Lebenshilfe Köln„Tanzen entlockt ungeahnte Kräfte“

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Josefine genießt die Stunde auf den eigenen zwei Beinen.

Josefine genießt die Stunde auf den eigenen zwei Beinen.

Josefine (6) zählt die Stunden schon Tage vorher rückwärts, kann den Countdown bis zum ersehnten Mittwochnachmittag kaum erwarten. Heute Morgen noch war sie schlapp und erschöpft – lag mit Husten, Schnupfen, Heiserkeit danieder. Aber am Nachmittag waren die Malaisen wie von Geisterhand verscheucht: Mama, ich will tanzen! ist das Erste, was Josefine nach einwöchiger Bettlägerigkeit in den Sinn kommt.

Wenige Stunden später hüpft, hopst, huscht Josefine – die für gewöhnlich auf den Rollstuhl angewiesen ist – auf beiden Beinen durch die Turnhalle der Lebenshilfe-Geschäftsstelle in Mülheim. Mal schlingert sie, mal schwebt sie elfengleich. Und immer strahlt sie. Eine Stunde lang auf Wolke sieben.

Vortänzerin Sabrina mag den Flugzeugtanz, Therapeutin Ute Seddig tanzt ihr nach.

Vortänzerin Sabrina mag den Flugzeugtanz, Therapeutin Ute Seddig tanzt ihr nach.

Lebensfreude in Reinform

Auch Melec (10), Sabrina (8), Leonie (10) die Geschwister Oliver (11) und Miriam (7) , Katharina und Matthie (8) stampfen, steppen und springen durch die Halle – jedes Kind in seiner Lieblingsbewegung, nach seiner Façon und Möglichkeit, aber alle jauchzend. Das, was mittwochs zwischen 17 und 18 Uhr beim tanztherapeutischen Angebot der Lebenshilfe vonstatten geht, ist Lebensfreude in Reinform. Man muss keine Expertin sein, um schnell zu verstehen: Tanzen verleiht Flügel, stärkt Körpergefühl und Selbstbewusstsein und auch das soziale Miteinander. „Gerade denjenigen Kindern, die aufgrund ihrer geistigen oder körperlichen Beeinträchtigung oft an ihre Grenzen stoßen, entlocken Tanz und Musik ungeahnte Kräfte“, wird Tanztherapeutin Ute Seddig später bestätigen.

Oliver zum Beispiel, der gerade freudestrahlend und in schwarzen Ballettschläppchen durch den Raum kreist wie ein Flieger in Düsenjetversion, ist an anderen Abenden für körperliche Aktivitäten schwer zu haben. „Mein Sohn ist ein Faultier. Wenn er am Nachmittag von der Förderschule kommt, ist er zu nichts mehr zu motivieren – außer zu Digitalem natürlich“, sagt Mutter Monika Flock.

Oh nein, auf einem Bein! Katharina und Josefine geben alles.

Oh nein, auf einem Bein! Katharina und Josefine geben alles.

Anders mittwochs: Da stehen Oliver und seine Schwester Miriam, den Turnbeutel geschultert, am Familienauto parat sobald die Turmuhr halb fünf schlägt – Zeit, sich auf den Weg von Longerich nach Mülheim zu machen: „Mama, los, wir wollen tanzen!“ Oliver und Miriam, die beiden jüngsten der fünf Flock-Kinder, kamen mit dem Down-Syndrom zur Welt. Mutter Monika hat die beiden sofort angemeldet, als sie von dem Angebot der Lebenshilfe Köln erfuhr: „Es ist toll, dass sie zusammen teilnehmen dürfen, und toll ist auch, dass sich der Kurs ausschließlich an Kinder mit einer Behinderung richtet, sie fühlen sich untereinander, wie man deutlich sieht, sehr wohl.“ Monika Flock schätzt am therapeutischen Tanz besonders, dass dabei auf das Leistungsniveau jedes einzelnen Kindes eingegangen wird und der Spaßfaktor im Vordergrund steht. „Oliver hat auch schon bei einer normalen Tanzschule getanzt, die sich bestens um seine Integration bemüht hat, doch er konnte bei den Tanzfortschritten nicht mithalten, besonders an der Stange nicht“, sagt Monika Flock. In der Turnhalle ist der erste Seufzer nach 40 Minuten zu vernehmen. „Oh, nein, auf einem Bein!“, stöhnt Katharina, „anstrengend!“ „Hat jemand gesagt, dass es hier ausschließlich bequem zugeht?“, scherzt Tanztherapeutin Ute Seddig im Vorbeitänzeln und Katharina müht sich weiter tapfer ab – auf einem Bein.

Eine Stunde lang im Kreis

„Klar, es geht mir vor allem darum, den Kindern einen Raum zu bieten, wo sie so sein dürfen, wie sie sind, und das tun können, wonach ihnen ist. Reglementierungen und Anstrengungen begegnen ihnen im Alltag schon genug. Wenn sich ein Kind eine Stunde lang im Kreis drehen möchte, dann bitteschön!“, sagt Ute Seddig, und räumt ein: „Wenn sie aber, wie Katharina gerade eben, die Herausforderungen annehmen, umso mehr schaffen sie damit neue Möglichkeiten für sich.“ Und mehr Selbstvertrauen. Und Mut. Melec etwa, das zehnjährige, temperamentvolle Mädchen mit einer Autismus-Spektrum-Störung, hat durch den Tanz gelernt, auch mal aus den für ihre Erkrankung typischen motorischen Stereotypen auszubrechen – und neue Bewegungen auszuprobieren.

Geh weg, komm her – auch Nähe und Distanz sind tanzend zu erforschen.

Geh weg, komm her – auch Nähe und Distanz sind tanzend zu erforschen.

Oder Josefine, die sich anfangs schwer damit tat, sich gegen die teils ungelenken Zuneigungsbekundungen von Matthie zur Wehr zu setzen, kann ihm heute ganz selbstbewusst Nein sagen. Matthie wiederum hat auf diese Weise gelernt, seine Schwäche für Josefine vorsichtiger zu zeigen. Ute Seddig: „Je nach Beeinträchtigung gehen die einen stark auf Körperkontakt, die anderen haben nicht die Stärke, sich zur Wehr zu setzen. Im Tanz lernen sie, sich gegenseitig wahrzunehmen, neue Formen des Miteinanders zu entdecken und sich auf einer anderen als der sprachlichen Ebene mitzuteilen und ausdrücken – denn die meisten von ihnen sind auch in ihrer Sprache eingeschränkt.“

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Tanzen fördert das soziale Miteinander.

Die schönste Therapie

Sich schützen, abgrenzen, mehr zutrauen – wie Katharina, die gerade stolz wie ein Pfau einen Radschlag nach dem anderen präsentiert – keine Frage: Tanz ist Therapie auf die lustbetonte, leichte Art und Weise. „Das ist unumstritten die schönste der vielen Therapien, die auf Josephines Wochenplan stehen“, sagt ihre Mutter Susanne Horzella, und erzählt, wie gut es ihrer Tochter tut, dass sie ihren Kita-Freundinnen, die allesamt eine Ballettschule besuchen, donnerstags von ihrer Tanzstunde erzählen kann. In der sie sich auf klassische Musik, französische Chansons, Meditationsklänge, Rock und Pop bewegt – frei und aufrecht, dank Ute Seddig oder einer ihrer beiden Assistentinnen.

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Und jeder achtet auf den anderen.

Wer die acht Kinder so hingebungsvoll hüpfen, kreisen, kugeln, steppen sieht, der wünscht sich, dass das niemals enden würde. Doch die Finanzierung des tanztherapeutischen Angebots ist nur für sechs Monate gesichert – unter anderem auch durch die Förderung von „wir helfen“. „Wir wollen weitermachen, sind dafür aber auf weitere Spenden angewiesen“, sagt die Sprecherin des Lebenshilfe Köln e.V. Annette Lantiat. Spenden, die helfen würden, dass Josefine und ihre Mittänzer auch künftig einmal die Woche für eine Stunde auf Wolke sieben schweben.

Sö können Sie helfen

Mit „wir helfen: weil alle Kinder eine Chance brauchen“, bitten wir um Spenden für Projekte, die benachteiligte Kinder und Jugendliche aus Köln und aus der Region unterstützen. Bislang sind 1138165,06 Euro eingegangen.

Spendenkonten:

Kreissparkasse Köln,

IBAN: DE0337050299

0000162155

Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 37050198 0022252225

Wenn Sie nicht in der Spenderliste erwähnt werden wollen, notieren Sie am Anfang des Verwendungszwecks bitte +A+, wünschen Sie eine Spendenbescheinigung, vermerken Sie bitte +S+ und Ihre vollständige Adresse, legen Sie auf beides Wert, vermerken Sie bitte +AS+.

Kontakt: „wir helfen e.V.“,

Amsterdamer Straße 192,

50735 Köln,

(0221) 224-2789 (Förderung), -2840 (Spenden),

2130 (Redaktion)

wirhelfen@dumont.de

wirhelfen-koeln.de

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