Abrechnung von Corona-TestsKassenärztliche Vereinigungen machten Millionengewinne

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Köln – Die Kassenärztlichen Vereinigungen haben in der Pandemie neue Aufgaben bekommen, die sich nun als äußerst lukrativ herausstellen: Seit der Einführung von Bürgerzentren rechnen die Vereinigungen gemäß der Testverordnung aus dem Bundesgesundheitsministerium die Corona-Tests ab. Offenbar bekommen die Kassenärztlichen Vereinigungen dafür aber weit mehr Geld, als sie tatsächlich benötigen. Angesichts vieler Betrugsfälle bei Testzentren stößt der Geldsegen auf Kritik - die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein und die KV Westfalen-Lippe verteidigen ihre Arbeit. 

Was ihre neue Einnahmequelle angeht, spielt die KV Niedersachsen mit offenen Karten: Man habe durch die Abrechnung der Corona-Tests 30 Millionen Euro Gewinn gemacht, sagte ein Sprecher gegenüber dem Rechercheverbund von NDR, WDR und Süddeutscher Zeitung. Eine Summe, die sie nie gefordert hätten – dem Staat zurückgeben wollen sie das Geld aber nicht. Man habe es sinnvoll angelegt, so der Sprecher. Mit den Überschüssen will die KV Niedersachsen Arztpraxen in ländlichen Regionen fördern, die derzeit nicht besetzt sind. 

KVen sollen laut Vertrag Plausibilität der Abrechnungen prüfen

Eigentlich sollen Kassenärztliche Vereinigungen dafür sorgen, dass die medizinische Versorgung reibungslos klappt: Sie verhandeln mit den Krankenkassen über Honorare, prüfen Abrechnungen von Ärzten und Therapeuten, verteilen das Honorar, das sie zur Verfügung haben. Seit 2020 gingen 3,5 Prozent der Kosten für Corona-Testungen an die KVen - als Verwaltungspauschale. Bundesgesundheitsminister Lauterbach senkte die Pauschale im Mai dieses Jahres auf 2,5 Prozent.

Im Gegenzug, so der Plan, rechnen die KVen nicht nur ab, sondern prüfen auch, ob die Angaben der Testzentren plausibel sind. Wenn Bürger Auffälligkeiten bei Teststellen beschreiben, landet auch das bei der KV. Zudem müssen die KVen laut Vereinbarung vertiefte Prüfungen stichprobenartig durchführen. Diesen Prüfungen wird in verschiedenen Bundesländern aber unterschiedlich konsequent nachgegangen: Nordrhein und Westfalen-Lippe führten zusammen 600 Prüfungen durch, die KV Sachsen-Anhalt nur 76. In Baden-Württemberg waren es knapp 3000. 

Falsche Abrechnungen können die Teststellen zuerst selbst korrigieren, in einer nächsten Stufe kann die KV Auszahlungen stoppen und Geld von den Betreibern zurückfordern. Auch die Beträge der gestoppten und zurückgeforderten Zahlungen variieren stark: In Nordrhein waren es 13 Millionen Euro, in manchen anderen Bundesländern nur ein paar Hunderttausend. Niedersachsen stoppte die Auszahlung von 59 Millionen Euro und forderte 240.000 Euro zurück. Die KV Westfalen-Lippe forderte knapp 37 Millionen Euro zurück.

KV Nordrhein und Westfalen-Lippe verteidigen ihr Vorgehen

Die staatlichen Zahlungen scheinen so großzügig bemessen zu sein, dass davon beachtliche Überschüsse bleiben. Die Kassenärztlichen Vereinigungen bekamen viel Geld, um sicherzustellen, dass die Corona-Tests ordnungsgemäß abgerechnet wurden. Die KV Nordrhein nahm mit dieser Aufgabe in den Jahren 2020 und 2021 rund 27 Millionen Euro ein. Bei der KV Westfalen-Lippe waren es 21,7 Millionen Euro. Und trotzdem war es scheinbar ein Leichtes für Teststationen, Bürgertests abzurechnen, die nie durchgeführt worden waren.

Bundesweit geht man von einem Betrug in Milliardenhöhe aus: Allein bei der Staatsanwaltschaft Köln laufen derzeit 33 Ermittlungsverfahren gegen 55 Beschuldigte, die bei den Corona-Tests betrogen haben sollen. Betroffen sind mindestens 45 Teststellen, wie die Staatsanwaltschaft dieser Zeitung mitteilte. Wie hoch die genaue Schadenssumme ist, steht noch nicht fest. 

Haben die Kassenärztlichen Vereinigungen betrügerische Teststellen zu wenig verfolgt und kontrolliert? Die Kassenärztlichen Vereinigungen Nordrhein und Westfalen-Lippe wehrt sich gegen Kritik: Man nehme den Auftrag zur Prüfung und Abrechnung der Corona-Tests „sehr ernst“ und arbeite eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen, schreibt die KV Westfalen-Lippe auf Anfrage. „Die KV Westfalen-Lippe ist Verdachtsfällen immer nachgegangen.“

Auch die KV Nordrhein verteidigt die Einnahmen aus dem neuen Aufgabenbereich: Die Vereinigung müsse auch nach Ende der Test-Verordnung weiter Verwaltungskosten stemmen wie Abrechnungsprüfungen, Gerichts- und Anwaltskosten, schreibt die KV Nordrhein auf Nachfrage. Zudem würden die erhobenen Verwaltungskosten in Personal, IT und Software für die Abrechnung genutzt. „Grundsätzlich stellt es sich so dar, dass Verwaltungskosten im Gegensatz zu ‚Gebühren‘ nicht einfach umgewidmet beziehungsweise ausgesondert werden dürfen.“ Eine Querfinanzierung für Landärzte wie in Niedersachsen gibt es in Nordrhein-Westfalen demnach also nicht.

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