Film über „MeToo“-SkandalWarum Maria Schrader für „She Said“ den Oscar verdient hätte

Lesezeit 4 Minuten
Maria Schrader bei der Premiere von „She Said“ in Berlin.

Maria Schrader bei der Premiere von „She Said“ in Berlin.

Die deutsche Regisseurin Maria Schrader erzählt von den Frauen, die Harvey Weinstein zu Fall brachten. Schrader gilt mit ihrem Film „She Said“ über die beiden Reporterinnen der „New York Times“ als Oscar-Kandidatin.

Die Hauptperson taucht so gut wie gar nicht auf. Oder sagen wir besser: der Mann, um den sich „She Said“ dreht. Im Zentrum stehen die Frauen, nicht das „Raubtier“, wie er hier einmal genannt wird.

Harvey Weinstein sehen wir nur von hinten, wie er seinen massigen Körper durch die Einlasssperre des „New York Times“-Zeitungsgebäudes schiebt, umgeben von einer Entourage von Anwälten, und sich kurz darauf auf einen Bürostuhl sacken lässt. Bis dahin haben wir lediglich die Stimme des Miramax-Studiochefs am Telefon gehört, aggressiv und fordernd.

Am Ende aber wird sich einer der mächtigsten Männer der US-Kinoindustrie kleinlaut mit den Worten zitieren lassen, dass er sich zurückziehen und therapeutische Hilfe in Anspruch nehmen werde. Da ist sein Schweigekartell zusammengebrochen, mit dem er über Jahrzehnte Hollywood beherrscht hat.

Alles zum Thema Film und Fernsehen

Der erste Artikel der Investigativjournalistinnen Megan Twohey und Jodi Kantor über Weinsteins Missbrauch von Schauspielerinnen und Angestellten erschien am 5. Oktober 2017. Daraufhin bezeugten 82 Frauen Weinsteins sexuelle Übergriffe. Die „Me Too“-Bewegung erschütterte das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern.

Weinstein ist mittlerweile zu 23 Jahren Haft verurteilt worden. In Los Angeles sitzt er erneut auf der Anklagebank – und hat versucht, die Geschworenenjury für befangen erklären zu lassen, weil es nun den Film „She Said“ über ihn gibt.

Schrader hat bereits einen Emmy für „Unorthodox“ gewonnen

Die deutsche Regisseurin Maria Schrader hat die Aufgabe übernommen, die Recherchen der „New York Times“-Reporterinnen Twohey (Carey Mulligan) und Kantor (Zoe Kazan) zu verfilmen. Hollywood delegiert die Geschichte der Aufklärung in eigener Sache an eine Außenstehende – auch wenn Schrader als Emmy-Siegerin mit der Serie „Unorthodox“ (2020) beste Referenzen vorzuweisen hat. Ihre Drehbuchautorin ist die Britin Rebecca Lenkiewicz, bekannt durch den Oscarfilm „Ida“.

Schrader stellt sich von der ersten bis zur letzten Filmminute schützend vor Weinsteins Opfer. Von dessen Übergriffen sehen wir: nichts. Ein Bademantel auf dem Bett, Frauenkleider auf dem Boden und lange Hotelflure: Viel mehr braucht es nicht, um die Schrecknisse zwischen Schlafzimmer, Dusche und Whirlpool deutlich zu machen, die Frauen in Weinsteins Nähe erlitten.

Die Reporterinnen legen sich mit einem Übermächtigen an

Das Handlungsgerüst ihres Films baut Schrader klassisch auf: Zwei Heldinnen haben keine Chance und ergreifen sie. Twohey und Kantor stoßen zunächst auf eine Mauer des Schweigens, die auch nicht den kleinsten Haarriss aufzuweisen scheint. Keine der Frauen wagt es, zu reden. Unerschrocken legen sich die Reporterinnen mit einem Übermächtigen an – ihre Chefredaktion hält ihnen den Rücken frei.

Wir kennen solche Journalistengeschichten von „Die Unbestechlichen“ (1976) über die Watergate-Affäre bis zu „Spotlight“ (2015) über Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche in Boston. Immer sind da unbeirrbare Reporter und Reporterinnen, egal ob von der „Washington Post“ oder vom „Boston Globe“, die „Raubtiere“ zur Strecke bringen. Schraders Filmteam durfte als erstes in den heiligen Hallen der „New York Times“ drehen.

Carey Mulligan (l) als Megan Twohey und Zoe Kazan als Jodi Kantor in einer Szene des Films „She Said“.

Carey Mulligan (l) als Megan Twohey und Zoe Kazan als Jodi Kantor in einer Szene des Films „She Said“.

Einmal fragt Twohey, ob es wirklich richtig sei, über jene Frauen zu schreiben, die als Celebritys doch über eine eigene Stimme verfügen würden. Kantor antwortet: „Wenn so etwas in Hollywood passiert, wo passiert es dann sonst noch?“

Männer sind in „She Said“ keine Monster

Männer werden hier aber keinesfalls als Monster gebrandmarkt: Ohne ihre liebevollen Gatten hätten Twohey und Kantor ihre Story nie zu Ende bringen können. Die Frauen scrollen übers Handy, die Männer kümmern sich um die Kinder.

Nach und nach kommen die Reporterinnen dem System Weinstein auf die Schliche, über das so viele offenbar Bescheid wussten. Junge Frauen wurden ihm regelrecht aufs Hotelzimmer serviert und begegneten einem beinahe nackten Mann, der von ihnen massiert werden wollte oder vor ihnen masturbierte.

„Einvernehmlicher Sex “sei für einen Mann wie Weinstein etwas anderes

Der Schrecken wirkt nach noch in dem Moment, an dem die Reporterinnen so viele Jahre später die betroffenen Frauen befragen. Die Monstrosität wird sichtbar: Entweder ließ Weinstein die Frauen durch Schweigeverträge knebeln oder er zerstörte ihre Karrieren, wenn sie sich ihm widersetzten.

Ein älterer Mann wie Weinstein verstehe unter „einvernehmlichem Sex“ etwas anderes als heutzutage üblich, versucht Weinsteins Anwalt seinen Mandanten später zu entschuldigen. Die Reporterinnen würdigen ihn keiner Antwort.

Ashley Judd ist Opfer – und spielt sich selbst 

Ashley Judd, eines von Weinsteins Opfern, hat den Mut, sich hier selbst zu spielen. Gwyneth Paltrow ist eine Station bei den Recherchen im Film, aber nicht zu sehen.

Hollywood hat über Weinsteins Verbrechen geschwiegen und Schuld auf sich geladen – und liefert nun eine heroische Geschichte über den tiefen Fall des „Raubtiers“. Die Reinwaschung mit eigenen Mitteln hat begonnen. Maria Schrader aber darf auf Oscar-Ehren für dieses intensive Drama hoffen.


„She Said“, Regie: Maria Schrader, mit Carey Mulligan, Zoe Kazan, André Braugher, Patricia Clarkson, 129 Minuten, FSK 12

KStA abonnieren