Kommentar zur Annexion in der UkrainePutins neue Eskalationsstufe

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Putin Eskalationsstufe 300922

Wladimir Putin hat die Annexion der vier mehrheitlich von eigenen Truppen besetzten Gebiete in der Ukraine besiegelt.

Erst eine große Rede im Kreml-Palast, dann die Unterzeichnung der „Verträge“, dann eine Show auf dem Roten Platz. Es lief ab wie in der alten Sowjetunion, bloß mit modernerer Technik und schrilleren Bildern. Nach der Krim 2014 zieht Russlands Präsident Wladimir Putin nun die völkerrechtswidrige Annexion von vier weiteren Regionen der Ukraine eiskalt durch.

Die zuvor in den ukrainischen Gebieten Donetzk und Luhansk im Osten sowie Saporischschja und Cherson im Süden abgehaltenen Scheinreferenden für den Beitritt zu Russland, wurden nicht einmal mehr groß kaschiert, sondern von bewaffneten Wahlurnenträgern unter Einschüchterung und Androhung von Gewalt ganz offensiv zum 90-Prozent-Ergebnis getrieben.

In Putins 45 Minuten langer Rede wurde deutlich, dass sein Krieg in der Ukraine ein Stellvertreterkrieg gegen den Westen ist, dem er vorwarf, das heilige Russland versklaven zu wollen. Erneut bediente Putin die Dolchstoßlegende, dass der Westen 1990 die UdSSR zerschlagen habe, und das Narrativ, dass Russen und Ukrainer ein Volk sind.

Putin bringt Krieg auf neue Eskalationsstufe

Mit der innerhalb von einer Woche herbeigeführten Zwangsangliederung ukrainischer Gebiete an Russland, die international von niemanden außer von drei oder vier Schurkenstaaten anerkannt werden wird, bringt Putin den Krieg in der Ukraine auf eine neue Eskalationsstufe. Schon im Vorfeld hatte der Kreml klargemacht, dass man bei etwaigen Rückereroberungsversuchen der Ukrainer bereit sei, bei der „Verteidigung russischen Territoriums“ bis zum Äußersten zu gehen.

Zwar stand die nukleare Bedrohung schon seit Beginn des Krieges vor sieben Monaten im Raum, aber sie bekommt jetzt noch einmal eine neue Dimension. Bislang hat die Ukraine bis auf ein paar Einschläge auf der Krim oder in Westrussland keinerlei Angriffe auf russisches Gebiet geführt. Der Westen hat es bisher auch bewusst vermieden, die dafür notwendigen Waffen zu liefern, wie etwa Raketen mit hoher Reichweite oder Kampfpanzer, wie den Abrams oder den Leopard 2.

Ist Putin zum Einsatz von Atomwaffen bereit?

Putin musste jetzt zur Teilmobilmachung und zu den Scheinreferenden greifen, weil er aus dem von ihm selbst angezettelten Schlamassel nicht mehr herauskommt. Er steht mit dem Rücken zur Wand, und deshalb ist die Gefahr groß, dass er zu allem bereit ist. Das muss noch nicht die direkte Konfrontation mit dem Westen sein. Denn man kann davon ausgehen, dass auch für Putin immer noch die Doktrin der nuklearen Abschreckung gilt, die umgangssprachlich ausgedrückt besagt: „Wer zuerst schießt, stirbt als Zweiter“.

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Aber deshalb muss der Kreml nicht vor dem Einsatz taktischer Atomwaffen, also solche mit begrenzter Reichweite, in der Ukraine zurückschrecken. Schon seit einiger Zeit ziehen westliche Militärstrategen so etwas ins Kalkül, wie etwa den Abwurf einer Mini-Atombombe auf unbewohntes Gebiet etwa in den ukrainischen Waldkarpaten oder eine symbolische Detonation über dem Schwarzen Meer.

Kreml legt westliches Zaudern als Schwäche aus

Dennoch muss der Westen die Ukraine weiter unterstützten - politisch, humanitär und auch militärisch. Es gibt keinerlei Garantie dafür, dass Putin bei den nun annektierten Gebieten Halt macht. Letztlich bedroht er alle ehemaligen Sowjetrepubliken und auch Europa. Dagegen vorzugehen, bedarf es viel Fingerspitzengefühl, aber auch Entschlossenheit. Denn jedes Zaudern würde der Kreml als Schwäche auslegen.

Klar ist, mit dem, was gestern in Moskau über die Bühne gegangen ist, steigt das Risiko für alle direkt und indirekt am Krieg Beteiligten. Bleibt zu hoffen, dass es auf dem internationalen politischen Parkett noch genug Kräfte gibt, die einen kühlen Kopf bewahren und im Hintergrund noch an irgendeiner Verhandlungslösung arbeiten. (rnd)

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