RechtsextremismusZahl der Verdachtsfälle bei der Polizei steigt um knapp 40 Prozent

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Polizei Schild Symbol

Ein Schild an einer Polizeiwache in Frankfurt am Main. (Symbolbild)

Berlin – In den Polizeien der 16 Bundesländer gab es im vergangenen Jahr 443 rechtsextremistische Verdachtsfälle. Das ergab eine Umfrage des RedaktionsNetzwerks Deutschland (RND) in den zuständigen Innenministerien, wobei Brandenburg und Rheinland-Pfalz keine Angaben machten. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte in seinem im vorigen Herbst präsentierten Bericht „Rechtsextremismus in Sicherheitsbehörden“ für die Länder lediglich 319 Verdachtsfälle genannt; Stichtag war der 31. März 2020. Der Zuwachs gegenüber den jetzt dem RND genannten Zahlen beträgt demnach 124, was rund 38 Prozent entspricht.

An der Spitze der Verdachtsfälle liegt Nordrhein-Westfalen mit Hinweisen auf 212 Beschäftigte seit 2017, gefolgt von Baden-Württemberg (49), Hessen (38), Bayern (31, ebenfalls seit 2017) und Sachsen-Anhalt (20), am Ende rangieren Schleswig-Holstein (5), Hamburg (4), Thüringen (3) sowie Bremen und das Saarland, die jeweils überhaupt keine Fälle meldeten. Nicht in allen 443 Fällen hat sich der Verdacht erhärtet; oft dauern die Prüfungen noch an.

Der Anstieg in den Polizeien der Länder dürfte wesentlich darauf zurück zu führen sein, dass bestimmte Fälle erst im vergangenen Jahr publik wurden und anschließend Kreise zogen. Das gilt in erster Linie für Nordrhein-Westfalen und Hessen, wo in Chatgruppen rassistische und rechtsextremistische Inhalte geteilt wurden und anschließend teilweise umfangreiche Ermittlungen einsetzen, die bis heute andauern.

„Sicherheitsbehörden schauen in eigenen Reihen endlich genauer hin“

Der Obmann der FDP-Bundestagsfraktion im Bundestags-Innenausschuss, Benjamin Strasser, sagte dem RND: „Die Sicherheitsbehörden schauen bei Extremismus in den eigenen Reihen nun endlich genauer hin. Verdachtsfälle werden konsequenter aufgeklärt und verfolgt.“ Es bleibe aber „unbedingt erforderlich“, dass das Lagebild für Rechtsextremismus in den Sicherheitsbehörden und im öffentlichen Dienst fortgeschrieben und qualitativ weiterentwickelt werde.

Ohnehin hätte Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) längst eine entsprechende Studie auf den Weg bringen müssen, betonte Strasser. Nötig sei eine objektive Datengrundlage zur Radikalisierung von Mitarbeitern in Polizei und Nachrichtendiensten, um wirksame Gegenstrategien zu entwickeln. „Die von ihm in Auftrag gegebene Rassismus-Studie“, so der Liberale, „ist dafür völlig ungeeignet.“

Rafael Behr, Professur für Polizeiwissenschaften an der Akademie der Polizei Hamburg, sagte dem RND: „Dass die Zahl der Verdachtsfälle um ein Drittel angestiegen ist, kann nicht unbedingt darauf zurückgeführt werden, dass es nun mehr Menschen gibt, die ein rechtsextremes bzw. rassistisches Weltbild haben.“ Vielmehr würden „aus den sichergestellten Mobiltelefonen immer mehr Chats ausgelesen. Der Grad der Verstrickung muss jetzt individuell ermittelt werden.“ Behr warnte ausdrücklich vor Vorverurteilungen. Manche Kolleginnen und Kollegen hätten vielleicht nur nicht den Mut zum Widerspruch in einschlägigen Chat-Gruppen gehabt. (Markus Decker/RND)

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