereuropäischen Grenzen wieder vermehrt Lastwagen im Stau, ändere sich das. „Statt eines vergleichsweise moderaten Rückgangs des Bruttoinlandsprodukts in ersten Quartal – das IfW hatte zuletzt ein Minus von 1,4 Prozent prognostiziert – käme es dann zu einem deutlichen Einbruch,“ betonte Kooths.  

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