Projekt Arche NovaMehr als nur ein Mittagessen

In der Arche Nova wird gelernt, gespielt und gegessen
Copyright: Thomas Banneier
Finkenberg – 12.30 Uhr in der Theodor-Heuss-Straße 9a: Es herrscht Hochbetrieb auf dem Kirchenhügel im Herzen Finkenbergs. Die Mägen knurren, die Töpfe klappern, die Schritte werden schneller. 30 Kinder zwischen sechs und 14 Jahren wollen satt werden. Manche kommen direkt von der Schule, den Ranzen noch geschultert, in den Speiseraum im ersten Stock der OT Arche Nova. Andere warten schon länger auf die ersehnten Spaghetti.
Lennox zum Beispiel. Der Sechsjährige ist meist der erste Besucher, wenn um 11.30 Uhr die Übermittagsbetreuung startet. Er hat keinen Schulplatz bekommen, weshalb die Arche Nova zu seinem Lebensmittelpunkt geworden ist. Für einige der 30 Kinder ist es das erste Essen – und die letzte warme Mahlzeit für diesen Tag. Da zählt jede helfende Hand. Wie die von Anne und Manfred Poischen. Seit drei Jahren packt das Ehepaar ehrenamtlich mit an in der Übermittagsbetreuung der OT Arche Nova.
Lernen, spielen, Sorgen teilen
In der Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit des Vereins „Haus der Offenen Tür Porz“ unterstützen die beiden Rentner – neben zwei weiteren Ehrenamtlichen – die drei fest angestellten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nicht nur beim Mittagstisch. Sie helfen bei der Hausaufgabenbetreuung, beim Spielen, Vorlesen, Zuhören, Rat geben, und hier und da auch mal beim Sorgen teilen.

In der Arche Nova wird gelernt, gespielt und gegessen
Copyright: Thomas Banneier
„Denn wir sind mehr als nur eine Übermittagsbetreuung“, sagt Geschäftsführer Ralf Werheid. „Mehr als ein Ort, den man zum Essen und Spielen aufsucht“, ergänzt Leiter Till Cremerius. Die Teammitglieder leisten Beziehungs- und Erziehungsarbeit, Familienhilfe, sind Ansprechpartner und Ratgeber in allen Lebensbereichen für 30 Kinder aus bis zu 18 Nationen. Für deren Geschwister. Für Eltern und Verwandte – die nicht selten mit mehreren Problemen gleichzeitig zu kämpfen haben. Weil sie verschuldet sind oder fremd in der Stadt, die Sprache nicht beherrschen oder überfordert sind mit der Erziehung ihrer vielen Kinder. Weil sie alleinerziehend oder alkoholkrank sind, mehrere Jobs haben. Oder keinen.
„Wir versuchen, für all ihre Anliegen da zu sein“, sagt Ralf Werheid, der die Arche Nova als familiären Teil des Finkenbergs versteht, „der in den Sozialraum hin-einwirkt.“ Und in die Schulen. Denn die Vernetzung von Jugendarbeit und Schule ist für das Team ein wichtiges Thema. In Kooperation mit der nahe gelegenen Lise-Meitner-Gesamtschule werden die Räume der Arche Nova für Projekte wie Anti-Gewalttrainings oder zur Klausurvorbereitung genutzt. Durch die Hausaufgabenbetreuung steht das Team in engem Kontakt mit Lehrern und Schulsozialarbeitern der örtlichen Schulen.
Sprache und fairen Umgang lernen
Lennox macht hier in der Theodor-Heuss-Straße erste schulische Schritte – lernt lesen, schreiben, rechnen. Andere Kinder, wie die zehnjährige Anjili, die erst vor wenigen Monaten aus dem Irak kam, lernen hier in kurzer Zeit neben der Sprache und der Kultur den sozialen Umgang mit- und Respekt voreinander.

Anne Poischen ist seit drei Jahren ehrenamtliche Mitarbeiterin
Copyright: Thomas Banneier
„Wir legen großen Wert darauf, dass unsere beiden Gruppen – die eine für Kinder zwischen sechs und zehn Jahren, die andere von zehn bis 14 Jahren – jeweils gemischt sind, die Kinder also aus allen sozialen Schichten, Schulformen und Nationen stammen“, sagt Till Cremerius. So viel zur Theorie. Dass Wunsch und Wirklichkeit sich in den vergangenen Jahren immer schwieriger vereinen lassen, erklärt Cremerius unter anderem mit der wachsenden Armut. „Viele Eltern können sich den Betrag von 25 Euro pro Kind und Monat für die Übermittagsbetreuung nicht mehr leisten.“ Auch das Thema Hunger stünde in der Arche Nova immer häufiger auf der Agenda, vor allem abends, wenn weitere 30 bis 50 Jugendliche aus dem Ort ab 17 Uhr die Angebote der Offenen Jugendarbeit nutzen. „Wir könnten jeden Abend Essen ausgeben, der Bedarf ist riesig“, sagt Ralf Werheid.

Sind Bäuche mit Essen und Köpfe mit Schulstoff gefüllt, wird gemeinsam gespielt
Copyright: Thomas Banneier
Dank des ausgefeilten Hilfesystems der Finkenberger Träger und Vereine können vermehrt auch die Eltern, die es sich eigentlich nicht leisten können, ihre Kinder in die Übermittagsbetreuung schicken. Da ist zum Beispiel die benachbarte Kirchengemeinde St. Maximilian Kolbe, die 20 Patenschaften für Kinder übernommen hat. Oder der Bürgerverein Porz-Mitte und die evangelische Kirchengemeinde, die die Arche Nova – auch finanziell – unterstützen, wo es nur geht. Das Angebot der Übermittagsbetreuung, wochentags von 11.30 bis 16 Uhr, finanziert die Stadt Köln – jedoch nur für die Gruppe der Zehn- bis 14-Jährigen. Vorgegebenes Ziel ist, die Betreuungssituation der Kinder auf weiterführenden Schulen zu verbessern – flankierend zu den Offenen Ganztagsschulen, bei denen sich Angebot und Nachfrage in einer enormen Schieflage befinden. Werheid geht davon aus, dass bis zu 60 Prozent aller Finkenberger Familien mit „Lückenkindern“ zwischen sechs und 14 Jahren Bedarf an Ganztagsangeboten haben.
Viele Kinder sind auf sich gestellt
Denn immer mehr Kinder dieser Altersgruppe seien gerade über Mittag auf sich allein gestellt, müssten sich selbst versorgen, obwohl sie dazu kaum in der Lage seien. Was heute mit wachsender Tendenz vor allem Kinder von Alleinerziehenden beträfe. „Schulen und Kommunen können den Bedarf an Betreuung über Mittag nicht befriedigen“, sagt Werheid. Selbst dort, wo eine Betreuung vorgesehen sei, etwa in Gesamtschulen, gäbe es nicht zu unterschätzende Betreuungsprobleme. Kurz: Die Betreuungsstruktur der Schulkinder zwischen sechs und 14 Jahren bleibt prekär. Werheid: „Die Übermittagsbetreuung kann den wachsenden Bedarf zwar nicht abdecken, aber gezielt abmildern.“

In der Arche Nova entstehen Freundschaften
Copyright: Thomas Banneier
Während die Stadt Köln die Kosten für die älteren Schüler übernimmt, bestreitet der Verein die Finanzierung der Gruppe der Sechs- bis Zehnjährigen ausschließlich über Spenden. Ebenso wie das Mobiliar, die Technik oder Freizeitaktivitäten.
Denn viele Kinder und Jugendliche bleiben bis in die Abendstunden. Machen Sport, spielen Billard oder Kicker, backen, basteln, chillen, erzählen vom Schultag und ihren Sorgen. Spätestens um 17.30 Uhr heißt es für die „Kleinen“: Abschied nehmen. Kindern wie Lavadim, 7, fällt das regelmäßig schwer. „Ihn müssen wir abends regelrecht rauskegeln“, scherzt Till Cremerius. Wie zum Beweis klammert sich Lavadim fest an sein Bein. Doch Flehen und Betteln nützt nichts: Ab jetzt gehört die Arche Nova bis 21 Uhr den Jugendlichen.