WM 2022 in KatarWie Superstar Neymar Brasilien spaltet

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Neymar liegt verletzt am Boden

Neymar liegt verletzt am Boden

Wegen seiner Nähe zu Ex-Präsident Bolsonaro hofft die Hälfte der Bevölkerung auf das WM-Aus für Superstar Neymar.

Andere Länder haben Götter und Könige, in Brasilien dagegen herrscht Abneigung gegen alles Göttliche und Königliche. So jedenfalls hat das Außenstürmer Raphinha gerade formuliert. Bei Instagram schrieb er mit Bezug auf Neymars Knöchelverletzung beim 2:0 zum WM-Auftakt gegen Serbien, die dessen Einsatz am Montag gegen die Schweiz (17 Uhr, ARD) und wohl auch am Freitag gegen Kamerun unmöglich macht: „Argentiniens Fans behandeln Messi wie einen Gott, Portugals Fans behandeln Cristiano Ronaldo wie einen König. Brasiliens Fans hoffen, dass Neymar das Bein gebrochen wird – wie traurig.“

Neymar ist Kapitän und Star des brasilianischen Teams, das in Katar den sechsten WM-Titel anstrebt, doch die allgemeine Panik, die im Lager der Seleção wegen seiner Verletzung herrscht, wird beim brasilianischen Anhang nur teilweise gespiegelt. Viele Brasilianer sind offen gegen den 30-jährigen Angreifer von Paris Saint-Germain und schaudern bei dem Gedanken, dass er am 18. Dezember den goldenen Pokal in die Wüstenluft heben könnte. Der Anteil jener Landsleute, die Neymar ablehnen, lässt sich sogar beziffern. Er beträgt genau 50,9 Prozent.

Neymar machte aktiv Wahlkampf für Bolsonaro 

So viele Menschen stimmten bei den Präsidentschaftswahlen Ende Oktober für den linken Herausforderer Luiz Inácio Lula da Silva, genannt Lula, und gegen den rechten Amtsinhaber Jair Bolsonaro – und damit auch gegen Neymar. Wie viele andere aktuelle und ehemalige brasilianische Nationalspieler ist auch Neymar Bolsonaro-Anhänger. Allerdings bekannte er sich nicht einfach nur zu seiner politischen Präferenz, sondern machte auf seinen Kanälen aktiv Wahlkampf für den mittlerweile abgewählten Präsidenten.

Viele Brasilianer haben einen Verdacht, warum. Auch Lula selbst sagte vor der Abstimmung über Neymar: „Er hat Angst, dass ich die Wahl gewinne. Ich werde dann wissen, wie viel Einkommensteuer Bolsonaro ihm erlassen hat.“ Die Fifa versucht mit aller Macht, die Botschaft zu propagieren, dass Fußball und Politik nichts miteinander zu tun hätten.

Doch beim Turnier in Katar wird diese Haltung mehr denn je als Lüge entblößt. Ein Beispiel ist die Debatte um Regenbogen-Kapitänsbinden, ein anderes das Verhältnis der Brasilianer zu Neymar und zu ihrer Nationalmannschaft. Das berühmte gelbe Trikot, einst liebevoll „a amarelinha“ getauft, das kleine Gelbe, ist zum Symbol rechter Demokratiefeinde geworden. Wenn in Brasilien die Menschen gegen die Anerkennung von Lulas Wahlsieg auf die Straße gehen, tun sie das oft im Neymar-Leibchen. Viele brasilianische Fans wissen deshalb nicht recht, wie sie sich dem Team gegenüber verhalten sollen. „Wir unterstützen die Seleção ohne Leidenschaft. Diese Nationalmannschaft spaltet die brasilianischen Fans, insbesondere Neymar“, sagte der brasilianische Ex-Nationalstürmer und TV-Fachmann Wálter Casagrande der englischen Zeitung „The i“.

Erinnerung an Neymars Aus bei der WM 2014

Neymar ist in Katar unter einem Schatten der Missgunst angetreten, und seine Verletzung passt zu seiner verflixten Beziehung mit der WM. Beim Turnier 2010 enthielt ihm der damalige Nationaltrainer Carlos Dunga eine Nominierung vor. 2014, auf heimischem Boden, brach sich Neymar im Viertelfinale gegen Kolumbien bei einem üblen Foul von Juan Camilo Zúñiga einen Lendenwirbel, unter Tränen endete sein Turnier. Die traumatisierten Brasilianer rannten im Halbfinale gegen Deutschland in ein epochales 1:7.

Vor vier Jahren in Russland hatte Neymar mit den Nachwirkungen eines Mittelfußbruchs zu tun, Brasilien scheiterte im Viertelfinale an Belgien. In Erinnerung blieben vor allem Neymars Schwalben und seine Theatralik. Der teuerste Fußballer der Geschichte – Paris Saint-Germain zahlte für ihn einst 222 Millionen Euro – droht bei Weltmeisterschaften ein Unvollendeter zu bleiben. 50,9 Prozent der Brasilianer hoffen das möglicherweise sogar.

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