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Kommentar

Kommentar zur Nationalmannschaft
DFB-Team braucht Emotionen und keine neuerlichen Experimente

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Lesezeit 3 Minuten
Germany's head coach Julian Nagelsmann reacts during the international friendly football match between Germany and Turkey at the Olympic Stadium in Berlin on November 18, 2023, in preparation for the UEFA Euro 2024 in Germany. (Photo by Ronny HARTMANN / AFP)

Bundestrainer Julian Nagelsmann hadert mit dem Auftritt der deutschen Mannschaft.

Rund um die deutsche Nationalmannschaft ist nach der 2:3-Pleite gegen die Türkei schnell wieder Ernüchterung eingekehrt. Dem DFB-Team läuft die Zeit davon.

Enttäuschung. Ernüchterung. Das Fitzelchen Aufbruchsstimmung nach dem Austausch der sportlichen Führung – im Keim erstickt. Oder war es vielmehr so, wie es der frühere Nationalspieler und Bayern-Star Steffen Effenberg sah: „Ich sehe das nicht als Rückschlag, ich habe nicht mehr erwartet.“

Auf jeden Fall wirft die 2:3-Pleite der deutschen Nationalmannschaft gegen die Türkei rund sieben Monate vor der Heim-EM sehr viele Fragen auf. Der DFB hatte sich jüngst vor allem mit der Rückkehr von Rudi Völler wieder zu mehr Pragmatismus und Bodenständigkeit durchgerungen. Ein bisschen zurück zu den Wurzeln. Zu Zeiten der „Schwarzwaldklinik“, von „Wetten, dass“, „Dallas“ oder „Denver Clan“ hatte man damit in der Tat ja Erfolg. Und die Zeit der Experimente schien eigentlich und endlich beendet zu sein, Flick-Nachfolger Julian Nagelsmann gab sich zum Start jedenfalls pragmatisch, geläutert. Deshalb überraschten seine Umstellungen gegen die Türkei umso mehr.

Nationalmannschaft: Die Zeit der Experimente sollte endlich vorbei sein

Gündogan und Kimmich hatten auch zuvor so gut wie nie im Zentrum harmoniert, Havertz auf die Linksverteidiger-Position zu stellen ist eine kühne Idee, die vorher niemand hatte und die dann nicht aufging. Warum Kimmich im Mittelfeld überhaupt so sakrosankt ist und hinten rechts nicht besser aufgehoben wäre, versteht man seit Jahren nicht wirklich. Man kann also über einiges diskutieren und hoffentlich die richtigen Schlüsse daraus ziehen. Das DFB-Team sollte dennoch in der Lage sein, auch ein „Auswärtsspiel“ in Berlin gegen den zwar leidenschaftlich angefeuerten, aber ersatzgeschwächten 38. der Weltrangliste erfolgreich zu bestreiten.

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Deutschland nun schon seit geraumer Zeit keine absolute Weltklasse mehr darstellt und weit davon entfernt ist, solche Aufgaben souverän zu bewältigen. Die anderen Nationen haben aufgeholt, das DFB-Team stagniert bestenfalls. Es steht nach drei indiskutablen Turnieren nur noch auf Platz 16 der Welt und hat seit fast einer Dekade keinen Stürmer mehr von Weltklasse-Format und erhebliche Probleme in der Defensive. 20 Gegentore in zehn Spielen in 2023 in verschiedenen Aufstellungen und mit verschiedenem Personal zeugen davon.

Dem DFB-Team rennt sieben Monate vor der Heim-EM die Zeit davon

Der DFB hat Trainer und Management ausgetauscht. Und dennoch liegt weiterhin einiges im Argen und kann so kurz vor der Heim-EM auch nicht mehr signifikant verbessert werden kann. Deshalb hat DFB-Präsident Bernd Neuendorf nicht ganz zu Unrecht vor Diskussionen um den neuen Bundestrainer, zu viel Pessimismus und einer daraus entstehenden „toxischen Diskussion“ gewarnt. Sie bringt auch nichts mehr, die Zeit rennt davon. Das heißt wiederum nicht, dass man nichts kritisieren soll. Nagelsmann darf nicht beratungsresistent sein, sondern muss einiges anpassen. Ihm und der Mannschaft wird dies allerdings nicht gelingen, wenn dies in einem Umfeld der Schwarzmalerei oder sogar Gleichgültigkeit passiert.

Haben Sie registriert, mit welcher Emotionalität die Türken das Spiel angegangen sind? Man muss ganz sicher nicht alles goutieren (zum Beispiel nicht die respektlosen Pfiffe gegen Ilkay Gündogan), aber da war Leidenschaft auf den Rängen, auf dem Platz und sogar auf der Bank vorhanden. Der deutschen Mannschaft ging diese Emotionalität dagegen ab. Wenn sie mit all ihren Problemen überhaupt die Aussicht auf so etwas wie ein kleines Sommermärchen bei der Heim-EM haben will, geht das nur mit Begeisterung im Team und Rückhalt von den Fans. Trauerklöße werden ganz sicher keinen Erfolg haben.