Corona-KriseAlles auf Anfang im Deutschland-Achter

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Richard Schmidt (vorne, 2. von links) und seine Achter-Crew mit Steuermann nach dem EM-Sieg 2018 in Glasgow.

  • Richard Schmidt ist der älteste und am höchsten dekorierte Athlet der aktuellen Besatzung des Deutschland-Achters.
  • Mit dem Flaggschiff des DRV hatte er sich erneut für Olympia qualifiziert – dann kam Corona.
  • Nun heißt das Ziel: Olympiasieg 2021.

Köln – Ostern war ungewöhnlich für Richard Schmidt. Er war zu Hause und nicht irgendwo in der Welt unterwegs bei einer Ruder-Regatta. Er konnte für seine einjährige Tochter den Osterhasen spielen und musste nicht schon morgens um acht Uhr auf dem Wasser seine ersten Bahnen ziehen. Eine schöne Sache für den 32-jährigen Ruderer aus Trier, der in Dortmund lebt und trainiert und der älteste und am höchsten dekorierte Athlet der aktuellen Besatzung des Deutschland-Achters ist.

„Ich sage lieber der Erfahrenste, nicht der Älteste“, korrigiert Schmidt. Und so schön der Osterhasen-Job sei – ihm wäre es lieber gewesen, wie geplant mit den Kollegen beim Weltcup-Auftakt in Italien anzutreten. In der Sonne zu rudern, statt auf dem Ergometer Schweiß zu vergießen. Die Tage bis zu den Olympischen Spielen in Tokio zu zählen, statt ein weiteres Mal den gnadenlosen Kampf um die Plätze im Prestigeboot des Deutschen Ruderverbandes (DRV) vor der Brust zu haben.

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Aber das Coronavirus hat auch im Rudern alles auf Anfang gestellt. Olympia findet erst im nächsten Sommer statt. Der Saisonauftakt ist auf unbestimmte Zeit verschoben. Niemand rechnet damit, dass vor August auch nur ein einziger Wettkampf stattfinden wird. „Wir hatten gerade die Selektion überstanden“, sagt Schmidt. Die Plätze waren vergeben, das Team benannt, nun sollte der Vergleich mit den Flaggschiffen anderer Nationen beginnen.

Verzicht auf gemeinsame Stunden mit Familie und Freunden

So  ein Ruder-Jahr teile sich normalerweise in zwei Phasen, sagt Schmidt. Da ist zum einen der Winter, eine Zeit der Plackerei. Morgens um sechs oder sieben Uhr werden bei Regen, Wind und Dunkelheit auf dem Wasser Kilometer geschrubbt, im Kraftraum müssen Gewichte gestemmt und auf dem Ergometer Watt-Leistungen weggezogen werden, mit denen sehr viele Glühbirnen ganz schön lange zum Leuchten gebracht werden könnten. In dieser Phase steckten viel Schweiß, viel Verzicht auf gemeinsame Stunden mit Familie und Freunden oder eine berufliche Karriere, extreme körperliche Belastungen und ein enorm hoher psychischer Druck, erklärt Richard Schmidt.

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Die Ruderer Richard Schmidt (l.) und Torben Johannesen

Warum er das trotzdem schon so lange mitmacht? Er sitzt seit 2009 im Deutschland-Achter. So lange wie kein anderer seiner aktuellen Kollegen – abgesehen von Steuermann Martin Sauer. „Ganz schön dumm, nicht wahr? Ich lerne nicht dazu“, sagt Schmidt. Das Corona-Virus ärgert ihn zwar. Aber seinen Humor hat er nicht verloren.

Warum also? Weil auf die erste ja immer diese zweite Phase einer Saison folgt. Der Sommer. Das „Schönwetter-Rudern“, wie Schmidt es nennt. Körperlich nicht weniger anstrengend, aber Balsam für die Seele. „Im Sommer ganz früh morgens über das glatte Wasser zu rudern, das macht einfach Spaß“, sagt Schmidt. Das Team steht. Das große Ziel, sei es Olympia, eine WM oder eine EM, rückt näher. Es werden Erfolge gefeiert. Wenn es gut läuft – und für den Deutschland-Achter läuft es traditionell sehr gut – ist der ultimative Sieg dabei. Richard Schmidt hat das bereits 15 Mal erlebt. Er ist Olympiasieger 2012, sechsmal Weltmeister und achtmal Europameister.

„Und jetzt fällt die coole Phase einfach aus“, sagt er. Ein solcher Dämpfer ist neu für ihn. Er kann die Enttäuschung nicht verbergen. Nach Tokio 2020 wollte sich der studierte Wirtschaftsingenieur ganz seiner Promotion widmen. Er befand sich auf der Zielgeraden seiner langen Ruder-Karriere. Hatte den Nachwuchs noch einmal auf Distanz gehalten und mit seinem Zweierpartner Malte Jakschik die internen Ausscheidungen gewonnen.

Der Älteste ist nicht nur der Erfahrenste, sondern auch noch immer der Beste. „Aber es ist brutal hart“, sagt er. „Ich merke, dass die Jungen auch gewinnen wollen, die drücken von hinten, man muss immer dran bleiben und hart an sich arbeiten.“

Die Lebensplanung über den Haufen geworfen

Und das jetzt also noch ein Jahr länger. Das Coronavirus hat Schmidts Lebensplanung über den Haufen geworfen. Seine Frau, seine Tochter, die Professoren an der Uni – sie alle müssen nun ein Jahr länger auf ihn warten. Richard Schmidt rudert weiter. Denn: „Der Weg nach Tokio ist länger und steiniger geworden, aber er ist ja noch da, das Ziel ist geblieben.“ Und das lautet, wie könnte es anders sein: Olympiasieg.

2012 in London gab es Gold für den Deutschland-Achter, 2016 unterlag die DRV-Mannschaft dem großen Rivalen Großbritannien. Das bedeutete Silber – und wirkte  wie eine schwere Niederlage. „Wir sehen das auch so, das macht es so schwer, deshalb ist der Druck für uns alle so hoch“, sagt Schmidt.  Seit 2017 sind  seine Kollegen und er nur noch ein einziges Mal Zweiter geworden, in einem Weltcup. Alle anderen Rennen gewannen sie. Sie sind amtierende Welt- und Europameister.

Blick auf 2021 in Tokio

Richard Schmidt wird auf der Straße trotzdem kaum jemand erkennen. Aber das stört ihn nicht: „Nach der Ruder-Karriere bin ich nicht mehr Richard Schmidt, der Ruderer. Dann will ich Richard Schmidt, der Ingenieur sein, der hoffentlich ein bisschen was kann in seinem Beruf. Dann kann und will ich mich nicht auf meinen Rudererfolgen ausruhen.“

Trotzdem soll dieser eine große Triumph noch her. Jetzt eben 2021 in Tokio. Ruderer des Olympiakaders dürfen inzwischen unter Auflagen wieder aufs Wasser. Bis Sonntag hat Achter-Trainer Uwe Bender seinen Mannen noch frei gegeben, trainiert wird nur individuell. Dann geht es zusammen weiter. Wenigstens noch ein bisschen „Schönwetter-Rudern“, zur Not eben ohne Regatten.

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