Handball-EMWarum Juri Knorr nach der Niederlage gegen die Dänen verzweifelt war

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Ganz besonders enttäuscht nach der Halbfinal-Niederlage gegen Dänemark war Deutschlands Spielmacher Juri Knorr.

Ganz besonders enttäuscht nach der Halbfinal-Niederlage gegen Dänemark war Deutschlands Spielmacher Juri Knorr.

Deutschland spielte im Halbfinale vom Freitag bis in die Schlussphase hinein überzeugend gegen Dänemark, verlor aber dennoch mit 23:26. 

Du gewinnst, spielst vor fast 20.000 euphorischen Menschen, die zwar zu fast 100 Prozent gegen dich sind, aber du hast dich durchgesetzt im Kampf der Emotionen, 29:26 gegen die Deutschen, das setzt eine Stimmung frei, die euphorischer nicht sein kann.

Und so steht Mathias Gidsel lange nach dem Spiel gegen das DHB-Team noch im Keller der Kölner Lanxess-Arena, lächelt, freut sich sichtlich, ist überwältigt von einem Glücksschauer und berichtet von den Eindrücken, die er mitnimmt ins Finale um die Europameisterschaft im Handball gegen Frankreich am Sonntag.

Kurz zuvor hatte sich der dänische Weltklassespieler, angestellt bei den Füchsen Berlin, im zweiten Halbfinale dieses Turniers mit seinem Team nicht nur gegen die deutsche Mannschaft durchgesetzt, sondern auch gegen das in weiten Teilen völlig ekstatische Publikum in der Kölner Lanxess-Arena.

„Meine Güte waren die Deutschen stark, sie haben uns alles abverlangt. Ganz großen Respekt dafür“, sagte Gidsel, aber es sei eben auch um den Einzug in ein Finale gegangen: „Und dass wir das geschafft haben, ist fabelhaft, erst recht vor dieser Kulisse.“

Blass, müde, enttäuscht: Juri Knorr

Was für ein Kontrast bot da der Auftritt von Juri Knorr nach der Partie. Blass die Haut, müde der Blick, leise die Stimme, enttäuscht die Seele. Und was er da alles sagt, gut 30 Minuten nach dem Spiel. Es klingt in Teilen erschreckend, wie angefasst dieser junge Kerl von 23 Jahren nach dieser Niederlage ist, die er, diesen Eindruck vermittelt er, ganz alleine schultern möchte, weil er nun nach der Partie die Verantwortung übernehmen will, die er seiner Meinung nach zuvor auf der Platte nicht angenommen hat. Das klingt dann so: „Ich werfe mir extrem vor, dass ich in der zweiten Halbzeit nicht gekämpft habe bis zum Umfallen. Mich nicht in den jeden Zweikampf geworfen habe. Nicht mehr riskiert habe. Nicht mehr das Spiel gespielt habe, wie ich es spielen wollte mit allem, was mein Spiel auch ausmacht.“

Und mehr noch: „In so einem Spiel muss ich rausgetragen werden, weil ich vor Emotionen übersprudele und nicht mehr kann.“ Das sei aber eben nicht geschehen, und „das werfe ich mir vor. Dass ich nicht an dieses Limit und darüber hinaus gegangen bin.“

In so einem Spiel muss ich rausgetragen werden, weil ich vor Emotionen übersprudele und nicht mehr kann. Das ist nicht geschehen.
Juri Knorr

Das Spiel dieses hochbegabten Spielmachers macht seine Unberechenbarkeit aus, seine Antizipations-Brillanz, seine Traumpässe und seine schwer zu berechnenden Wurfvarianten. Hinzu kommen noch seine rasanten Drehungen und die Gabe, einem Spiel Rhythmus zu verleihen, es lenken zu können. Wegen all dieser Fähigkeiten gilt der Sohn des einstigen Nationalspielers Thomas Knorr als das größte Versprechen des deutschen Handballs in der Jetztzeit.

Nun dieser mentale Rückschlag. Die Bitte um Auswechslung, weil der Körper nicht mehr mitspielte, wobei die Grenze oft fließend ist, wenn ein Spieler merkt, dass seine Leistung an einem Tag nicht ausreicht. Dass sich also der Kopf meldet und sagt: Ich muss raus.

Selbstanklage in der Mixed-Zone: Juri Knorr.

Selbstanklage in der Mixed-Zone: Juri Knorr.

Die Folge davon war, dass die deutsche Mannschaft nach etwas mehr als 40 Minuten, sie lag noch im Soll mit zwei Toren Rückstand, ohne Knorr auskommen musste. Vielleicht hat er sich gedacht, dass er sich ein paar Minuten ausruhen könne, um dann wieder ins Spiel zu kommen. Doch seine Körpersprache drückte etwas anderes aus: Knorr nahm sich ein Handtuch und eine Trinkflasche, setzte sich auf einen Stuhl und lehnte sich weit darauf zurück. Bundestrainer Alfred Gislason deutete das offenbar als Aufforderung dafür, andere Spieler zu bringen. Was er auch tat: Für Knorr kamen zunächst Philipp Weber und später dann auch Nils Lichtlein auf der Spielmacher-Position zum Einsatz. „Philipp macht das gut, das war auch richtig, dass er dann gespielt hat“, sagt Knorr dazu.

Gislason erzählt die Szene aus seiner Sicht so, dass „Juri selbst rauskam. Er hat zuletzt auch sehr viel gespielt. Dann kam Weber rein und hat es sehr gut gemacht. Ich war kurz davor, Juri wieder einzuwechseln, das habe ich aber nicht gemacht.“ Weil er offenbar den Eindruck hatte, dass sich das Spiel nun beruhigt hatte, bei allerdings nicht kleiner werdendem Rückstand in den letzten Minuten. Und Knorr wird Gislason noch brauchen im Spiel um Platz drei am Sonntag (15 Uhr/ARD) gegen Schweden.

Aus im Halbfinale: Juri Knorr ist nicht für die Niederlage gegen Dänemark verantwortlich

Selbstverständlich ist Juri Knorr nicht für diese Niederlage verantwortlich. Auch gegen die Dänen gab es viele freie Würfe, die die deutschen Spieler nicht verwandeln konnten, insbesondere in der zweiten Hälfte gegen den Weltklasse-Torhüter Emil Nielsen vom FC Barcelona, der mit Beginn der zweiten Hälfte spielte und zum entscheidenden Faktor dieser Partie auf dänischer Seite wurde.

Aber nachdenklich stimmt es schon, dass der grundsätzlich technisch wertvollste deutsche Spieler Juri Knorr sich derart zurückzieht und selbst geißelt. Denn auch gegen die Dänen gelangen ihm ja vier Tore. Unter seinen vier Fehlversuchen war auch ein nicht verwandelter Siebenmeter. Doch so etwas passiert.

Vielleicht ist es auch eine allgemeine Überanstrengung, die Knorr gespürt hat. Das Turnier begann er mit einem Infekt, der sich hartnäckig im deutschen Teamquartier hält, er nahm Medikamente, um überhaupt spielen zu können. Und er nahm sich auch sehr viel vor für dieses große Turnier im eigenen Land, das verbunden war mit einer Reihe von Erwartungen des Publikums, besonders an ihn, den Star der Rhein-Neckar Löwen.

Halbfinale gegen Dänemark: Deutsche Handballer liefern im ersten Durchgang fabelhafte Abwehrarbeit ab

Und so ist es in seiner Gefühlslage nur konsequent, dass Knorr trotz des überzeugenden Spiels der deutschen Mannschaft im Moment der Niederlage nicht zufrieden sein konnte mit sich und dem Ergebnis gegen die Dänen: „Ich kann gerade nichts anderes als Nachdenken. Ich bin auf gar nichts stolz. Ich bin einfach nur enttäuscht, dass wir unser Spiel nicht zwei Halbzeiten durchbekommen haben.“

Das Besondere, das sein Team vor allem dank einer fabelhaften Abwehrarbeit in den ersten 30 Minuten hinbekommen hatte, habe in der zweiten Hälfte gefehlt. Den ersten Durchgang gewann das deutsche Team sogar mit 14:12, Gidsel und sein ebenfalls überragender Rückraumkollege Simon Pytlick, der für Flensburg spielt, standen nach hartem Zupacken des deutschen Innenblocks Julian Köster und Johannes Golla bisweilen fast um ihre Trikots entblößt auf der Platte.

Ich wusste, dass eine größere Verantwortung auf mich zukommt. Die habe ich auch übernommen
Renars Uscins

Vor allem der junge Renars Uscins vom TSV Hannover-Burgdorf, 21 Jahre, rechter Rückraum, U21-Weltmeister, machte zu Beginn mit Assists und Toren auf sich aufmerksam und hielt die deutsche Mannschaft im Spiel. Fünf Treffer gelangen ihm schließlich bei acht Versuchen, eine starke Quote und am Freitagabend die beste Ausbeute eines deutschen Akteurs. Nach der Partie wurde Uscins sogar zum Spieler des Spiels gewählt, was ihn sichtlich überraschte.

Uscins spielte von Beginn an, weil der eigentlich gesetzte Kai Häfner aus privaten Gründen kurzfristig abreisen musste. „Ich wusste, dass eine größere Verantwortung auf mich zukommt. Die habe ich auch übernommen. Der Bundestrainer hat mir gesagt, ich solle nicht daran denken, dass ich erst 21 bin, sondern, dass ich Spaß haben soll. Das ist natürlich einfacher, wenn die ersten Anspiele und Torwürfe klappen, das ist mir gelungen“, sagte Uscins.

Handball-EM 2024: Bundestrainer Alfred Gislason ist zufrieden

Im Gegensatz zu Knorr findet Uscins wiederum, „dass wir stolz sein können auf den Kampf, den wir den Dänen geboten haben vor diesem fantastischen Publikum. Das zu erleben, kannst du einfach nicht beschreiben, unglaublich.“  Am Ende sei es gelungen, 50 Minuten gut zu spielen, „aber eben nicht 58, was gegen diese Supermannschaft einfach nötig ist, wenn du gewinnen willst“. Ein, zwei Fehler zu viel würden auf diesem Niveau hart bestraft.

Auch dem Bundestrainer war wie auch Uscins insgesamt die Zufriedenheit anzusehen, mit der er die Halle verließ trotz der Enttäuschung des verlorenen Halbfinales. Lob hatte er auch von seinem dänischen Kollegen Nikolaj Jacobsen erhalten, der sein Team zuletzt drei Mal in Folge zum WM-Titel gecoacht hatte: „Es war ein unglaublich hartes Match, die Deutschen waren 40 Minuten unglaublich. Sie waren großartig.“

Gislason vernahm das stoisch, ohne Regung, betonte aber, dass sein Team vor allem aus dieser Niederlage lernen könne, dass sie immer besser werde und zunehmend an Selbstvertrauen gewinnen werde, was ihn ebenfalls stolz sein lasse. Denn vor allem das habe die dänische der deutschen Mannschaft noch voraus, betonte Jacobsen: „Erfahrung in ganz wichtigen und engen Spielen, bei denen es um alles geht.“

Deutsche Handball-Nationalmannschaft: Mentale Aufbauarbeit ist gefragt

Eine neue und kräftige Prise von dem Zaubertrank namens Selbstvertrauen wird nun nötig sein, wenn Gislasons Team am Sonntag gegen Schweden zu einem versöhnlichen Turnierabschluss und Platz drei der EM kommen möchte, der diesmal gleichbedeutend ist mit der direkten Qualifikation für das olympische Turnier im Sommer in Paris.

Die Schweden können wie die Dänen ebenfalls eine Reihe von Weltklasse-Spielern aufbieten, allen voran Torwart Andreas Palicka, Spielmacher Jim Gottfridsson, dazu unter anderem Hampus Wanne und Felix Claar, der bei der schwedischen 30:34-Halbfinal-Niederlage gegen Frankreich neun Tore erzielte.

Für Gislason geht es nun darum, seinem Team die Enttäuschung des Freitags zu nehmen. Videostudium steht an, und vor allem der mentale Aufbau seiner Spieler, die am Sonntag gegen Schweden vor dem neunten Spiel innerhalb von 18 Tagen stehen. Gislason ist erfahren genug, dass er weiß, dass er einen seiner Spieler besonders sanft behandeln muss, auf dass er gegen Schweden wieder so selbstbewusst auftritt wie gewohnt. Gut möglich, dass er ein einfühlsames, aufbauendes Einzelgespräch mit Juri Knorr führen wird.

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