Traumspiel gegen PolenPodolskis großer Auftritt und leiser Jubel

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Genuss im Stillen: Lukas Podolski (l.) nach seinem Tor zum 2:0, Miroslav Klose und Bastian Schweinsteiger (r.) gratulieren.

  • Zum EM-Auftakt 2008 traf die deutsche Nationalmannschaft in Klagenfurt auf Polen.
  • Für Lukas Podolski war das Duell gegen das Team aus seinem Geburtsland ein ganz besonderes, schon Tage vor der Partie stand der Kölner im Mittelpunkt des Interesses.
  • Beim 2:0-Sieg wurde der damalige Bayern-Profi mit zwei Toren zum Matchwinner, aus Respekt vor seiner Herkunft verzichtete er auf Jubel.

Klagenfurt/Köln – Die Torschützen, die nicht jubeln: Seit Jahren sieht man sie immer wieder, die Fußballstars, die nach ihren Treffern auf Gesten verzichten. Aus Respekt und Demut, wie sie sagen. Respekt vor dem ehemaligen Verein, mit dem sie schöne Erinnerungen verbinden. Oder gleich vor einem ganzen Land. So wie Lukas Podolski im Sommer 2008. Sehr wahrscheinlich war es der Kölner Fußball-Held, der diese Nicht-Geste zumindest im DFB-Trikot etablierte. Und dies vor den Augen von 23,66 Millionen Bundesbürgern, die gespannt und gerührt vor dem Fernseher saßen, als Podolski sein Traumspiel erlebte.

Für den damals 23-Jährigen war das erste Gruppenspiel der deutschen Nationalmannschaft bei der Europameisterschaft zweifellos ein ganz besonderes. Mit der DFB-Auswahl traf er am 8. Juni in Klagenfurt auf Polen. Auf die Mannschaft aus seinem Geburtsland, im schlesischen Gleiwitz hatte Podolski im Juni 1985  das Licht der Welt erblickt. Seine Oma Zofia lebte damals immer noch dort, sie und Verwandte besuchte ihr Enkel regelmäßig. Seit Tagen war der Stürmer im EM-Camp der Mannschaft von Bundestrainer Joachim in Ascona am Lago Maggiore deshalb der gefragteste Mann, die unzähligen Interview-Anfragen aus Deutschland und Polen zeugten davon.

Schweinsteiger vorerst nur auf der Bank

Als der Spieltag gekommen war, vertraute Joachim Löw nach langen Überlegungen auf den Außenbahnen Clemens Fritz (rechts) und Lukas Podolski (links), Bayern-Star Sebastian Schweinsteiger blieb zunächst nur die Bank. Im Angriff war Mario Gomez Sturmpartner des gesetzten Miroslav Klose, dem zweiten gebürtigen Polen im deutschen Team. Dass Podolski von Anfang an spielte, war nicht selbstverständlich. Denn der Prinz aus Köln zählte im Bayern-Land nicht sehr viel. In München hatte der Offensivspieler in der abgelaufenen Saison den Sprung in die Stammelf verpasst. Es hatte ihm durchaus wehgetan, von der Bank beobachten zu müssen, wie Franck Ribéry und Luca Toni den FC Bayern zum Double führten. Doch bei Löw hatte Podolski einen anderen Stellenwert.

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Bei sommerlichem Wetter und bester Stimmung im Wörtherseestadion dominierte nach einer Chance der Polen zu Beginn schnell das DFB-Team. Ballsicher und ideenreich präsentierte sich das Mittelfeld, das Tempo wurde hoch gehalten. Und der Lohn ließ denn auch nicht lange auf sich warten: Gomez hebelte mit einem einzigen Pass die polnische Abwehrreihe aus, Klose nahm das Leder mit und bediente Podolski mit einem Querpass: Aus sechs Metern musste der Kölner nur noch zur verdienten Führung einschieben (20.). Danach konnte man ganz tief in das zerrissene Herz eines Fußballstars blicken, der zwei Länder liebt. Denn Podolski hob nicht die Arme, vollführte keinen Tanz. Nein, Podolski, der als Spaßvogel des Nationalteams galt, lief ein paar Meter über den Platz und schaute nachdenklich. Als Klose und Gomez auf ihn zuliefen, ihn umarmten, wirkte der 23-Jährige abwesend. Die Partie beruhigte sich danach, die deutsche Führung zur Pause war dennoch gerecht. Doch dann wurden die Polen stärker – und die DFB-Auswahl schwächer. Als der Ausgleich in der Luft lag, war es wieder Podolski, der erneut zuschlug. Nach einem Pass des eingewechselten Schweinsteiger spitzelte Klose zunächst über den Ball - und legte unfreiwillig optimal für Podolski auf. Volley, aus elf Metern hämmerte der 23-Jährige das Leder unter die Latte (72.). Ein Traumtor. Und wieder genoss er den Treffer im Stillen.

Podolski: „Das ging mir heute ans Herz"

„Ich habe eine große Familie in Polen. Deswegen habe ich nicht groß gejubelt. Das ging ans Herz“, bekannte Podolski, der Meister der kurzen, prägnanten Sätze, später. Seine Welt war erst nach dem Abpfiff wieder in Ordnung. Der Star des Abends sprang auf einmal wie ein kleiner Junge über den Zaun in die Menschenmenge und auf die Tribüne zu seinem Vater Waldemar. Der umarmte seinen Sohn, der im April selbst erstmals Vater eines Sohnes geworden war, mit einem polnischen Schal um den Hals und gratulierte mit einem Lachen. Fotos wurden geknipst. Es waren Andenken für die Ewigkeit. Ganz sicher war dies nicht das größte Spiel einer deutschen Nationalmannschaft, aber für Podolski war es eine Traumpartie.

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Trikottausch nach Abpfiff: Podolski im Dress von Mariusz Lewandowski

Und es war eine, die nicht nur zu einem übertriebenen Medien-Echo in Polen führte („Lukas, wie konntest du das tun?“), sondern kurzzeitig zu diplomatischen Unruhen führte. Miroslaw Orzechowski, Chef der national-katholischen Partei „Liga polnischer Familien“, forderte in einem Interview, Podolski die polnische Staatsbürgerschaft zu entziehen. Das blieb aber nur ein Sturm im Wasserglas. „Der Witz ist: Ich habe gar keinen polnischen Pass“, entgegnete Podolski, „der polnische Fußballverband hat sich damals nie um mich gekümmert. Erst als ich in der U21-Nationalmannschaft gespielt habe und in der Öffentlichkeit stand, hat er sich um mich bemüht.“Der damalige Nationaltrainer habe ihm sogar ein Trikot mit der Nummer zehn geschickt. „Doch da war meine Entscheidung schon für Deutschland gefallen. Und die war richtig. Dennoch schlagen in meiner Brust zwei Herzen“,  sagte Podolski.

An diesem 8. Juni 2008 in Klagenfurt war dies auch  unverkennbar.

Deutschland: Lehmann – Lahm, Metzelder, Mertesacker, Jansen – Fritz (56. Schweinsteiger), Frings, Ballack, Podolski – Gómez (75. Hitzlsperger), Klose (90. Kurányi). Polen: Boruc – Wasilewski, Żewłakow, Bąk, Golański (75. Saganowski) – Dudka, Lewandowski – Łobodziński (65. Piszczek), Żurawski (46. Guerreiro), Krzynówek – Smolarek. – Schiedsrichter: Øvrebø (Norwegen). – Zuschauer: 30461. – Tore: 1:0 Podolski (20.), 2:0 Podolski (72.).

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