Seminare zu MedienkonsumFamilienfreizeit mit handyfreier Zone

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Kaan und seine Mutter haben den Wald als Spielplatz für sich entdeckt.

Kaan und seine Mutter haben den Wald als Spielplatz für sich entdeckt.

Köln – Tastend fühlt Kaan mit seinen Händen über die raue Baumrinde. Genau an der Stelle, an der seine Mutter seine Hände hingelegt hat, hat der Stamm eine Kuhle. „Merk dir gut, wie sich das anfühlt“, sagt sie zu ihrem neunjährigen Sohn. Kaans Augen sind mit einem schwarzen Stofftuch verdeckt, später soll er auf der dicht bewachsenen Lichtung diesen einen Baum wieder erkennen. „Baumfreund finden“ nennt Pädagogin Gaby Schauenburg das Spiel, das sie Kaan und seinen beiden kleinen Schwestern am Fronleichnamswochenende in der Eifel gezeigt hat und ein paar Tage später in Ostheim mit ihnen wiederholt.

Das viertägige Seminar für fünf kinderreiche Familien aus dem Kölner Osten stand unter dem Motto „Aus dem Netz ins grüne Gras“ und die Eindrücke sind noch so frisch, dass Kaan und Zaras Stimmen sich überschlagen, wenn sie von ihren Erlebnissen erzählen. Über 16 Kilometer sei Kaan mit drei anderen Kindern an einem Tag gelaufen, sie waren bei einer Greifvogel-Schau, bei der die riesigen Vögel ganz nah über ihren Köpfen geflogen seien. Ein Foto erinnert Zara daran, wie sie freihändig von Stein zu Stein gesprungen ist und so einen Bach überquert hat. Sie haben gelernt, dass es Wald-Internet gibt. Gemeint sind Pilzsporen unter Ästen, mit denen Bäume und Pflanzen kommunizieren.

Ein Gespür für die maßvolle Handynutzung bekommen

Und das richtige Internet? Auf das sollte an dem Wochenende möglichst verzichtet werden. „Eltern und Kinder sollen ein Gespür für eine maßvolle Handynutzung bekommen“, erklärt Projektleiterin Gaby Schauenburg von der Paria Stiftung. Die angebotenen Freizeiten sind eine Mischung aus Erlebnispädagogik und Seminaren, in denen der Medienkonsum von Kindern und Jugendlichen besprochen wird.

„Ich habe mich erschrocken, als ich vor ein paar Wochen die Bildschirmzeit an Kaans Handy gesehen habe“, erinnert sich Mutter Martina an die Phase der strengen Corona-Beschränkungen. Die fünfköpfige Familie hat nur eine kleine Wohnung, die Kontaktsperre hat sie hart getroffen. Für Spiele, Videos und Chats mit seinen Freunden und Cousins nutzt der Neunjährige sein Handy. Auch seine dreijährige Schwester Aria kriege ab und zu das Smartphone in die Hand. Das will ihre Mutter künftig nicht mehr.

Faustregel: Pro Lebensjahr eine Stunde Bildschirmzeit

Medienexperten empfehlen bei Kindern bis fünf Jahren maximal eine halbe Stunde Bildschirmzeit am Tag, bis zum Alter von neun Jahren ist eine Stunde vertretbar. Bei älteren Kindern kann ein Wochenkontingent sinnvoll sein, sagt auch Schauenburg. Wenn die vereinbarte Zeit am Montag aufgebraucht ist, bleibt das Handy und der Laptop eben den Rest der Woche aus. Dabei gilt laut der Mediennutzungsinitiative „Schau hin“ die Faustregel: Pro Lebensjahr eine Stunde Bildschirmzeit in der Woche.

Schauenburg klärt in ihren Seminaren über die negativen Auswirkungen einer exzessiven Handynutzung auf, zum Beispiel über motorische und kognitive Probleme bei Kleinkindern. Auch von verspannten Handy-Nacken und verformten Daumen berichten Kinder und Erwachsene in ihren Seminaren. Doch anders als in Kaans Familie fehle trotzdem oft ein Bewusstsein für die Gefahren im Internet.

Eltern müssen Vorbilder sein

„Viele Eltern sagen: Bei uns ist das kein Problem“, erzählt Schauenburg. Weil sie selbst ihr Handy ungern aus der Hand legen, die „handyfreie Zone“ in der Seminarunterkunft als Belastung empfinden. Eltern müssen Vorbilder sein, sagt Schauenburg. Ein Junge hätte sich in einer Nacht in der Jugendherberge mehrere Stunden Filme auf dem Handy seiner Mutter angeschaut, als er nicht schlafen konnte. Einige elf- und zwölfjährige Mädchen hätten sich miteinander über anzügliche Nachrichten unterhalten, die sie über Soziale Medien bekommen, erzählt Schauenburg.

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Dass beide Fälle durchaus problematisch sind, versucht sie den oft bildungsfernen Eltern in ihren von „wir helfen“ geförderten Seminaren verständlich zu machen. Ihr Appell: „Die Eltern müssen ihre Kinder kontinuierlich im Internet begleiten.“ Sie müssen hinschauen, was ihre Kinder spielen, mit wem sie chatten – und wann es Zeit wird, in den Wald zu gehen.

Die Paria Stiftung macht in der zweiten Ferienwoche eine Familienfreizeit an der Nordsee. Interessierte finden online Informationen.

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