Franz BeckenbauerEine Lichtgestalt, auf die aber auch Schatten fielen

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Weltmeisterschaft 1974: Franz Beckenbauer mit Bundespräsident Walter Scheel, DFB-Präsident Hermann Gößmann und Sepp Maier

Weltmeisterschaft 1974: Franz Beckenbauer mit Bundespräsident Walter Scheel, DFB-Präsident Hermann Gößmann und Sepp Maier

Franz Beckenbauer ist am Sonntag gestorben. Blick auf den Mann, den Günter Netzer als das „größte Glück des deutschen Fußballs“ bezeichnete

Gerade jetzt hat die ARD in einer Dokumentation noch einmal alte Bilder entstaubt und aus dem Archiv hervorgeholt, um ihn den Leuten zu präsentieren: Franz Beckenbauer, Deutschlands fraglos größten Fußballer der Geschichte. Beckenbauers Grandezza ist dabei zu bestaunen, seine Pässe mit dem Außenrist, seine Freistöße mit demselben Fußteil, seine aufrechte Präsenz mit durchgedrücktem Rücken, seine unerreichte Anmut im Spiel.

Auch das ist zu sehen: Wie Beckenbauer im Dress des FC Bayern München den Ball 40 Sekunden einfach so jongliert, mitten in einer Partie, es war das DFB-Pokalendspiel 1969 gegen Schalke. Zuvor hatte er Reinhard Libuda gefoult, den „König von Westfalen“, es setzen Pfiffe ein gegen Beckenbauer. Also Ball hochhalten, und zwar vor der Schalker Kurve. Die Bayern gewannen 2:1, und Franz Beckenbauer hatte fortan einen Spitznamen, die Steigerung von König, den er ja besiegt hatte: Kaiser.

Franz Beckenbauer wird 1974 Weltmeister

Zudem werden die Erfolge des Mannes in der Doku präsentiert, allen voran der WM-Sieg 1974, die Großtat gegen die damals herausragenden Niederländer. Und er, Franz Beckenbauer, der Spielführer, erhielt als erster die goldene Trophäe als sichtbaren Lohn für den großen Triumph. Es schlossen sich Erfolge als Trainer an, als Funktionär, mit den Bayern hatte er ohnehin alles gewonnen, was denkbar ist, mehrmals sogar: Meisterschaft, Pokal, Europacup der Landesmeister, mit der Nationalelf noch die Europameisterschaft 1972.

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Ein Kind des Glücks war er, hieß es. Vieles, fast alles fiel ihm mit Leichtigkeit zu, hinzu kam eine gewisse Lässigkeit nicht nur auf dem Platz, große Freundlichkeit außerhalb davon und eine eigenwillige Art, Dinge verbal und auch noch auf eine gewisse Weise charmant auf den Punkt zu bringen. Auch dafür wurde er geschätzt. Wegen all dieser Faktoren war Franz Beckenbauer neben der Krönung zum Kaiser vor allem dies: eine Lichtgestalt. Ein Mann im Mittelpunkt, vom Erfolg geküsst.

Franz Beckenbauer als Lichtgestalt

Es gibt viele Menschen, die glaubten, dass dieser Mann unsterblich sei, einfach, weil er so viel Glück im Leben hatte. Das gab Beckenbauer ja auch selbst bei jeder Gelegenheit zu: „Alle Sonntage der Welt sind in mir vereint. Wenn man so ein Leben hat in diesen 70 Jahren, angefangen aus dem Nichts kommend und dann durch den Fußball die Kurve nach oben zu kriegen“ – das sei schon unglaublich, sagte er aus Anlass seines runden Geburtstages 2015. Es gibt auch Augenzeugenberichte, die bestätigen, dass ihnen in Beckenbauers Gegenwart Todesangst fremd war.

Im Frühjahr 1990 flog die DFB-Elf mit ihrem damaligen Teamchef Franz Beckenbauer nach einer 1:2-Niederlage in Montpellier gegen Frankreich zurück nach Deutschland. Unterwegs tobte ein Orkan und Gewitter, Hagel, Regen, der Flieger wackelte, doch einer der Passagiere von damals sagte sich: „Hier wird nichts passieren. Der Franz ist ja an Bord. Und dem passiert nie etwas.“

Trauer um Franz Beckenbauer

Die Mächte des Schicksals konnten letztlich auch ihn nicht verschonen, den großen Profiteur des Glücks. Am Sonntag ist Franz Beckenbauer im Alter von 78 Jahren gerstorben. Das gab seine Familie einen Tag später bekannt. Was nun für ihn folgt, kann niemand wissen, geht es nach Beckenbauer, war es das aber noch nicht. Er betonte mehrfach, an die Reinkarnation zu glauben: „Ja, ich glaube tatsächlich an die Wiedergeburt. Vielleicht war ich schon mal da, als Pflanze oder so. Ich weiß es nicht. Ich habe mich bislang noch nicht rückführen lassen. Aber das möchte ich vielleicht mal.“

In Erinnerung bleiben aber nicht nur Bilder von Beckenbauer als herausragendem Spieler. Auch das nachdenkliche Stolzieren über den verwaisten Rasen des Olympiastadions von Rom in der Nacht des 8. Juli 1990 ist eine Art Ikone der Erinnerung an den damaligen Teamchef, der gerade mit der DFB-Elf Weltmeister geworden war. Aber nun für sich sein wollte, alleine im tobenden Jubel-Orkan an anderer Stelle, die Goldmedaille baumelte um seinen Hals.

Rom am 8.7.1990: Franz Beckenbauer am Rand des Spielfeldes im Olympiastadion.

Rom am 8.7.1990: Franz Beckenbauer am Rand des Spielfeldes im Olympiastadion.

In einem Band seiner beiden Memoiren, Titel: „Ich, wie es wirklich war“, ist dazu zu lesen: „Vollmond über Rom. Wie in einem Schattenspiel schwebt ein Flugzeug dunkel und schemenhaft vorbei und wird von der Nacht verschluckt. Ein Bild wie ein Symbol. Abschied.“

Beckenbauer trat in der Folge als Teamchef zurück. Er hatte die deutsche Elf 1986 ins WM-Finale geführt und dort knapp mit 2:3 gegen Argentinien verloren. Er hatte sie 1988 ins EM-Halbfinale geführt, am Ende stand ein 1:2 gegen die Niederlande. Und er hatte das Team 1990 erneut ins Endspiel der Weltmeisterschaft geführt. Diesmal gelang der Titelgewinn, 1:0, schon wieder gegen Argentinien.

In seinen Memoiren ist weiter zu lesen, dass er sich nach 1990 vom Fußball gelöst habe, die Leidenschaft dafür sei verschwunden, das gipfelte in einer Erkenntnis: „Ich liebe den Fußball noch, aber er ist nicht mehr mein Leben.“

Franz Beckenbauer wird Präsident des FC Bayern München

Das war eine sinnliche Täuschung. Der Fußball blieb sein Leben. Die Bayern führte er nach der Nacht von Rom noch zu einem Meistertitel und zum Uefa-Cup-Gewinn. Und als im Fußball auf dem Spielfeld nun wirklich nichts mehr zu erobern war für Beckenbauer, da trat er als Funktionär in Erscheinung, als Präsident seines FC Bayern, und als der Mann, der die WM 2006 nach Deutschland holte. Dass der FC Bayern der Marktführer des deutschen Fußballs ist, hat seine Ursache auch in den Erfolgen, die Beckenbauer, glänzend assistiert von anderen Weltklassespielern wie Sepp Maier oder Gerd Müller, feierte. Mit einer fabelhaften Mannschaft, die vor allem ihn, Beckenbauer, als ihren Anführer betrachtete.

Dass Beckenbauer zum FC Bayern ging, damals 1958, als noch Zwölfjähriger, ist auch Teil einer Legende. In einem Spiel seines damaligen Jugendklubs SC München 06 gegen 1860 München wurde der als Stürmer aufgebotene Beckenbauer von seinem Gegenspieler Gerhard König traktiert, ein Wort gab das andere. Und in einem Moment, als der Schiedsrichter nicht hinsah, erhielt Beckenbauer eine Watschn von König. Von seinem schon abgesprochenen Wechsel zu den Blauen, den 60ern, sah er deshalb ab und schloss sich den Roten an, dem FC Bayern. Eine sporthistorische Wendung und das große Glück des aktuellen Rekordmeisters Bayern München.

„Sommermärchen“ bringt auch Unglück für Beckenbauer

Die WM 2006, das später „Sommermärchen“ getaufte Ereignis, das Deutschland in eine Euphorie stürzte, war zunächst Heiligsprechung und später tatsächlich auch das für Beckenbauer: Unglück. Das vor dem metaphysischen Ding namens Glück, das es so gut mit ihm meinte, eines Tages das Präfix „Un“ im Zusammenhang mit Beckenbauer landen würde, ist eine dieser absurden Volten des Schicksals.

2006: Oliver Kahn (l.) und Franz Beckenbauer beim WM-Spiel um Platz drei, das die Nationalelf mit 3.1 gewann.

2006: Oliver Kahn (l.) und Franz Beckenbauer beim WM-Spiel um Platz drei in Stuttgart, das die Nationalelf mit 3.1 gewann.

Zunächst aber: Großer Jubel und Krönung einer kaiserlichen Karriere als der DFB mit Beckenbauer als Chef des Organisationskomitees bei der Kür in der Schweiz den Zuschlag für die WM 2006 erhielt. Die WM verlief wundervoll, Deutschland belegte Rang drei.

Doch elf Jahre später berichtete der „Spiegel“ von Mauscheleien bei der Vergabe der WM 2006. Von einer dubiosen Zahlung in Höhe von 6,7 Millionen Euro war die Rede. Die flossen offenbar zunächst nach Katar zu einem Strippenzieher namens Mohamed bin Hamman und dann über das WM-Organisationkomitee zurück zum Kreditgeber Robert-Louis Dreyfus.

Beckenbauer geriet in Bedrängnis, es kam zu Ermittlungen wegen des Verdachts der Untreue in der Schweiz. Das Verfahren verjährte schließlich. Ein Vergehen konnte Beckenbauer nie nachgewiesen werden. Krumme Deals habe es nicht gegeben, betonte Beckenbauer immer wieder. Aber er erklärte auch, dass er Blanko-Unterschriften ausgestellt habe, im Dutzend gar. Das sagte er 2015 der „Süddeutschen Zeitung“.

Franz Beckenbauers Sohn Stephan stirbt 2015

Beckenbauer setzte zu, dass ihn einige Menschen zunehmend kritisch sahen, so etwas kannte er bis dato nicht. Eine Feier zu seinem 75. Geburtstag im Jahre 2020 gab es daher nicht, zumal ihn zuvor auch noch ein Schicksalsschlag ereilte: Sein Sohn Stephan, eines seiner fünf Kinder, starb Ende Juli 2015 im Alter von 46 Jahren.

Nach 2006 häuften sich kuriose Sätze von ihm, 2013 etwa der, dass er bei einem Besuch in Katar keinen Sklaven gesehen habe. Beckenbauer war Teil des Fifa-Exekutivkomitees, das für die Wahl der WM-Austragungsorte 2018 und 2022 verantwortlich war.

Kritik brachte ihm auch seine Akzeptanz ein, sich als Botschafter des Verbandes der russischen Gasproduzenten zu präsentieren, das war 2012. Vielleicht ist ihm in dem Moment das Glück abhanden gekommen, als sein väterlicher Freund, Berater und Manager Robert Schwan, der Beckenbauer zu einer Ikone aufbaute, im Jahr 2002 starb.

„Franz Beckenbauer ist das größte Glück des deutschen Fußballs“

Was bleibt also von Franz Beckenbauer? Stimmungen schwanken, Erkenntnisse über skurrile Geschäfte versanden mit der Zeit. Das dürfte auch Beckenbauer zuletzt gespürt haben, wenngleich er sehr krank war – ein Augeninfarkt, rechts sah er am Ende nichts mehr, das Herz schwächelte zudem.

Doch ganz bestimmt zählt für die Ewigkeit das, was Günter Netzer, er selbst eine Ikone der 1970er Jahre, über seinen guten Freund Franz Beckenbauer sagte: „Franz Beckenbauer ist das größte Glück des deutschen Fußballs. Es gab keinen Besseren vor ihm und es wird auch kein Besserer nachkommen.“

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