Flaschenpost-Chef im Interview„Wir möchten ins Ausland expandieren“

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Transporter des Start-Ups Flaschenpost

  • Mitarbeiter des Getränke-Lieferdienstes hatten sich anonym über die Zustände bei Flaschenpost beschwert.
  • Stephen Weich äußert sich ausführlich zu den Vorwürfen und sagt, der anonyme Brief habe ihn persönlich betroffen gemacht.
  • Außerdem spricht der Flaschenpost-Chef über den Erfolg seines Unternehmens, die Konkurrenz und Nachhaltigkeit.

Köln – Flaschenpost-Vorstandschef Stephen Weich äußert sich im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu den anonymen Vorwürfen von Mitarbeitern über die Arbeitsbedingungen beim Getränke-Lieferdienst. Außerdem spricht er über die Strategie, die Pläne fürs Ausland und die Konkurrenz mit Rewe. 

Herr Weich, Mitarbeiter von Ihnen haben sich anonym über Arbeitsbedingungen beschwert. Wie gehen Sie damit um?

Ich möchte zunächst einmal klarstellen: Unsere Mitarbeiter sind ein wesentlicher Teil der Erfolgsgeschichte der Flaschenpost. Wir sehen uns auch keineswegs vergleichbar mit Lieferdiensten wie etwa Foodora oder Deliveroo, sondern haben ein ganz anderes Geschäftsmodell. Wir stellen unseren Mitarbeitern ein Auto zur Verfügung und lassen sie nicht mit ihrem eigenen Wagen oder gar Fahrrad zum Kunden fahren. Wir stellen ihnen Arbeitskleidung und kostenlose Getränke. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, unsere Leistungen durch vom Arbeitsrecht geschützte Mitarbeiter erbringen zu lassen, und nicht von Selbstständigen, für die Arbeitsgesetze nicht gelten, obwohl das kostengünstiger wäre. Kurzum: Wir fühlen uns zu Unrecht in eine falsche Ecke gedrängt, da wir unsere Mitarbeiter sehr wertschätzen. Dazu gehört auch die tägliche Reinigung der Sanitäranlagen an allen Standorten. Zusätzlich wird geprüft, ob die Anlagen mehrmals, statt wie aktuell einmal pro Tag, von einer externen Firma gereinigt werden.

Wie kommt es dazu, dass sich Ihre Mitarbeiter anonym bei Ihnen beschweren?

Ich finde es sehr schade, dass die Beschwerde anonym ist. Wir reden sonst immer miteinander und finden für Probleme gemeinsam Lösungen. Darum macht mich dieser anonyme Brief von einer oder mehreren Personen auch persönlich betroffen. Die Zufriedenheit der Mitarbeiter ist uns sehr wichtig. Sie sind für den Kunden das Gesicht unserer Firma und haben damit maßgeblichen Anteil am Erfolg der Flaschenpost.

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Stephen Weich (35) ist seit zwei Jahren Mitglied in der Geschäftsführung und seit dem Jahr 2018 Vorstandsvorsitzender der  Firma Flaschenpost SE. Nach seinem Studium war Stephen Weich  unter anderem  als Unternehmensberater im Bereich Corporate Finance, Rechnungswesen und Venture Capital tätig.  Stephen Weich promovierte an der Westfälischen Wilhelms-Universität  in Münster.

Ihnen wird vorgeworfen, Klimaanlagen aus Kostengründen an heißen Tagen abgestellt zu haben, aus Fürsorge vor Erkältungen…

Das ist falsch. Und ich weiß auch bis heute nicht, woher die Aussage kommt, dass das aus Fürsorge gemacht würde. Es gibt definitiv kein Abstellen von Klimaanlagen, aus welchen Gründen auch immer. Wir haben zurzeit circa 1000 Fahrzeuge. Die älteren davon, circa 200 Stück, haben keine Klimaanlage. Unsere gesamte Flotte ist geleast und so werden nach und nach die Transporter ohne Klimaanlage durch klimatisierte ersetzt.

Ein weiterer Vorwurf lautet, die Geschäftsführung behindere die Gründung eines Betriebsrats.

Auf Ebene der SE, also der Holding, gibt es einen SE-Betriebsrat. Das Management kann dem Personal keine Betriebsräte auf anderer Ebene vorschreiben. Wir jedenfalls würden die Gründung eines Betriebsrats nicht behindern, das wäre ja auch überhaupt nicht zulässig.

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Beschreiben Sie doch mal einen typischen Mitarbeiter.

Circa 30 Prozent der Beschäftigten an unseren Lagerstandorten arbeiten in Vollzeit, 70 Prozent der Mitarbeiter arbeiten in Teilzeit. Da gibt es Mini-Jobber und Midi-Jobber. Viele arbeiten bei uns neben ihrem Studium. Wenn die Klausurphase ansteht oder die Studenten ein Praktikum machen, fallen sie für uns auch über Wochen aus. Das ist durchaus etwas, was für uns eine Herausforderung ist. Denn ohne Mitarbeiter keine Auslieferung! Für die Studenten wiederum macht die zeitliche Flexibilität die Jobs bei uns attraktiv, weil sie etwa ihre Schichten um die Vorlesungen herum bauen können. Das Trinkgeld dürfen sie selbstverständlich behalten.

Liegt der Erfolg von Lieferdiensten wie ihrem auch daran, dass viele in der jüngeren Generation kein Auto mehr besitzen?

Die Lieferung von Getränken per Online-Bestellung trifft den Zeitgeist. Es liegt auch daran, dass Deutsche lieber Mineralwasser aus Flaschen statt Leitungswasser trinken. Unsere Kundenbasis ist breitgefächert und besteht nicht nur aus jungen Menschen ohne Auto. Es sind auch Ältere, die sich das Getränkekistenschleppen sparen. Oder Familien. Der Kern unseres Erfolges ist ein einfaches Geschäftsmodell und ein besonderer Typus Ware. Eine Avocado oder ein Brot möchte man im Laden anschauen. Unsere Produkte, also schwerpunktmäßig Getränke, kennt man. Da braucht man kein Einkaufserlebnis und keinen Qualitätscheck. Außerdem ist die Stapelbarkeit von Getränkekisten vorteilhaft.

Rewe, Picnic und Co. liefern heute inzwischen auch aus – fürchten Sie diese Konkurrenz?

Rewe ist ganz anders positioniert und liefert neben Getränken Lebensmittel aller Art. Auch müssen Kühlketten beachtet werden, es fallen Gebühren für die Lieferung an, gestaffelt nach Stockwerk. Unsere Lieferungen sind alle kostenfrei. Egal, in welche Etage.

Wollen Sie Ihr Sortiment auch erweitern?

Wir haben schon erweitert, idealerweise auf Waren, die auch wie Getränke in eine Box passen. Etwa Toilettenpapier, Haushaltsrollen sowie süße und salzige Snacks. Auch Reinigungsmittel haben wir inzwischen im Sortiment. Das sind alles Waren, bei denen das Einkaufserlebnis nicht im Vordergrund steht und die Lieferung ideal ist. Eine Kühlkette, um frische Waren zu verkaufen, wollen wir zunächst nicht einführen, obwohl das möglich wäre. Nur Eiswürfel bieten wir bereits an, das ist komplementär zu unseren Getränken. Schließlich möchte niemand Gin Tonic ohne Eis trinken.

Wie expandieren Sie?

Gestartet sind wir 2016 in Münster, unsere ersten Großstadterfahrungen machten wir dann in Köln. Heute sind wir in vielen rheinischen Großstädten und angrenzenden Gebieten vertreten, auch in Hamburg, Bremen, Mannheim, Leipzig. Wir planen eine Expansion ins deutschsprachige Ausland und schauen uns weitere angrenzende Länder an.

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Welche Rolle spielt Nachhaltigkeit in Ihrem Unternehmen?

Sie ist uns sehr wichtig. Mit jeder Lieferrunde sparen wir unterm Strich sechs bis zehn Fahrten von Verbrauchern zu einem Getränkemarkt, verringern dadurch also den CO2-Ausstoß. Im Schnitt fahren wir dabei 27 Kilometer pro Auslieferungstour. Wir experimentieren auch mit Elektrofahrzeugen. Der Streetscooter der Post hat sich in unserem Test allerdings als Fahrzeug herausgestellt, das für die Lieferung von Briefen gemacht ist, aber nicht dafür, vergleichsweise schwere Getränkekisten zu bewegen. Jetzt probieren wir es mit dem E-Vito von Mercedes. Außerdem vertreiben wir primär umweltfreundliche Mehrwegflaschen, kein Einweg, wenn man von Spirituosen oder Wein mal absieht, da gibt es ja kein Pfandsystem.

Setzen Sie auch auf Regionalisierung?

Ja, sicher. Bei der Bestellung gibt man seine Postleitzahl an, und von der jeweiligen Verteilstelle werden dann regionale Getränkesorten geliefert. Kölsch in Köln. Altbier in Düsseldorf. Selbstverständlich liefern wir auch bestimmte Altbiersorten nach Köln, wenn Sie das wünschen. Wir haben je nach Markt etwa 1000 bis 1200 Artikel im Angebot. Allerdings fahren wir Mineralwasser sicher nicht quer durch die Republik. Das ist nicht nur unökologisch, es rechnet sich auch nicht angesichts des Preises einer Kiste Sprudel.

Wann werden Sie die Gewinnschwelle erreichen?

Unser Geschäftsmodell trägt sich. Der Break-even ist je nach Teilmarkt nach ein bis eineinhalb Jahren erreicht.

Wie können Sie mit den etablierten Getränkehändlern mithalten?

Wir haben 15 Lagerstandorte in Deutschland. Mit einem Volumen von 7000 bis 11 000 Quadratmetern sind sie viel größer als normale Getränkemärkte und nicht direkt in der Innenstadt. Wir machen uns auch unseren Größenvorteil beim Preis zunutze und kaufen günstiger ein. Die Getränkemärkte kaufen im Großhandel, der eine eigene Marge hat. Wir verhandeln direkt mit Brauereien und Brunnen. Das ist ein Teil unseres Geschäftsmodells.

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